• Verkehrsminister Volker Wissing will in Berlin die Stadtautobahn A100 verlängern. Der Berliner Senat ist strikt dagegen.
  • Die Diskussion um den 17. Bauabschnitt beschäftigt die Hauptstadt – und sorgt für einen Konflikt zwischen dem Verkehrsministerium und Berlin.
  • Es wäre das erste Mal, dass der Bund ein großes Infrastrukturprojekt gegen den Willen eines Landes durchsetzt. Blick auf einen Grundsatzstreit.

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Es geht um gerade einmal vier Kilometer. Doch die haben es in sich. Aus Sicht ihrer Gegner stehen sie für eine Verkehrspolitik des letzten Jahrhunderts, schlagen eine teure Schneise in eine gewachsene Stadt. Aus Sicht ihrer Befürworter sind sie eine Notwendigkeit, bringen Entlastung von Stau und Abgasen.

Die Rede ist vom 17. Bauabschnitt der Berliner Stadtautobahn A100: Das Bundesverkehrsministerium unter seinem Chef Volker Wissing (FDP) will die Planung dafür vorantreiben – die rot-grün-rote Berliner Landesregierung ist strikt dagegen. "Es wäre die erste Autobahn, die an der Landesregierung vorbei gebaut würde", hat die Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) gesagt.

Dieser Streit wird mit harten Bandagen geführt - und vielen Vorwürfen. Von einem "Affront", von "Eskalation", von einer autoritären Entscheidung ist die Rede. Schließlich wirft dieses Stück Autobahn ein paar grundlegende Fragen auf. Über die Mobilität der Zukunft, über den deutschen Föderalismus und auch über das Zusammenwachsen der deutschen Hauptstadt.

Ein Meter des 16. Bauabschnitts kostet fast 200.000 Euro

Die A100 schlägt vom Nordwesten Berlins einen Bogen in den Südosten der Stadt, verläuft ungefähr parallel zum S-Bahn-Ring um die Innenstadt. Zurzeit wird der fast 700 Millionen Euro teure 16. Abschnitt gebaut, der im Osten der Stadt wieder Richtung Norden abbiegt. Da er zum Teil in Tunneln oder einem Trog durch die dicht besiedelte Stadt führt, gilt er als teuerster Autobahnabschnitt Deutschlands. Ein einziger Meter davon koste 191.608 Euro, hat 2020 der "Tagesspiegel" ausgerechnet.

Dieser 16. Abschnitt soll 2024 fertig sein. Doch 2016 beschloss der Bundestag, dass es weitergehen soll. Ein weiterer 17. Abschnitt würde die A100 demnach über die Spree und dann zwischen den Stadtteilen Friedrichshain und Lichtenberg weiter nach Norden führen. So beschloss es die damalige Große Koalition im Bundesverkehrswegeplan. Konkrete Kostenschätzungen gibt es noch nicht, aber der 17. Abschnitt wäre ein Mammutprojekt: Die Trasse würde zum Teil durch Wohngebiete verlaufen, in einem Tunnel unter dem Ostkreuz hindurch und später über ein Einkaufszentrum hinweg führen.

Bund will weiterbauen – Giffey erfuhr davon aus der Presse

Das inzwischen von der FDP geführte Bundesverkehrsministerium will an der Erweiterung festhalten. "Es wird weiter gebaut", verkündete die Parlamentarische Staatssekretärin Daniela Kluckert (FDP) Anfang April in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost". Die Autobahn-Gesellschaft des Bundes habe die Ausschreibungen für die Planungen veröffentlicht.

In der Berliner Senatskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei sorgte Kluckert damit für Entrüstung. Bürgermeisterin Franziska Giffey erklärte düpiert, man habe von dem Schritt aus der Presse erfahren. Ihre Landesregierung hatte sich eigentlich darauf verständigt, den 17. Autobahnabschnitt auf Eis zu legen.

ADAC: "Berlin wäre besser verknüpft"

Für den Weiterbau der A100 sind CDU, FDP und AfD in Berlin. Die Hauptstadt brauche die A100, um die Menschen in den Wohngebieten zu entlasten, teilte der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner mit. Der Senat dürfe "die vielen Hundert Millionen Euro aus dem Verkehrshaushalt nicht nutzlos verfallen lassen". Aus Sicht der Befürworter würde Abschnitt 17 nicht nur mehrere Stadtteile an das Autobahnnetz und den neuen Flughafen BER anbinden, sondern auch den Auto- und Lkw-Verkehr aus den Straßen holen, damit für weniger Lärm- und Abgase sorgen.

Die A100 war ursprünglich eine Westberliner Autobahn, nach der Wiedervereinigung wuchs sie auch in den Osten. "Berlin wäre durch diese Strecke besser verknüpft", sagte Edgar Terlinden vom ADAC Berlin-Brandenburg im Gespräch mit dem Tagesspiegel (Bezahlinhalt). Es müsse möglich sein, dass eine Frau aus Reinickendorf, die sich nicht mehr gut bewegen kann, mit dem Auto ihre Tochter in Friedrichshain besucht.

Linken-Politiker: "Massiver Eingriff" in die Stadt

SPD, Grüne und Linke dagegen stellen derzeit die Landesregierung – und haben sich darauf geeinigt, den 17. Bauabschnitt bis 2025 nicht weiterzuverfolgen. Kristian Ronneburg, Sprecher für Mobilität der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, glaubt nicht an eine entlastende Wirkung des Autobahnabschnitts. "Wir wissen aus Forschung und Praxis der vergangenen Jahrzehnte, dass große Straßenbauprojekte nicht zu einer Entlastung der Anliegerstraßen geführt haben. Sie haben eher für mehr Verkehr gesorgt", sagt Ronneburg im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Der Weiterbau der A100 würde dafür sorgen, dass mehr Autos und Lkw in die Stadt fahren."

Der Ärger über den Bund ist groß in der Berliner Senatskoalition. Einen solchen Eingriff in die Stadt will sich Rot-Grün-Rot nicht vom Bund vorschreiben lassen. "Man kann diese Trasse nicht konfliktfrei führen", sagt Kristian Ronneburg. "Man würde intakte städtische Infrastruktur zerstören und massiv in die Bebauung eingreifen. Mehrere Wohnhäuser, eine Schule und ein Park wären unter anderem betroffen."

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Eine Grundsatzfrage

Ein neuer Autobahnabschnitt passt nicht zu der Verkehrspolitik, die sich der Senat vorgenommen hat. Die Grünen stellen inzwischen nicht nur mehrere Bezirksbürgermeister in der Hauptstadt, sondern mit Bettina Jarasch auch die Verkehrssenatorin. Sie wollen den Radverkehr und den Öffentlichen Nahverkehr fördern, statt die Stadt weiterhin vor allem Autos zu überlassen.

Der Streit über die A100 beschäftigt auch die Ampel-Koalition auf Bundesebene. Die FDP profiliert sich in dem Bündnis als Anwältin der Autofahrer. Die Grünen dagegen dringen auf eine Verkehrswende – und pochen auf den Koalitionsvertrag. "Die Rot-Grün-Gelbe Koalition hat sich im Bund darauf geeinigt, sich über laufende Autobahn- und Bundesstraßenprojekte gemeinsam zu verständigen", teilte der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar mit. "Eine solche gemeinsame Verständigung erfolgte zur A100 nicht."

"Wissing wird Dialog mit Senat suchen"

Allerdings wirft das Thema auch eine andere Frage auf: Der deutsche Föderalismus basiert auf der Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Die Zuständigkeit für die "Bundesfernstraßen" liegt zwar beim Bund. Doch ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung eine Autobahn trotz Widerstands eines Bundeslandes baut? "Dieser Weiterbau ist eine autoritäre Entscheidung", sagte Felix Creutzig, Professor für Nachhaltigkeitsökonomie an der Technischen Universität Berlin, dem "Tagesspiegel". Der Linken-Politiker Kristian Ronneburg meint: "Wenn der 17. Abschnitt wirklich gebaut wird, wäre das ein Präzedenzfall. Denn der Bund würde damit ein Infrastrukturprojekt gegen den ausdrücklichen Willen des betroffenen Landes durchsetzen."

Das Bundesverkehrsministerium ist bemüht, die Wogen zu glätten. Eine Sprecherin betont auf Anfrage unserer Redaktion, dass der Bau noch nicht beschlossen sei. Derzeit finde eine "Bedarfsplanüberprüfung" statt, bei der das Ministerium das Projekt noch einmal auf seine Notwendigkeit und Folgen für Umwelt und Anwohnende abklopft. Erst danach werde man entscheiden, welchen Weg Verkehrsminister Volker Wissing vorschlägt. Die Sprecherin teilt dazu mit: "Selbstverständlich wird Bundesminister Dr. Wissing den Dialog mit dem Berliner Senat suchen, wenn sich Neuigkeiten oder Veränderungen in Bezug auf die A100 ergeben."

Quellen:

  • Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Pressestelle
  • Kristian Ronneburg, Die Linke
  • CDU.berlin.de: A100 soll zur Klimaautobahn weiterentwickelt werden
  • Morgenpost.de: Kluckert über die A100: "Wir brauchen die Autobahn"
  • Stefan-Gelbhaar.de: Geplanter 17. Bauabschnitt der A100: weder nötig noch sinnvoll
  • Tagesspiegel.de: In Berlin kostet ein Meter Autobahn 191.608,13 Euro
  • Tagesspiegel.de: Streitgespräch zur A100 in Berlin: "Sobald Infrastruktur für Autos gebaut wird, stirbt das Leben in der Stadt"
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