Erik Meijer spielte früher für Bayer Leverkusen und ist heute bei Sky für seine taktischen Analysen bekannt. Vor dem Top-Spiel zwischen Bayer Leverkusen und Bayern München am Samstag (18:30 Uhr, live auf Sky) spricht der frühere Bundesligaspieler von Bayer Leverkusen über die Stärken und Schwächen der beiden Mannschaften, über die Kritik an Thomas Tuchel und den Einfluss von Harry Kane.

Ein Interview

Herr Meijer, das Top-Spiel zwischen Bayer 04 Leverkusen und Bayern München steht bevor. Gibt es für Sie einen Favoriten?

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Erik Meijer: Normalerweise ist die Mannschaft der Favorit, die auf dem 1. Tabellenplatz steht. Dabei würde ich auch in diesem Fall bleiben.

Dann ist also Bayer Leverkusen der Favorit. Was macht die Mannschaft in dieser Saison so stark und stabil, dass sie noch kein einziges Pflichtspiel verloren hat?

Der Trainer lässt die Mannschaft ein System spielen, das sie verstehen, mit dem sie erfolgreich sind und mit dem sie in dieser Saison noch nie verloren haben. Durch dieses Vertrauen treten sie mit breiter Brust auf. Auch wenn sie einmal zurückliegen, geraten sie nicht in Panik – nicht einmal in der 90 oder 92. Minute. Die Mannschaft glaubt an ihr Konzept. Und sie haben mit Xabi Alonso einen Trainer an der Seitenlinie, der das ebenfalls ausstrahlt. Das bekommen nicht viele Trainer hin. Jürgen Klopp ist zum Beispiel ein Trainer, der in die Köpfe der Spieler hineinkam. Ich habe das Gefühl, dass Alonso das in Leverkusen ebenfalls erreicht hat.

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"Er lässt einen sexy Fußball spielen!"

Erik Meijer

Was ist das Besondere an seiner taktischen Handschrift?

Um es einmal umgangssprachlich zu sagen: Er lässt einen sexy Fußball spielen! Dafür gehen die Menschen ins Stadion. Leverkusen spielt technisch gut, ist konditionell stark, denkt als Team und findet kreative Lösungen, um die gegnerische Abwehr zu knacken. Das funktioniert mit schnellen Pässen, mit Tempo-Läufen und vor allem mit einer sehr hohen Qualität.

Gibt es Positionen, auf denen Bayer Leverkusen für Sie besser aufgestellt ist als der FC Bayern München?

Ja, auf den Außenverteidiger-Positionen ist Bayer Leverkusen mit Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong für mich besser aufgestellt als Bayern München, außerdem auf der Sechser-Position mit Granit Xhaka, der der Denker und Lenker von Leverkusen ist.

Die Leistungseinbrüche des FC Bayern

Der FC Bayern leistete sich immer wieder unerklärliche Leistungseinbrüche – vor allem gegen den 1. FC Saarbrücken, Eintracht Frankfurt und Werder Bremen. Warum ist der FC Bayern nicht gefestigt genug?

Während Bayer Leverkusen über die bisherige Saison eine feste Achse mit bestimmten Schlüsselspielern hat, ist diese beim FC Bayern immer wieder weggebrochen – ob nun Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder andere Spieler. Dies hing natürlich auch mit den vielen Verletzungen zusammen. Der einzige stabile Faktor beim FC Bayern ist Harry Kane.

Wie kann Bayer Leverkusen vorgehen, um Harry Kane zu stoppen?

Bayer braucht einen sehr guten Tag, um Kane zu stoppen. Er ist kein Spieler, der innerhalb von 90 Minuten 70 Ballkontakte hat. Aber er ist sehr schlau und weiß ganz genau, wann er vorne in den Sturm geht und wann er sich auf die Zehner-Position fallen lässt. Und wenn sich Kane fallen lässt, gibt es einen Thomas Müller – ich gehe mal davon aus, dass er spielt –, der ins Sturmzentrum geht. Diese Kombination finde ich sehr spannend. Bayern München steht dort, wo sie stehen, weil Harry Kane da ist. Ohne Kane würde Bayern auf Tabellenplatz 4 stehen.

Die große Entdeckung der Saison ist der 19-jährige Bayern-Youngster Aleksandar Pavlovic im Mittelfeld. Was zeichnet ihn aus?

Er hat noch keinen Ballast. Er spielt einfach so, wie er denkt, dass es richtig ist. Pavlovic erinnert mich in dieser Hinsicht ein bisschen an Florian Wirtz, als er im Profifußball ankam. Er spielt befreit und ohne Hemmungen, fühlt sich dabei in seiner Rolle sehr wohl. Es ist nicht einfach, in eine Mannschaft hineinzukommen, die nicht 100-prozentig funktioniert. Aber er kann durch seine Art Akzente setzen. Ich finde es super, dass es wieder junge Spieler in München gibt, die in die erste Mannschaft gelangen. Das war über eine lange Zeit nicht der Fall.

"Es ist Fakt, dass Bayern München keinen überragenden Fußball spielt"

Erik Meijer

Wie bewerten Sie die Kritik an Thomas Tuchel und den Leistungen des FC Bayern München? Ist sie gerechtfertigt oder überzogen?

Es ist Fakt, dass Bayern München keinen überragenden Fußball spielt, wenn man das mit Bayer Leverkusen oder auch dem VfB Stuttgart vergleicht. Wir sind es über die Jahre gewohnt, dass Bayern München das Allerbeste ist, was es in Deutschland gibt. Momentan trifft das nicht zu. Aber: Das ist noch immer Bayern München. Und sie haben nur zwei Punkte weniger als Bayer Leverkusen. Zudem wissen sie aus Erfahrung, wie man Titel gewinnt. Dies fehlt Bayer Leverkusen noch.

Während Bayer Leverkusen am Dienstagabend noch das Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart hatte, konnte sich der FC Bayern die komplette Woche voll auf das Top-Spiel fokussieren. Ist das ein großer Vorteil?

Leverkusen hatte in dem Pokalspiel ein Erfolgserlebnis. Das setzt positive Energie frei. Allerdings habe ich auch vier, fünf Spieler gesehen, die in der 83. oder 84. Minute bereits die Hände auf den Knien hatten und ausgewechselt werden wollten. Aber Leverkusen befindet sich im Rhythmus und kann bis Samstagabend regenerieren. Daher dürften die Batterien aufgeladen sein. Und wenn ich an meine eigene Karriere zurückdenke: Ich habe immer lieber gespielt als trainiert.

Die Unterschiedsspieler von Bayer Leverkusen und Bayern München sind nicht zuletzt Florian Wirtz und Jamal Musiala. Sind das die besten Spieler Deutschlands?

Das sind die Spieler, für die die Leute ins Stadion gehen, die die Einzelaktionen machen und die zwei oder drei Gegenspieler ausspielen können. Hätte ich einen Sohn, würde ich ihm sagen, dass er sich eines der beiden Trikots aussuchen kann – ein anderes als von Wirtz oder Musiala würde ich ihm nicht kaufen (grinst).

Sehen Sie viele Parallelen oder auch Unterschiede zwischen den beiden 20-Jährigen?

Es gibt nur wenig Unterschiede zwischen den beiden. Beide laufen unglaublich viel, sind technisch auf einem unglaublich hohen Niveau und sind sehr kreativ. Sie spielen einen Gegenspieler aus, sodass ein weiterer Gegenspieler hinzukommen muss. Dadurch wird ein Mitspieler frei. Jede Mannschaft, die dominant spielt, braucht das heutzutage. Und dann machen sie auch noch Tore.

Meijer sieht mehr Ballbesitz bei Bayer Leverkusen

Wie müsste Bayer Leverkusen vorgehen, um dem FC Bayern große Probleme zu bereiten? Und umgekehrt: Wie müsste der FC Bayern vorgehen, um Bayer Leverkusen die erste Saison-Niederlage zuzufügen?

Ich denke, dass Bayer Leverkusen mehr Ballbesitz haben wird. Bayern München wird ihnen den Ballbesitz gönnen, tiefer stehen und seine Stärke im schnellen Umschaltspiel ausspielen – über Jamal Musiala, Leroy Sane und Harry Kane. Diese Art von Konterfußball ist nicht typisch für die Bayern, weil sie immer eher dominant sind. Aber sie sind im Umschaltspiel sehr gefährlich. Bayer Leverkusen spielt gerne dominant und mit viel Spielkontrolle, geht dann aber auch viel Risiko ein. Das könnte gegen Bayern gefährlich sein. Leverkusen braucht einen perfekten Tag.

Sie haben vorhin gesagt, dass Bayer Leverkusen für Sie der Favorit ist. Denken Sie auch, dass Leverkusen dann Meister wird?

Da werde ich mich jetzt noch nicht festlegen. Die Saison geht noch lange. Als Niederländer habe ich früher gelernt: Du hast erst gegen eine deutsche Mannschaft gewonnen, wenn der Schiedsrichter mit dem Ball in der Kabine sitzt. So ist das mit Bayern München auch. Ich wurde mit Leverkusen selber zweimal Vize-Meister, weil Bayern München beide Male die Nase vorne hatte. Das tut noch immer weh.

Eine letzte Frage zu Ihrem heutigen Tätigkeitsgebiet: Sie sind bei Sky für Ihre taktischen Analysen, an denen Sie uns gerade teilhaben ließen, bekannt. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Erst einmal bespreche ich mit dem Leiter der Sendung, was wir am Wochenende machen und welche Spiele wir haben. Danach wähle ich Bilder aus, damit ich anhand kleiner Ausschnitte etwas verdeutlichen kann. Dann steht mir ein technischer Mitarbeiter zur Seite, der mir die Bilder kalibriert. Das ist also eine Teamarbeit. Ich muss mich nur hinstellen und versuche mit meinem holländischen Akzent zu erklären, wie das funktioniert. Aber ohne meine Kollegen aus der Technik wäre das nicht möglich. Das ist Teamwork, und genau das liebe ich.

Über den Gesprächspartner

  • Erik Meijer (Jahrgang 1969) spielte in seiner aktiven Zeit unter anderem für Bayer 04 Leverkusen, den Hamburger SV und den FC Liverpool. Im Jahre 2006 beendete er seine aktive Laufbahn und war zunächst Co-Trainer bei Alemannia Aachen, später auch Geschäftsführer Sport. Heute ist er als Experte und Analyst für den TV-Sender Sky aktiv.
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