Mit dem Gewinn der Champions League beendet der FC Bayern eine schier unglaubliche Saison. Für einige Spieler schließt sich nun endlich ein Kreis, für das Gros der Mannschaft könnte es aber erst der Beginn einer Ära werden.

Eine Analyse

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Als alles vorbei war, die Lichter schon aus und das Stadion leer, kamen die Täter noch einmal zurück an den Tatort. Serge Gnabry, David Alaba und Joshua Kimmich schlenderten zurück ins "Stadion des Lichts" und legten sich am Mittelkreis zu den vielen Konfetti-Streifen auf den Boden. Die drei schauten in den Himmel, als plötzlich ihr Trainer Hans-Dieter Flick mit einer Flasche Bier in der Hand vor ihnen auftauchte und sich einfach dazusetzte.

Der Rest der Mannschaft blieb im Bauch der Arena, dort ging es vermutlich nicht ganz so leise und beschaulich zu wie draußen. Die Vier wollten offenbar ein paar Momente der Ruhe, wenngleich Kimmich eine Trommel dabei hatte und diese auch einige Male nutzte. Aber grundsätzlich blieben das ein paar stille Sequenzen nach einem wahnsinnig turbulenten Jahr - solche, die den Charakter dieser Mannschaft und den ihres Trainers wohl ganz gut in ein fast schon kitschiges Bild packten.

Der FC Bayern hat die Champions League 2020 gewonnen, die längste Saison aller Zeiten mit einem besonders merkwürdigen Verlauf. Die Münchener konnten damit am besten umgehen, mit den beiden Spielpausen im Frühjahr und kurz vor dem Endturnier in Lissabon. Mit dem Druck und der immer weiter gestiegenen Erwartungshaltung an eine Mannschaft, die plötzlich gar nicht mehr aufhören wollte, zu siegen. Mit den großen und kleinen Unwägbarkeiten, die einem in den Weg gelegt werden: Im Finale monierten die Spieler immer wieder den Druck der Spielbälle, einige seien zu hart, andere viel zu weich aufgepumpt gewesen. Und das in einem Champions-League-Finale.

FC Bayern in der Champions League: Elf Spiele, elf Siege

Der 1:0-Sieg gegen Paris Saint-Germain bringt die Bayern zurück auf Europas Thron. In "Champions of Europe" änderten die Münchner ihr Twitter-Handle noch in der Nacht zum Montag. Und das sind sie in der Tat. Nicht nur, weil sie faktisch ganz oben stehen, den Henkelpott im Laufe des Montags zurück nach München bringen werden. Sondern, weil diese Mannschaft die beste der Saison war und am Ende einfach nicht mehr zu bezwingen.

Elf Siege in elf Spielen der Königsklasse sind Beleg dieser Dominanz, das gab es noch nie. Von den letzten zwanzig Pflichtspielen haben die Bayern zwanzig gewonnen. Dabei war die Ausgangslage für einen Triumph in der Champions League und selbst in der Liga im letzten Herbst ziemlich schwierig. Mit der Entlassung Niko Kovacs begann die Wende zum Guten.

Kaum vorstellbar, dass diese Mannschaft in Zusammenarbeit mit Kovac jemals so weit gekommen wäre. Dem Ex-Trainer gehört natürlich trotzdem auch ein Stück vom großen Erfolg, immerhin betreute Kovac die Mannschaft über ein Drittel der Saison. Mit dem Endprodukt, mit der Art und Weise, wie die Bayern zuletzt auftraten, hatte Kovac aber nichts mehr zu tun.

Thomas Müller: "Der Haufen ist der Wahnsinn"

Unter anderem das unterscheidet die Bayern auch von ihren Triple-Vorgängern von 2013. Damals legte die Mannschaft getrieben von zwei verlorenen Endspielen im Jahr 2012 eine Saison wie aus einem Guss hin, marschierte einfach so durch und schrieb am Ende Geschichte. Dieses Mal mussten die Bayern erst durch ein tiefes Tal, der anschließende Aufstieg ist deshalb umso bemerkenswerter. Im Jahr eins nach Franck Ribéry und Arjen Robben, den vermeintlich Unersetzbaren.

Eine Meisterleistung, im wahrsten Sinne des Wortes. "Es fühlt sich unglaublich an. Wir haben eine Reise hinter uns. Der Haufen ist Wahnsinn, von A bis Z. Wir kamen im Herbst von relativ weit unten, vom Gefühl her. Aber dann haben wir eine Serie hingelegt, die sensationell ist", sagte dann auch Thomas Müller nach dem Spiel bei "Sky". An Müller ist die Entwicklung der Mannschaft besonders schön zu erklären. Der Routinier war ja gefühlt auch schon weg vom Fenster, ein Fall für den "Altglascontainer", wie er es selbst beschrieb.

Dann kam Hansi Flick, der mit ein paar konventionellen taktischen Eingriffen und jeder Menge Empathie diesen Müller und die gesamte Mannschaft wieder zum Laufen brachte. Die Bayern fühlten sich plötzlich wieder wie Brüder untereinander, "eine Mannschaft ohne Stinkstiefel" sei das, so Müller. Das ist die Basis und auch auf diesem Niveau, wo die Besten der Besten gegeneinander antreten und es weder spielerisch noch körperlich ganz große Unterschiede gibt, der entscheidende Faktor.

Neuer macht den Unterschied

So war es dann auch im Finale gegen PSG. Die Pariser hatten die besseren Chancen, drangen ein paar Mal wie befürchtet durch das bayerische Mittelfeld und hinter die letzte Linie. Neymar, Angel di Maria und Kylian Mbappé teilten sich drei große Chancen in der ersten Halbzeit fast brüderlich auf, alle drei fanden aber nicht den Weg ins Tor.

Die Bayern hatten auch ihre Gelegenheiten, aber PSG schien insgesamt gefährlicher. Den Bayern konnte eine eher durchwachsene erste Halbzeit - wie schon im Halbfinale gegen Lyon - aber wenig anhaben. "Auch heute waren wir nicht fehlerfrei", sagte Kimmich. "Trotzdem hatten wir schon ein bisschen dieses Gefühl der Unschlagbarkeit." Und Manuel Neuer, wobei das eine vermutlich sehr stark mit dem anderen zusammenhängt.

"Gefühlt haben wir es in dieser Art und Weise verdient, mit einem Quäntchen Glück und Manuel Neuer zwischen den Pfosten", fasste Müller ganz gut zusammen. Die Bayern bekamen das Spiel nach der Pause besser in den Griff und brachten ihre größte Chance sogleich ins Ziel. Kingsley Comans Kopfballtor nach rund einer Stunde machte letztlich den Unterschied.

Den Rest erledigte Neuer. "Manuel ist fast schon Wettbewerbsverzerrung", gestand ein erstaunlich gefasster Thomas Tuchel danach. Für den deutschen Trainer und seine französische Mannschaft war es ja eine Premiere, in einem großen europäischen Finale zu stehen und in einigen Momenten merkte man das den Spielern auch an.

Besonders Neymar und Mbappé blieben insgesamt eher blass, jedenfalls unter den Erwartungen in einem Spiel dieser Gewichtsklasse. Wohl nicht zufällig siegte letztlich jene Mannschaft, der dieses Gefühl eines Finaltags schon vertraut war. Die letzten sieben Finalisten, die erstmals ins Endspiel einziehen konnte, verloren dann gegen eine jeweils etablierte Mannschaft. Borussia Dortmund gelang zuletzt als Neuling der Sprung ganz nach oben, aber das ist nun auch schon wieder 23 Jahre her.

Beginn eines Zyklus

Für die Bayern hat sich 2013 ein Kreis geschlossen, das Triple damals war das Ende einer sehr, sehr langen Reise. Damals war es gefühlt die letzte Chance für Spieler wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Robben, Ribéry, ehe sich ein echtes Trauma hätte entwickeln können.

Die Bayern der Neuzeit stehen dagegen eher am Anfang eines neuen Zyklus. Für Robert Lewandowski oder Thiago, im Finale einmal mehr überragend in seinem vielleicht letzten Spiel für die Münchener, ist das Ziel nun erreicht, die große Last endlich abgeworfen. Das Gros der Truppe sollte aber noch sehr viele, sehr erfolgreiche Jahre vor sich haben.

Spieler wie Gnabry, Leon Goretzka, Alphonso Davies, Coman, Niklas Süle und Kimmich werden bald das Rückgrat bilden. Die Nacht von Lissabon ist nur ein Etappenziel, ein Zwischenstopp. "Das ist der größte Tag in meiner Karriere. Es ist gar nicht so einfach, zu beschreiben, was man empfindet, mit so einer Truppe auf dem Platz zu stehen. Wenn man wirklich mit Brüdern einen Titel gewinnt, dann ist es das Maximum, das man erreichen kann", sagte Kimmich zwar. Aber warum sollte das dann automatisch auch das Ende sein?

Beim FC Bayern gibt es noch jede Menge zu erledigen, sonst wäre es ja nicht der FC Bayern. Schon bald werden Oliver Kahn oder Hasan Salihamidzic mahnen, den Blick in die Zukunft zu richten. Spätestens in drei Wochen, wenn die neue Saison mit der ersten DFB-Pokal-Runde startet.

Die Bayern sind nun ganz oben. Die ganz große Kunst ist es, dort auch so lange wie möglich zu bleiben. "Erfolg", sagte Hansi Flick noch bevor er ins Stadioninnere zu seinen Jungs ging, "ist nur gemietet. Und die Miete ist jeden Tag fällig."

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