Auch in ihrer zweiten Sendung hat das sachliche Gespräch Vorrang vor wildem Polit-Krawall. Caren Miosga spricht am Sonntagabend mit ihren Gästen ruhig, aber eindringlich über die Frage, ob die Ukraine den Krieg noch gewinnen kann. Dafür hat sie vorab den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj interviewt und unter anderem über den Fall gesprochen, dass Putin ein Nato-Land angreift.

Christian Vock
Eine Kritik
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Am vergangenen Sonntag hatte Caren Miosga ihren ersten Sonntagabend-Talk als Nachfolgerin von Anne Will. Auch, wenn nicht alles perfekt lief und Friedrich Merz manche Antwort schuldig blieb, erreichte Miosga doch auf Anhieb ihr Ziel, weniger Krawall-Runde als vielmehr Gesprächsplattform zu sein. Das schaffte Miosga auch in Ausgabe Nummer zwei, hatte mit Wolodymyr Selenskyj zudem noch einen ganz besonderen Gast – auch wenn der gar nicht vor Ort war. Die Frage des Abends: "Kann die Ukraine den Krieg noch gewinnen, Herr Selenskyj?"

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Mit diesen Gästen diskutierte Caren Miosga

  • Wolodymyr Selenskyj: Caren Miosga reiste am vergangenen Mittwoch per Zug nach Kiew, um den ukrainischen Präsidenten zu interviewen. Zentrale Passagen dieses Interviews diskutierte Miosga dann am Sonntagabend mit ihren Gästen im Studio, zum Beispiel die ausbleibenden Taurus-Lieferungen. Selenskyj sei deshalb aber nicht von Olaf Scholz enttäuscht, sein Frust gehe weiter zurück: "Die deutsche Politik hat mich enttäuscht, die, als die Krim besetzt wurde, nicht die Rolle gespielt hat, die sich die Ukraine, Europa und die Welt verdient haben."
  • Lars Klingbeil (SPD): Der SPD-Vorsitzende verteidigt die Ukraine-Politik von Olaf Scholz, will aber bestimmte Themen, etwa zu den Taurus-Lieferungen, nicht kommentieren. "Die Bundesregierung hat über diese Frage noch nicht entschieden", sagte Klingbeil. Über einen potenziellen Ringtausch mit Großbritannien könne er noch weniger sagen, meint aber: "Wir liefern inzwischen so viel, dass wir oft über die Grenzen dessen hinausgehen, was wir vertreten können." Gleichzeitig warnt Klingbeil: "Wir müssen uns in Deutschland vergegenwärtigen, dass, wenn wir Putin nicht stoppen, Polen, Finnland, das Baltikum die nächsten sein können."
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Caren Miosga mit ihren Gästen Sabine Fischer (l.), Lars Klingbeil (2.v.r.) und Vassili Golod (r.). © NDR/Thomas Ernst
  • Sabine Fischer: Fischer ist Osteuropa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik und stellt in Russland eine gewisse Kriegsmüdigkeit fest: "Der stärkste Ausdruck von Kriegsmüdigkeit ist der Erfolg, den der unabhängige Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin errungen hat." Zu einem potenziellen Deal mit Putin unter einer Trump-Regierung in den USA sagt Fischer: "Es ist eine Illusion, dass man mit dem Regime in Moskau diesen Konflikt einfrieren kann."
  • Vassili Golod: Der Leiter des ARD-Studios in Kiew erklärt, dass die Taurus-Marschflugkörper zwar den Krieg nicht grundlegend verändern, ihn aber für Russland deutlich erschweren würden: "Die Taurus-Marschflugkörper würden helfen, die russische Logistik zu zerstören." Über die aktuelle militärische Situation sagt Golod: "Es ist eine große Enttäuschung, dass die Gegenoffensive gescheitert ist. Sie ist gescheitert, weil die Unterstützung zu spät kam."

Das Gespräch des Abends

Es ist ein erstaunliches Gespräch, das Caren Miosga am vergangenen Mittwoch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geführt hat. Der Hintergrund des Zimmers versprüht eine dunkle, schwere Atmosphäre und auch die Themen sind alles andere als leicht: die Enttäuschung über die jahrelange Politik des Westens, die aktuellen Luftangriffe, die Frage nach Selenskyjs eigener Kraft oder die rücksichtslose Kriegsführung Russlands.

Gleichzeitig schafft es Miosga schnell, eine persönliche Verbindung zu dem Präsidenten zu schaffen, was dazu führt, dass beide trotz all der Schwere auch einmal gemeinsam lachen.

Die wichtigsten Aussagen Selenskyjs

  • Selenskyj spricht über sein Verhältnis zu Bundeskanzler Olaf Scholz und wie sich dieses Verhältnis gewandelt habe: "Mein Eindruck ist, dass der Bundeskanzler wahrscheinlich einige Dinge besser verstanden hat." Dazu zählte, dass Putin nicht nur eine Bedrohung für die Ukraine sei, sondern auch für Deutschland. "Wo auch immer Russland dieses oder jenes Nato-Land trifft, in jedem Fall würde das den Anfang des Dritten Weltkrieges bedeuten."
  • Nachdem Scholz diese Risiken verstanden habe, habe er auch verstanden, dass er nicht nur Bundeskanzler, sondern "einer der Leader in Europa" sei. "Deshalb sind seine Schritte die Schritte eines Leaders", so Selenskyj.
  • Über die Aussage von Verteidigungsminister Boris Pistorius, man könne nicht alles liefern, weil man auch dafür sorgen müsse, dass im Falle eines Angriffs Russlands die eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten bleibe, sagt Selenskyj: "Die Waffen werden euch dann kaum helfen. Das ist ein anderer Krieg, das sind andere Menschen, Russland ist völlig anders."
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Selenskyj bei "Caren Miosga": "Waffen werden euch dann kaum helfen"

Im Gespräch mit Caren Miosga erklärt Selenskyj, weshalb es seiner Meinung nach keinen Sinn ergibt, wenn Deutschland seine Waffen für sich behält. (Quelle: ARD/ Thomas Ernst)
  • Weiter sagt Selenskyj, dass Russland besonders im Kampf um Awdijiwka keine Scheu habe, seine eigenen Soldaten zu verheizen, um die Ukraine zu erschöpfen: "Das sind Haufen von Leichen. Sie bringen sie nicht einmal weg."
  • Für Menschen, die beim Kriegsausbruch geflohen sind, um etwa ihre Kinder zu beschützen, zeigt Selenskyj Verständnis und erklärt gleichzeitig, dass Rückkehrer nicht zwangsläufig zur Front müssten, sondern die Ukraine auch anders unterstützen könnten: "Es gibt Menschen, die fortgegangen und nicht zurückgekehrt sind. Das ist ihr gutes Recht. Aber wenn sie Ukrainer sind, sollten sie Steuern zahlen, vorzugsweise in der Ukraine."
  • Über die Reaktion der CDU-Regierung unter Angela Merkel 2014 und danach sagt Selenskyj: "Die deutsche Politik hat mich enttäuscht, die, als die Krim besetzt wurde, nicht die Rolle gespielt hat, die sich die Ukraine, Europa und die Welt verdient haben."

So schlug sich Caren Miosga

Nun ist es natürlich ein bisschen arg früh, um bereits ein endgültiges Urteil darüber zu fällen, wie gut oder schlecht sich Caren Miosga in ihrer neuen Rolle als Polit-Talkerin macht. Zum einen, weil es am Sonntagabend gerade einmal ihre zweite Sendung war, wir also noch in der Eingewöhnungsphase sind und die Redaktion noch genügend Zeit hat, Dinge anzupassen.

Zum anderen war die Sendung am Sonntagabend mit Sicherheit nicht repräsentativ. Schließlich hatte Miosga mit Wolodymyr Selenskyj einen alles andere als gewöhnlichen Gast. Hinzu kommt der Umstand, dass sie das Interview vorab führen musste, um Selenskyjs Einschätzungen dann live im Studio mit ihren Gästen zu diskutieren.

Trotzdem lassen sich nach dieser zweiten, eher untypischen Ausgabe ein paar Grundsätzlichkeiten feststellen und die augenscheinlichste ist Miosgas Wunsch, dem Zuschauer weniger Krawall zu zeigen und stattdessen mehr Orientierung zu liefern. Zentraler Punkt dabei, so banal es klingen mag, ist der Wechsel von einem offenen Stuhl-Halbkreis hin zu einem Tisch. Das Gegenüber lässt sich viel leichter aus einer Halbdistanz anschreien, als wenn es nur wenige Zentimeter neben oder vor einem sitzt.

So ein Tisch schafft also Verbindung, nicht umsonst sagt man, man müsse sich zur Klärung eines Problems "an einen Tisch setzen". Ein Gespräch am Tisch bei "Caren Miosga" hat eher die Atmosphäre eines Küchengesprächs als das einer Polittalk-Arena. Für den Zuschauer ist das eine Wohltat, zumindest für den Zuschauer, der auf Geschrei und die ewigen "Aber Ihre Partei hat doch ..."-Vorwürfe verzichten kann.

Dass die nicht kommen, hat noch einen zweiten Grund: die Auswahl der Gäste. Am Sonntagabend sitzt Miosga mit gerade einmal drei Gästen da, die Runde ist also im Vergleich zur Konkurrenz überschaubar. Zum anderen ist mit Lars Klingbeil lediglich ein Politiker anwesend, was von Haus aus das übliche Parteien-Geplänkel ausschließt. Stattdessen hat mit Sabine Fischer und Vassili Golod die Mehrheit der Gäste einen Experten-Hintergrund, was ebenfalls zu einer sachlichen Ebene beiträgt.

Doch auch ein Tisch hat zwei Seiten, will heißen, dass Miosga nicht nur Themen besprechen, sondern auch hartnäckige Fragen stellen und Antworten bekommen will – gerade von Seiten der Politik. Dass sie dabei bei Lars Klingbeil und dessen permanenter – und verständlicher – Verteidigung der Regierungsarbeit abprallt, liegt nicht am Konzept der Sendung. Teflon-Sätze wie "Die Bundesregierung hat über diese Frage noch nicht entschieden" hört man von Klingbeil so oder so ähnlich auch in anderen Formaten.

Das Fazit

Ja, die zweite Ausgabe war wegen des Interviews mit Wolodymyr Selenskyj vielleicht nicht repräsentativ, aber dennoch lässt sich erkennen, wohin die Reise mit Caren Miosga gehen wird: weniger Streit, weniger sinnloses Parteiengezänk, mehr Gespräche, mehr Sachlichkeit, mehr Expertentum. Diesen Part, so viel lässt sich dann doch nach zwei Ausgaben sagen, beherrscht Miosga gut. Für den Zuschauer ergibt sich dadurch tatsächlich die Chance, einmal mit Lösungen oder anderen Erkenntnissen aus einem Polittalk zu gehen.

Ob es Miosga gleichzeitig aber auch gelingt, einen Gesprächspartner einmal in die Bredouille oder sogar in die Ecke zu treiben und ob sie das überhaupt will, lässt sich nach den bisherigen Ausgaben allerdings noch nicht so recht beantworten. Das Potenzial dazu hat Misoga allemal, denn manchmal können Charme und Freundlichkeit entwaffnender sein als die härteste Nachfrage. Oder anders formuliert: Caren Miosga tut dem Polittalk in Deutschland jetzt schon gut.

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