Die Grünen diskutieren über Kanzlerkandidaten, die CDU-Chefin muss sich dagegen mit ernüchternden Umfragen auseinandersetzen: Welche Politiker könnten ihre Parteien in den Wahlkampf führen, wenn es zu Neuwahlen kommt?

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Seit den Europawahlen und dem Abgang von SPD-Chefin Andrea Nahles ist die Zukunft der Großen Koalition ungewiss wie nie. Vor allem bei den Sozialdemokraten mehren sich die Stimmen, die GroKo nach einer Halbzeitbilanz Ende dieses Jahres zu beenden. Neuwahlen dürften dann kaum zu umgehen sein – auch wenn sie verfassungsrechtlich schwer herbeizuführen sind.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 52 Prozent der Teilnehmer in der vergangenen Woche für Neuwahlen aus. Die Parteien müssten in so einem Fall Spitzenkandidaten finden. Wer das sein könnte, ist längst nicht überall ausgemacht.

CDU: AKK, Laschet – oder doch Merz?

Als CDU-Vorsitzende hätte Annegret Kramp-Karrenbauer eigentlich beste Chancen, Kanzlerkandidatin der Union zu werden. Ralph Brinkhaus, Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte in der Talkshow von Sandra Maischberger, er gehe davon aus, dass AKK Kanzlerkandidatin wird – allerdings erst auf mehrere Nachfragen hin.

Das Zögern dürfte damit zusammenhängen, dass sie seit dem missglückten Umgang mit dem Video des Youtubers Rezo nicht mehr unangefochten ist. Beim jüngsten ZDF-Politbarometer sprachen 71 Prozent der Befragten AKK die Kanzlertauglichkeit ab. Eine Emnid-Umfrage kam zu dem Schluss, dass Friedrich Merz, ihr unterlegener Konkurrent bei der Wahl zum Parteivorsitz, bei den Deutschen bessere Kanzlerchancen hätte.

Ein weiterer Konkurrent der Parteichefin könnte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet sein. Der hat 2018 im einwohnerreichsten Bundesland bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann und gilt als ausgleichender Politiker der Mitte.

Zudem soll er einen guten Draht zum CSU-Vorsitzenden Markus Söder haben, dessen Partei bei der Wahl eines gemeinsamen Kanzlerkandidaten natürlich ebenfalls mitreden würde.

CSU: Niemand drängt sich auf

Die CSU würde in Bayern einen eigenen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl aufstellen – wer das sein könnte, ist allerdings offen. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur gesagt, dass er bei der Bundestagswahl 2021 nicht mehr antreten will.

Dann wäre es für ihn auch konsequent, bei einer vorgezogenen Wahl nicht mehr zu kandidieren. "Ich bin mit Sicherheit keiner Wahl mehr ausgesetzt", sagte er in dem Interview.

Es wäre dann an Parteichef Markus Söder, einen neuen Spitzenkandidaten auszusuchen. Wer das sein könnte, ist völlig offen. Söder betont seit der Europawahl häufig, verstärkt auf ökologische Themen setzen zu wollen. Das würde eher gegen den derzeit prominentesten CSU-Mann in Berlin, Verkehrsminister Andreas Scheuer, sprechen: Der positioniert sich im Kabinett nicht gerade als Klimaschützer.

Resümee: Von den Bundespolitikern drängt sich kaum jemand auf.

Alles offen bei der SPD

Seit dem Komplettrückzug von Andrea Nahles ist bei den Sozialdemokraten alles offen. Auch die Frage der Kanzlerkandidatur. Immer wieder ins Spiel gebracht wird Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil.

Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte dem 60-Jährigen schon im vergangenen Sommer die Kanzlertauglichkeit bescheinigt. Weil hat sich bisher zurückhaltend gezeigt. Der "Neuen Presse" sagte er: "Ich fühle mich als niedersächsischer Ministerpräsident pudelwohl und habe keine Absicht, daran etwas zu ändern." Will Weil tatsächlich nicht, käme Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Betracht – allerdings gilt er in der Partei als nur mäßig beliebt.

Gute Karten könnte auch Hubertus Heil haben. Als Arbeits- und Sozialminister vertritt er für die SPD wichtige Themen. Gegenüber der Union hat er sich durchgesetzt, als er die Arbeitsbedingungen für Paketzusteller verbesserte.

Und dann wäre da noch Kevin Kühnert. Der Juso-Vorsitzende sagte vor kurzem zu einer möglichen Kanzlerschaft in einer NDR-Talkrunde: "Ich finde das überhaupt keine begeisternde Vorstellung." Der Preis in Sachen Privatsphäre und Freizeit sei ihm zu hoch.

Vor allem hat Kühnert weder Regierungserfahrung noch einen Studienabschluss. Allerdings sehnen sich viele Sozialdemokraten nach einem radikalen Neuanfang. Bei der SPD dürfte es besonders spannend werden.

Klare Sache bei FDP und Grünen

Die Grünen treten stets mit einem Spitzenkandidaten-Duo an. Alles schiene im Fall von Neuwahlen auf die beiden Parteivorsitzenden zuzulaufen: Annalena Baerbock und Robert Habeck schwimmen auf einer Popularitätswelle.

Grünen-Politiker diskutieren angesichts der guten Umfragewerte schon darüber, wer von den beiden im Falle eines Wahlsiegs ins Kanzleramt einziehen soll. Bei einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur wünschten sich 25 Prozent Robert Habeck als Kanzlerkandidaten, nur 13 Prozent sprachen sich für CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und 9 Prozent für SPD-Vizekanzler Olaf Scholz aus.

Ähnlich sieht die Sache bei der FDP aus: Die Partei ist so sehr auf ihren Vorsitzenden Christian Lindner zugeschnitten, dass an ihm als Spitzenkandidat kein Weg vorbeiführen dürfte.

Unklare Situation bei AfD und Linken

Bei der AfD kämen zunächst die Vorsitzenden von Partei und Fraktion als Spitzenkandidaten in Frage: Alice Weidel, Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Weidel und Meuthen haben sich allerdings wegen fragwürdiger Wahlkampfspenden angreifbar gemacht. Meuthen hat zudem gerade einen Europawahlkampf hinter sich.

Bliebe nur Alexander Gauland, der als Machtzentrum der AfD gilt. Er deutete in einem Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" im Februar allerdings an, dass er aus Altersgründen bei einer Bundestagswahl 2021 wohl nicht mehr antreten würde: "In zwei Jahren, mit 80, wäre es dann vielleicht wirklich an der Zeit, sich zur Ruhe zu legen."

Falls Gauland sich doch noch einmal überreden lässt und die AfD wie 2017 mit einem Spitzenduo antritt, bräuchte er einen Partner. Als aufstrebende AfD-Politiker nennt die "Berliner Morgenpost" den Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz und die Bundestagsabgeordnete Mariana Harder-Kühnel.

Offen ist die Sache auch bei den Linken, die bisher stets ein Spitzenduo aufgestellt haben. Fraktionschef Dietmar Bartsch hätte wahrscheinlich gute Chancen, wie schon 2017 anzutreten. Seine damalige Partnerin Sahra Wagenknecht dagegen will sich aus der Politik zurückziehen.

Im Laufe des Jahres soll geklärt werden, wer Wagenknecht an der Spitze der Bundestagsfraktion folgt – vielleicht käme diese Person dann auch für eine Spitzenkandidatur in Betracht. Als mögliche Kandidatinnen gelten Parteichefin Katja Kipping oder Fraktionsvize Caren Lay.

Verwendete Quellen:

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