• Die Bundesregierung will die Bundeswehr mit einem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen besser aus- und aufrüsten.
  • Woher kommt das Geld? Wofür wird es ausgegeben? Und worüber gibt es gerade Streit?
  • Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Die Summe ist fast so groß wie die jährlichen Staatsausgaben von Portugal. Und sie könnte die Bundesrepublik dauerhaft verändern: Vor dem Hintergrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine will die Bundesregierung die Bundeswehr mit einem Sondervermögen besser ausstatten. Doch die Verhandlungen kommen nur mühsam voran. Worum es geht und wo es hakt.

Was genau ist ein Sondervermögen?

Es gab Sondervermögen bereits für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und für die deutsche Einheit. Jetzt will die Bundesregierung zusätzlich zum regulären Haushalt 100 Milliarden Euro für die Verteidigung bereitstellen.

Es handelt sich um eine Art Nebenhaushalt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zufolge wird das Geld in einem Fonds angelegt, den der Staat getrennt vom normalen Bundeshaushalt verwaltet. Der Bund muss nicht den kompletten Betrag in diesem Jahr ausgeben. Die Summe wird in den kommenden Jahren nach und nach investiert.

Das Sondervermögen soll zwei Funktionen erfüllen: Es soll erstens den Bundeshaushalt unangetastet lassen. Der Staat kann also zusätzliches Geld ausgeben, ohne bei den anderen Aufgaben zu sparen. Im Umkehrschluss soll das Sondervermögen ausschließlich für Verteidigungszwecke genutzt werden.

Zu diesem Zweck will die Ampel-Koalition es im Grundgesetz festschreiben. Dafür ist eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig – und dafür sind SPD, Grüne und FDP auf die Zustimmung von CDU und CSU angewiesen.

Woher kommt das Geld für das Sondervermögen?

Was der Begriff verschleiert: Es handelt sich beim Sondervermögen letztlich um zusätzliche Schulden. Die Finanzagentur des Bundes muss dafür Kredite aufnehmen. In diesem Jahr wird die Nettokreditaufnahme des Bundes daher auch einen Rekordwert von fast 240 Milliarden Euro betragen: Zur ursprünglich geplanten Neuverschuldung in Höhe von 99,7 Milliarden Euro kommen nämlich der Ergänzungshaushalt in Höhe von 39,2 Milliarden Euro und eben das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen hinzu.

Das Geld leiht sich der Staat bei Banken und Investoren. Es handelt sich um enorme Summen. Dass Deutschland diese Kredite bekommt, gilt aber als sicher. Die großen Ratingagenturen stufen die Bundesrepublik als sehr kreditwürdig ein.

Wie schnell die Kredite abbezahlt werden müssen, ist dem Bundesfinanzministerium zufolge noch unklar: Das werde erst in einem späteren Gesetz geregelt.

Warum ist das Sondervermögen aus Sicht der Regierung notwendig?

Das Sondervermögen ist Bestandteil der "Zeitenwende", die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar im Bundestag verkündet hat. "Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen", sagte Scholz unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Ziel sei eine "leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt".

Die Bundeswehr gilt als nur noch bedingt einsatzbereit. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nannte im Bundestag zwei Beispiele: Auf dem Papier habe die Bundeswehr 350 Schützenpanzer "Puma", davon seien nur 150 einsatzbereit. Beim Kampfhubschrauber Tiger sind es nur neun von 51 Maschinen.

Was will die Bundesregierung langfristig für die Verteidigung ausgeben?

Bundeskanzler Scholz hat auch angekündigt, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen wird. Demnach sollen die Mitgliedstaaten pro Jahr mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren. 2020 erreichte Deutschland nach Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) 1,4 Prozent.

Bei einer Wirtschaftsleistung von 3,5 Billionen Euro müsste der Wehretat 70 Milliarden Euro betragen, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. 2021 lag der Wert bei rund 47 Milliarden Euro. Es wäre also dauerhaft ein größerer Verteidigungshaushalt nötig. Allerdings will Scholz für das Zwei-Prozent-Ziel auch die Investitionen aus dem Sondervermögen anrechnen. Wie auch immer: Wenn sich Deutschland diesem Ziel verpflichtet, könnte das die Ausgaben für andere staatliche Aufgaben in den kommenden Jahren schmälern.

Worüber gibt es Streit?

Derzeit verhandeln die Ampel-Koalition und die Unionsparteien über das Sondervermögen – und zwar auch auf höchster Ebene. Mit dabei sind offenbar das Kanzleramt, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Koalition wollte das Gesetz für das Sondervermögen eigentlich schon in der vergangenen Woche in die zuständigen Bundestagsausschüsse geben. Daraus wurde aber nichts, denn die Verhandlungen gestalten sich schwierig.

Die CDU/CSU-Fraktion will Olaf Scholz beim Wort nehmen: "Für uns ist wichtig, dass die Versprechen des Bundeskanzlers vom 27. Februar tatsächlich umgesetzt werden: Die 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden müssen ausschließlich für die Streitkräfte ausgegeben werden", sagt Florian Hahn (CSU), verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Ampel-Koalition schreibt dagegen in ihrem Gesetzesentwurf: Das Sondervermögen soll der "Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit" dienen. Das Geld soll zum Beispiel auch dem Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr zugutekommen, der unter anderem für die Cyber-Abwehr zuständig ist.

Sara Nanni, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Wir wollen, dass das Sondervermögen auch in Bereiche fließt, die zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit den Nato-Partnern relevant sind. Der Anteil, der nicht bei der Bundeswehr landen würde, wäre aber überschaubar."

Offen ist zudem, ob und wie der Staat die Verteidigungsausgaben dauerhaft festschreibt. "Das Sondervermögen muss Lücken füllen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Wenn es ausgegeben ist, dürfen wir nicht wieder in die Unterfinanzierung rauschen. Sonst wäre das Sondervermögen nur ein Strohfeuer gewesen", sagt CSU-Politiker Hahn. Es gibt in der Union auch Stimmen, die eine Festschreibung des Zwei-Prozent-Ziels im Grundgesetz fordern. Das lehnen vor allem die Grünen ab.

Was will die Bundeswehr vom Sondervermögen anschaffen?

Die "Wunschliste" ist offenbar lang. Neue Kampfjets, Transporthubschrauber, Drohnen und Munition braucht die Bundeswehr. Außenministerin Baerbock sprach im Bundestag auch von einer zweistelligen Milliardensumme, die für den digitalen Funk nötig sei.

Es gibt aber keine öffentliche Aufstellung, wie das Sondervermögen genau verteilt wird. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht seriös, sagt Grünen-Politikerin Sara Nanni. "Die Rüstungsprojekte dauern zum Teil viele Jahre. Wie teuer sie dann am Ende werden, ist zum Teil noch unklar."

Was sagen die anderen Oppositionsparteien?

AfD und Linke lehnen das Sondervermögen grundsätzlich ab. AfD-Politiker Peter Boehringer sagte Ende April im Bundestag, es handele sich um einen "illegitimen Nebenhaushalt": Die Verfassung werde "missbraucht", obwohl mehr Geld für die Bundeswehr auch ohne Grundgesetzänderung möglich sei.

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali findet das Sondervermögen als Konsequenz aus dem Krieg in der Ukraine "absolut falsch". Sie zählte im Bundestag auf, was der Staat stattdessen mit der Summe von 100 Milliarden Euro anfangen könne: Man könne alle Schulen, marode Straßen und Brücken im Land sanieren, die Renten erhöhen und noch allen Kindern jeden Tag ein kostenloses Mittagessen bezahlen.

Kann das Sondervermögen scheitern?

Theoretisch ja. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Bezahlinhalt) gedroht, das Sondervermögen notfalls ohne Grundgesetzänderung (also ohne Zustimmung der Union) durchzusetzen. Wahrscheinlicher aber ist, dass Regierung und Opposition sich noch einigen. Schließlich sind beide Seiten auf eine Einigung dringend angewiesen.

Das Sondervermögen ist ein zentrales Projekt der Ampel-Koalition und vor allem von Bundeskanzler Scholz. Er kann es sich politisch kaum leisten, darauf zu verzichten. Schließlich ist in diesem Jahr schon eine allgemeine Corona-Impfpflicht gescheitert – ebenfalls ein Projekt, für das Scholz sich starkgemacht hatte.

Unter Druck steht aber auch die Union: Sie hat 16 Jahre das Verteidigungsministerium geführt und muss sich nun ständig den Vorwurf anhören, die Bundeswehr kaputtgespart zu haben. Wenn jetzt auch noch das Sondervermögen an CDU und CSU scheitert, könnten die Christdemokraten das ihren Wählerinnen und Wählern wohl nur sehr schwer erklären.

Verwendete Quellen

  • Debatte im Deutschen Bundestag
  • FAZ.net: Rolf Mützenich im Interview: "Verharmlost haben wir Präsident Putin nicht"
  • Gespräche mit Sara Nanni (Grüne) und Florian Hahn (CSU)
  • Bundesfinanzministerium.de: Sondervermögen Bundeswehr: Investition in unsere Freiheit
  • Bundestag: Drucksache 20/1409 (Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines "Sondervermögens Bundeswehr")
  • Bundeszentrale für Politische Bildung: Hintergrund aktuell Sondervermögen Bundeswehr
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