• Bundeskanzler Olaf Scholz hat in Cottbus die Fragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet.
  • Es ging beim Kanzlergespräch um die Gesundheitsversorgung, die Rente – und natürlich den Ukraine-Krieg.
  • Scholz blieb stets höflich. Nur zum Vorwurf, Deutschland sei ein "Vasallenstaat" der USA, gab er deutliches Contra.

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Bevor es losgeht, spricht Doris Dreßler die Sache mit der Verantwortung an: Fühlt sich der Kanzler denn auch wirklich verantwortlich, die Fragen und Anregungen aus Cottbus mit nach Berlin zu nehmen? Eines möchte sie nicht: Dass sich Olaf Scholz an diesem Abend die Nöte und Sorgen der Menschen nur anhört – und dann zurück in die Hauptstadt fährt, ohne dass sich danach etwas ändert.

In loser Folge lädt die Bundesregierung zum "Kanzlergespräch" ein. Olaf Scholz tourt damit durch alle Bundesländer, um zu hören, was die Menschen umtreibt. Auf Augenhöhe soll das geschehen, wie es so schön heißt. "Alle Fragen können gestellt werden", steht in der Ankündigung. Scholz war mit diesem Format schon in Marburg und Magdeburg, in Gifhorn, Essen und Lübeck.

Cottbus: "Gute Perspektiven" – und trotzdem kein leichtes Pflaster

Am Dienstagabend also Cottbus: 160 Menschen, die sich zuvor angemeldet hatten, bilden in der Stadthalle einen großen ovalen Stuhlkreis, um den Regierungschef in ihrer Mitte mit Fragen löchern.

In der zweitgrößten Stadt Brandenburgs lassen sich Erfolge und Brüche der deutschen Wiedervereinigung studieren. Die Deutsche Bahn plant hier ein Instandsetzungswerk mit 1.200 Arbeitsplätzen, die Universität einen Wissenschaftspark. "Gute Perspektiven", nennt das der Bundeskanzler.

Wirtschaftliche Erfolge haben Misstrauen und Ängste der Menschen allerdings nicht restlos vertrieben. Das nahende Ende der Braunkohleförderung macht vielen Sorge. Rechtsextreme haben in Cottbus viel Zulauf. Im vergangenen Jahr schaffte es der AfD-Kandidat in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters.

Verhandlungen über die Ukraine? Scholz: Erst muss Putin seine Truppen zurückziehen

Natürlich treibt der russische Krieg in der Ukraine die Menschen im Saal um. Eine Frau spricht das Manifest für Frieden von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht an: "Warum wird es als naiv und blind bezeichnet?", will sie wissen. Aus ihrer Sicht muss die Bundesregierung viel stärker auf Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine dringen.

"Ich spreche mit dem russischen Präsidenten. Als einer von wenigen", sagt der Kanzler dazu. "Und ich werde das auch weiter fortsetzen." Er betont aber: Als Erstes müsse Wladimir Putin seine Truppen zurückziehen – erst dann eröffne sich ein Ort für Gespräche. "Mit Verhandlungen ist es noch nicht gemacht. Die Ukraine muss ihre Unabhängigkeit behalten und die Bedingungen müssen für die Ukrainerinnen und Ukrainer akzeptabel sein."

An der militärischen Unterstützung der Ukraine will Scholz daher festhalten. Ein Gast fragt, ob Deutschland Teile der Wirtschaft nicht sogar auf "Kriegsproduktion" umstellen müsse. Das Wort will der Bundeskanzler ausdrücklich nicht in den Mund nehmen. Doch eine Ausweitung der Produktion hält er durchaus für nötig. An ein schnelles Ende des Krieges glaubt der Kanzler nicht: "Wir müssen befürchten, dass das noch länger geht – auch wenn wir uns wünschen, es wäre anders."

Etwas Eigenlob bei der Rente

Eine ältere Dame aus dem Publikum möchte wissen: Ist es nicht ungerecht, dass Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen? "Das können wir den König von Preußen fragen", antwortet Scholz mit einem Augenzwinkern. Der habe das staatliche Rentensystem erfunden.

Mitarbeiter im öffentlichen Dienst seien "Staatsdiener", hebt Scholz hervor. "Sie haben kein Recht zu streiken und müssen in besonderen Situationen immer verfügbar sein." Wegen dieser Loyalität befürwortet er gewisse Privilegien von Beamten – wie etwa, dass sie sich nicht am Rentensystem beteiligen müssen.

Aus Sicht von Scholz haben die Deutschen bei dem Thema Grund zur Zuversicht: Heute müssten sie doch "nur" unter 20 Prozent (18,6 Prozent, Stand: Januar 2023) ihres Bruttogehalts in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. "Und das, obwohl wir bessere Leistungen eingeführt haben, wie die Anhebung der Mütterrente oder die Erwerbsminderungsrente im letzten Jahr". Scholz lobt damit die Arbeit seiner Regierung. Die Renten-Entwicklung findet er "ordentlich".

Ist Deutschland kein souveräner Staat? Scholz hat eine klare Antwort

Der nächste Fragesteller geht es offensiver an. Es geht um das Verhältnis zu den USA. "Deutschland ist kein souveräner Staat, sondern ein Vasallenstaat der USA", schimpft der Mann: Die Bundesrepublik führe nur Befehle der Großmacht aus.

"Wir sind ein souveräner Staat. Das wurde mit den vier Alliierten vereinbart" – für diese klare Antwort erntet Scholz Applaus. Die Menschen in Deutschland würden freiwillig in einer Demokratie leben und bräuchten Freunde in der Welt, sagt Scholz: zum Beispiel die Europäische Union und auch die USA. Darauf sei das Land auch angewiesen: Dem deutschen Rüstungsetat von 50 Milliarden Euro pro Jahr stehen 800 Milliarden der USA gegenüber.

Aber Scholz kommt noch einmal auf den Vorwurf zurück: "Wir nehmen keine Befehle von den USA an." Deswegen habe Deutschland etwa 2003 nicht am amerikanischen Irakkrieg teilgenommen. Er betont noch einmal: Den Krieg gegen die Ukraine habe Russland angefangen. Und niemand sonst.

Ampel-Streit: "Es braucht ein bisschen weniger Getöse"

Etwas persönlicher wird es, als ein Mann wissen möchte, wie es der Kanzler mit den vielen Streitereien innerhalb der Ampel-Koalition aushält.

Scholz lächelt erstmal verschmitzt. "Einmal habe ich ja schon auf den Tisch gehauen." Er erinnert damit an sein "Machtwort", als er im Oktober 2022 von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machte und den Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken durchsetzte.

"Wir regieren ja mit drei Parteien und wollen das große Drama, den Krieg in der Ukraine, gemeinsam bewältigen", sagt der Kanzler. In diesen "interessanten Zeiten" sei ein "Umbruch" möglich. Statt "Zukunftspessimismus" wirbt er für Vertrauen in die Regierung – auch wenn die angesichts der großen Herausforderungen manchmal laut streitet.

Trotzdem kann er sich am Ende einen kleinen Seitenhieb auf Grüne und FDP nicht verkneifen: "Bei allem braucht es ein bisschen weniger Getöse, wenn es nach mir ginge."

Zu wenig Ärzte, zu wenig Pflegende

Mehrmals sprechen die Gäste die Gesundheitsversorgung an. Es gebe zu wenig Ärztinnen und Ärzte, vor allem im Umland von Cottbus, sagte eine Frau. Die Chefin eines ambulanten Pflegedienstes klagt zudem über massive Lohnerhöhungen und einen großen Fachkräftemangel in der Branche.

Scholz verspricht daraufhin keine Revolution, nur viele kleine Schritte. Die Regierung habe "ein paar Mittel möglich gemacht" für mehr Ärzte im ländlichen Raum. Und mit einer Pflegereform wolle man dafür sorgen, dass die Pflegeversicherung "ein bisschen besser refinanziert wird".

Die eingangs erwähnte Doris Dreßler allerdings gibt sich mit kleinen Schritten nicht zufrieden. Sie ist Kommunalpolitikerin für die Linke im Spree-Neiße-Kreis und fordert vom Bund mehr Unterstützung bei der Unterbringung von Geflüchteten. "Wir bekommen die gewaltige Wut der Bürger ab."

Auch der Ärztemangel treibt sie um: An Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe sie schon einen Brief geschrieben, erzählt Dreßler – aber eine Antwort habe sie nie erhalten.

"Schönen Dank für Ihre Frage"

Beim Kanzlergespräch in Gifhorn im vergangenen November hatte sich Scholz noch einen Patzer geleistet. Damals war bei einer Antwort der Eindruck aufgekommen, er mache sich über die Sorgen eines Bürgers lustig.

An diesem Abend passiert nichts Vergleichbares. "Schönen Dank für Ihre Frage", lautet fast immer der erste höfliche Satz seiner Antwort. Der Kanzler nutzt die Fragen vor allem, um seine Politik zu präsentieren. Doch mit den oft etwas unkonkreten Antworten geben sich die meisten Gäste offenbar zufrieden. Am Ende bildet sich eine lange Schlange: Der Kanzler posiert noch für Selfies.

Doris Dreßler kann zumindest ein Versprechen des Kanzlers mitnehmen. Er will den Bundesgesundheitsminister noch einmal auf den Brief der Kreisrätin hinweisen. "Jemand hier hat das bestimmt notiert", sagt er. "Ich sorge dafür, dass das beantwortet wird." Doris Dreßler wird bestimmt sehr gespannt darauf warten.

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