• Die Parteien der Ampelkoalition tragen derzeit ihre Meinungsverschiedenheiten in der Öffentlichkeit aus.
  • Dabei sind Kompromisse durchaus möglich – und manche Probleme erscheinen größer, als sie eigentlich sind.
  • Vier besonders hartnäckige Streitpunkte und vier Lösungsansätze.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die selbsternannte Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP macht zurzeit vor allem mit Streit und Diskussionen auf sich aufmerksam. Etwa 30 Gesetzesvorhaben sind der "Süddeutschen Zeitung" (Bezahlinhalt) zufolge blockiert, weil einer der Koalitionspartner unzufrieden ist. Vor allem Grüne und FDP tragen ihre Meinungsverschiedenheiten auch öffentlich aus.

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Die Nerven sind angespannt: Grüne und FDP sind genervt voneinander, die SPD ist genervt vom Dauerzwist ihrer Koalitionspartner, der Bundeskanzler wünscht sich weniger Getöse. Und nicht zuletzt dürften sehr viele Menschen im Land genervt sein vom Erscheinungsbild der Bundesregierung.

Deshalb wollen wir uns hier auf die Suche nach möglichen Auswegen aus dem Dauerstreit machen. Denn für manche Streitthemen gäbe es durchaus Kompromisse. Andere werden gerade etwas heißer gekocht, als sie gegessen werden.

Streit 1: Kindergrundsicherung

Darum geht es:

Das Bundesfamilienministerium will das Kindergeld, den Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien und weitere Sozialleistungen zusammenlegen und die Beantragung erleichtern. Diese neue Kindergrundsicherung soll damit mehr Familien erreichen als bisher. Den Kinderzuschlag zum Beispiel beantragen derzeit nur drei von zehn Familien, die ein Anrecht darauf hätten. Aus Sicht der Grünen ist die Kindergrundsicherung ein wichtiger Schritt für den Kampf gegen Kinderarmut und ein zentrales sozialpolitisches Projekt der Ampel.

Allerdings steht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Bremse. Seine Kollegin, Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), rechnet für die Kindergrundsicherung mit Mehrkosten von 11 bis 13 Milliarden Euro. Dafür sieht Bundesfinanzminister Christian Lindner im Bundeshaushalt 2024 keinen Spielraum.

So ließe sich der Streit lösen:

Die Grundidee finden alle Koalitionsparteien gut. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte unserer Redaktion zur Kindergrundsicherung: "Sie kann ein Erfolgsprojekt dieser Koalition werden, wenn es gelingt, den Bürokratie- und Leistungsdschungel des bestehenden Systems zu lichten und sicherzustellen, dass das Geld überhaupt bei den Kindern und den Familien ankommen kann." Das Bundesfamilienministerium habe allerdings noch wichtige Verwaltungsfragen zu beantworten.

Der Knackpunkt sind die Kosten. In der Koalition gibt es Zweifel, ob die vom Familienministerium geforderten bis zu 13 Milliarden Euro wirklich nötig sind. Hinter den Kulissen heißt es dazu, man verstehe nicht, wie Ministerin Paus auf diese Summe kommt. Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) sagte im "Bericht aus Berlin", es gehe nicht nur um Geld, sondern gerade um einfachere Antragsverfahren.

Mehr Geld wäre für das Projekt wohl auf jeden Fall nötig – möglicherweise aber ein kleinerer Betrag, als ihn die Familienministerin fordert. Und damit würden wohl auch die Hürden im Bundeshaushalt kleiner werden.

Streit 2: Straßen und Autobahnen

Darum geht es:

Als besonders verfahren gilt der Streit um den Straßenbau. Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Parteien darauf geeinigt, Planung und Bau von Bahnstrecken, Stromtrassen und kritischen Brücken zu beschleunigen. Das Vorhaben steckt aber derzeit fest: Die FDP will auch die Planung von Autobahnen und Straßen beschleunigen. Sie argumentiert, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland auf flüssigen Auto- und Lkw-Verkehr angewiesen ist.

Die Grünen wollen dem Gesetzesvorschlag von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber nicht zustimmen. Sie sind zwar auch für die Sanierung von bestehenden Brücken. Ein Ausbau und Neubau von Straßen sei aber nicht im Sinne des Natur- und Klimaschutzes.

So ließe sich der Streit lösen:

Hier prallen Ökonomie und Ökologie aufeinander – doch Raum für Kompromisse gibt es bereits. Vonseiten der Grünen wird zum Beispiel immer wieder darauf hingewiesen, dass der Bundesverkehrswegeplan "überladen" sei. Darin sind die Verkehrsprojekte aufgeführt, in die der Bund investieren will.

Ein möglicher Kompromiss könnte so aussehen: Die Grünen tragen es mit, dass Straßen und Autobahnen schneller gebaut werden können. Im Gegenzug erklärt sich die FDP bereit, besonders umstrittene Autobahnen aus dem Bundesverkehrswegeplan zu streichen. Das könnte zum Beispiel für die Erweiterung der A100 in Berlin gelten. Sie ist sowieso aufwendig und teuer: Der "Tagesspiegel" hat 2020 ausgerechnet, dass ein einziger Meter davon 191.608 Euro kostet.

Streit 3: Verbrennungsmotor

Darum geht es:

Ab 2035 sollen in der Europäischen Union nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden – also Elektroautos und solche, die mit Brennstoffzellen betrieben werden. Das würde faktisch das Aus des Verbrennungsmotors bedeuten – zumindest für Privatwagen und kleine Nutzfahrzeuge. Die FDP hält die endgültige Entscheidung in Brüssel allerdings auf: Sie will auch nach 2035 an Verbrennungsmotoren festhalten, wenn diese mit klimaneutralen künstlich hergestellten Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, betrieben werden.

Ein Nein von Deutschland allein kann das Verbrenner-Verbot zwar nicht aufhalten. Doch eine Verschiebung der Entscheidung hat Bundesverkehrsminister Wissing bereits erreicht – denn möglicherweise würden sich weitere Staaten anschließen. Nicht nur die Europäische Kommission ist verärgert, sondern auch die Grünen: Sie sehen im Ende des Verbrennungsmotors den vielleicht wichtigsten Schritt zur klimaschonenderen Mobilität.

So ließe sich der Streit lösen:

Die deutsche Bundesregierung hat das Problem bereits von sich geschoben: Die EU-Kommission müsse nun erklären, wie E-Fuels nach 2035 eingesetzt werden können, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Kabinettsklausur in Meseberg. Er steht in dieser Frage also auf der Seite der FDP.

Dieses Problem hat aber noch eine andere Ebene: Möglicherweise wird um das Thema mehr Wind gemacht als nötig. Selbst wenn die FDP sich durchsetzt, muss das die Verkehrswende nicht unbedingt aufhalten. Die Herstellung von E-Fuels ist bisher teuer und energieintensiv. Der ADAC hat berechnet: Von der Energie eines einzelnen Windrads mit drei Megawatt Leistung ließen sich 1.600 Elektroautos betreiben – aber nur 250 Fahrzeuge mit E-Fuels.

Auch viele Autobauer haben inzwischen angekündigt, schon vor 2035 aus der Produktion von Pkw mit Verbrennungsmotoren auszusteigen. Auch wenn unklar ist, wie gehaltvoll so eine Ankündigung ist: Wenn die Industrie ihrerseits Fakten schafft, würde der Verbrenner auch ohne eine Entscheidung der Politik nach und nach verschwinden.

Streit 4: Öl- und Gasheizungen

Darum geht es:

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) will eine Verabredung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen: Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine hat die Ampelkoalition sich im vergangenen Sommer darauf verständigt, diesen Schritt auf Anfang 2024 vorzuziehen.

Habecks Ministerium zufolge haben Bauherren und Eigentümerinnen dann folgende Optionen: Sie können eine Wärmepumpe installieren, mit Strom oder Biomasse heizen oder ihr Haus an ein Fernwärmenetz anschließen lassen (wenn das in der Kommune möglich ist).

Die FDP hat diesen Plan zwar im Sommer mitbeschlossen, will ihn nun aber nicht mehr mittragen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Kruse prangerte auf Twitter eine "Verschrottungsorgie" von Habecks Haus an.

So ließe sich der Streit lösen:

Die Pläne aus dem Wirtschaftsministerium sind in der Tat anspruchsvoll. Wichtig ist: Bestehende Heizungen können weiterbetrieben und bei Defekten repariert werden – Habeck will den Menschen keineswegs das Heizen verbieten. Allerdings können auch Bestandsheizungen irgendwann irreparabel kaputtgehen und müssten dann durch neue ersetzt werden. Etliche technische Fragen seien noch ungeklärt, schrieb vor Kurzem der "Spiegel" (Bezahlinhalt) über Habecks Pläne. Hinzu komme: "Sie verlangen den Bürgern teils enorm hohe Investitionen ab."

In einer Übergangszeit von drei Jahren können defekte Gasthermen auch durch gebrauchte Geräte ersetzt werden. Hier könnte Habeck seinen Kritikern entgegenkommen und die Übergangsfristen noch ein Stück verlängern.

Nicht zuletzt geht es auch bei dieser Frage um Geld. Der Austausch einer Heizung muss niemanden ruinieren, wenn der Staat dabei hilft. Robert Habeck kündigte am Donnerstag an, dass die Bundesregierung den Einbau neuer Anlagen finanziell unterstützen wird – vor allem einkommensschwache Haushalte. Natürlich müsste der Finanzminister dafür im Haushalt Mittel bereitstellen.

Wie die Kindergrundsicherung ist auch die Diskussion um die Heizungen vor diesem Hintergrund zu verstehen: Die Ministerinnen und Minister kämpfen gerade um ihre Etats im nächsten Haushalt. Vielleicht wird etwas Rauch schon in der kommenden Woche verzogen sein: Am 15. März soll das Bundeskabinett die Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2024 beschließen. Bis dahin müssen die Parteien zumindest in den finanziellen Fragen Lösungen finden.

Verwendete Quellen:

  • adac.de: Synthetische Kraftstoffe – Sind E-Fuels die Zukunft?
  • bmwk.de: Wärmewende: BMWK leitet Umstieg aufs Heizen mit Erneuerbaren ein
  • spd.de: Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
  • spiegel.de: Warum Habecks Heizungspläne für die Bürger teuer werden können (Bezahlinhalt)
  • sueddeutsche.de: Die verkeilte Koalition (Bezahlinhalt)
  • tagesschau.de: "Wir haben die Kindergrundsicherung auf der Agenda", Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, SPD
  • tagesspiegel.de: A100 – Deutschlands teuerste Straßenbaustelle: In Berlin kostet ein Meter Autobahn 191.608,13 Euro
  • Twitter-Account von Michael Kruse
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