CSU und SPD haben in Bayern massiv verloren. Die meisten Medien sehen darin ein neues Problem für die große Koalition in Berlin. Selbst einen Koalitionsbruch befürchten einige - vor allem wegen der Schwäche der SPD. Die internationale Presse beleuchtet hingegen vor allem die Stärke der Grünen.

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Welche Ursachen hat der dramatische Stimmverlust von CSU und SPD bei der Bayern-Wahl und welche Auswirkungen hat die Landtagswahl auf die große Koalition in Berlin? Vor allem mit diesen Fragen beschäftigen sich die Kommentatoren.

Deutsche Pressestimmen zur Bayern-Wahl

"Süddeutsche Zeitung": "Widerwille gegen ein 'Weiter so'"

"Der Widerwille gegen ein 'Weiter so' war in CDU und SPD schon vor diesem Wahlsonntag stetig gewachsen. Nun wird er einen kräftigen Schub bekommen. Die unionsinternen Kritiker Angela Merkels werden ihr anlasten, erhebliche Mitschuld am bayerischen Ergebnis zu tragen, und sie werden weiter Oberwasser gewinnen.

Merkel, geschwächt wie sie ist, wird sich dagegen kaum wehren können. Sie sollte spätestens nach einer für die Christdemokraten enttäuschenden Landtagswahl in Hessen ihre Ankündigung überdenken, beim Parteitag im Dezember erneut für den CDU-Vorsitz zu kandidieren.

Die Spitze der Sozialdemokraten wird wegen des für die SPD desaströsen Ergebnisses in Bayern noch viel stärker unter Druck geraten, die bei vielen Genossen verhasste große Koalition zu verlassen."

"Spiegel Online": "Bayerisches Bundesbeben"

"Ein CSU-Vorsitzender, der seine Partei am Wahlabend zur Geschlossenheit aufrufen muss, dokumentiert damit nur zweierlei: die Geschlossenheit ist weg - und der Vorsitzende auch bald. Auch das Amt des Bundesinnenministers wird Horst Seehofer dann kaum behalten können.

Und es spricht einiges dafür, dass sein Ausscheiden nicht die einzige Veränderung am Berliner Kabinettstisch bleiben wird. Die SPD ist zwar in Bayern traditionell schwach, dass sie sich im Vergleich zur vergangenen Landtagswahl glatt halbiert hat und nun mit einem traurigen Ergebnis von unter zehn Prozent nur noch die fünftstärkste Fraktion im Parlament stellt, kann auch für ihre Bundespolitik nicht ohne Folgen bleiben. Die SPD muss raus aus der großen Koalition, solange es die Partei überhaupt noch gibt.

Das Epizentrum dieses politischen Bebens namens Landtagswahl liegt in Bayern. Es kann eine Flutwelle auslösen, die diese Bundesregierung hinwegspült."

"Bild": "Die GroKo ist ein Grab"

"Knallhart hat es die CSU getroffen. Ihre Strategie – wenn es überhaupt eine gab – ist gescheitert: Die ewige Staatspartei Bayerns hat in der Mitte an die Grünen UND am rechten Rand zur AfD gleichermaßen verloren. (...)

Die SPD wird nicht einmal mehr als Opposition ernsthaft gebraucht. Die Grünen sind das neue Rot. Sie sind die größten Wahlsieger. Sie haben es geschafft, dass weltoffene, bürgerliche Wähler vor allem Grün wählen, wenn ihnen Kurs und Stil der CSU nicht mehr passen.

Man darf wetten: Der SPD-Spitze um Andrea Nahles stehen jetzt unruhigere Zeiten bevor als Markus Söder und Horst Seehofer bei der CSU. So schnell kann der Wind drehen."

"FAZ": "Ein Schock, der die Schmerzen überlagert"

"Zudem besteht die Gefahr, dass durch einen immer schwerer zu kontrollierenden Streit die Frage, wie es mit der Parteivorsitzenden und Kanzlerin weitergeht, eine solche Eigendynamik entwickelt, dass jede Bemühungen um eine gesteuerte Nachfolgeregelung vergebens sein könnten. Viele in der CDU wollen nur eins: in möglichst großer Ruhe regieren.

Womit die Frage aufgeworfen wäre, ob das mit einer SPD, die in Bayern zur Kleinpartei geworden ist, im Bund noch geht. Der kurze Auftritt der Vorsitzenden Andrea Nahles am Wahlabend in Berlin, ihr Aufruf, so könne es nicht weitergehen, ihre Kritik am Zustand der großen Koalition: All das erweckt nicht den Eindruck, als wollten die Sozialdemokraten einfach 'Schwamm drüber' sagen und weitermachen wie gehabt. Die Folgen der Bayern-Wahl werden mindestens tiefgehende Diskussionen innerhalb der Koalitionsparteien in Berlin ebenso wie zwischen ihnen sein. Wenn das reicht."

"Zeit Online": "Danke, Bayern!"

"Aber das Wichtigste an dieser historischen Wahl nach drei Jahren Flüchtlingskrise geht weit über die CSU und Bayern hinaus: Der Hebel, mit dem die AfD die Republik Stück für Stück nach rechts gewuchtet hat, ist vorerst abgebrochen, zumindest angeknackst. Der abenteuerliche Versuch, diese schreckliche Partei durch Anpassung und Mimikry kleinzukriegen, wurde von der CSU bis Ende Juni und von Horst Seehofer persönlich bis in den September hinein auf die Spitze getrieben. Das Ergebnis dieses Großexperiments lautet immer noch: 10,2 Prozent für die AfD. Das wird den anderen Parteien und womöglich sogar der CSU eine bittere Lehre sein."

"Münchner Merkur": "Die Mutter aller Niederlagen"

"Die Partei erwarten nun Tage des Zorns. Dennoch dürfte, wenn das Scherbengericht vorbei ist, Markus Söder die neue Koalition mit den Freien Wählern unangefochten anführen. Wer denn sonst? Die CSU hat eine demütigende Niederlage hinnehmen müssen. Aber besiegt, so wie in manchen Landstrichen die große Schwester CDU, ist sie noch lange nicht, und schon gar nicht zerstört wie die bedauernswerte Bayern-SPD. Söder ist klug genug zu wissen, dass er sich und seine CSU jetzt neu erfinden muss. Mancher wird sich noch wundern, wie modern und öko beide bald daherkommen werden.

Folgenreicher als im Epizentrum München könnten die Schäden sein, die das bayerische Beben in Berlin angerichtet hat. Der Austritt der völlig entkräfteten SPD aus der GroKo ist wohl nur noch eine Frage der Zeit."

"Abendzeitung": "Gescheiterte Mission"

"Die Mission Ministerpräsident ist es nicht, die absolute Mehrheit Geschichte. Das liegt zunächst einmal daran, dass die Menschen Söder den plötzlichen Wandel zum sorgenden Landesvater nicht abnehmen. Der CSU-Kampfhahn will plötzlich Kümmerer sein und wirkt dabei, als habe er sich einmal mehr zur Fastnacht in Franken verkleidet. Söder hatte in der Öffentlichkeit schon viele Gesichter. (...)

So verwundert nicht, was die ersten Zahlen zeigen: Diese CSU wollen die Bayern nicht mehr allein regieren lassen. Der Freistaat soll zwar bürgerlich bleiben, aber bitte mit Korrektiv. Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft erhoffen viele von den Grünen. Authentisch, optimistisch, unverbraucht, so präsentierte sich deren Spitzenduo im Wahlkampf – das kam an."

Internationale Pressestimmen zur Bayern-Wahl

"Der Standard" (Österreich): Bayerns Wähler hatten die CSU einfach satt

"Sehr viele Wählerinnen und Wähler hatten die CSU einfach satt, obwohl das Land wirtschaftlich boomt. Doch das aktionistische Kreuzaufhängen in den Amtsstuben hing ihnen ebenso zum Hals heraus wie das umstrittene Polizeiaufgabengesetz. Unerträglich war das Schauspiel, das der neue Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer aufführten: Sie kämpften gegeneinander und veranstalteten daneben peinliche Schmuseshows. (...) Ein Gutteil dieser gewaltigen Wahlniederlage ist auf das Auftreten in Berlin zurückzuführen. Mal hü in der Asylpolitik, mal hott, und das über Jahre – es war einfach unerträglich."

"Kurier" (Österreich): Was heißt das für Angela Merkel?

"Jetzt wird wieder viel spekuliert werden, was das für Angela Merkel heißt. Ist ein demolierter Unions-Partner gefährlicher oder weniger gefährlich? Wieso erkennen Politiker nie, wann es Zeit ist zu gehen? Aber zur Zeit könnte in München auch bloß eine Weißwurst platzen, schon würden atemlose Medien eine Beschleunigung der Merkel-Dämmerung konstatieren. Nein, das Platzen der CSU-Allmacht ist zunächst eine rein bayerische Angelegenheit. Und dann eine, die weit über Deutschland und Frau Merkel hinaus geht. (...) Die Regierenden verlieren, auch wenn es den Regierten gut geht. Bayern hat die besten Wirtschaftsdaten, hat Wachstum, praktisch Vollbeschäftigung, blühende Unternehmen – und trotzdem sagt der Wähler denen, die die Weichen dafür gestellt haben: trollt euch."

"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz): Wahlergebnis wird personelle Konsequenzen haben

"Ohne personelle Konsequenzen kann eine solche Niederlage nicht bleiben. Ministerpräsident Markus Söder gilt zwar als unpopulär, doch Bundesinnenminister Horst Seehofer, der Chef der CSU, stand bei sämtlichen Streitereien, welche die große Koalition in den vergangenen Monaten erschütterten, im Zentrum des Geschehens. Seine Zeit als Minister könnte bald schon zu Ende sein."

"De Volkskrant" (Niederlande): Frage nach Überzeugungskraft der großen Koalition

"In den kommenden Wochen wird in Berlin die Frage zu beantworten sein, wie viel Überzeugungskraft die ohnehin schon taumelnde große Koalition noch hat. Jetzt, wo dieser Verlust die CSU wieder auf das reduziert hat, was sie eigentlich immer war: eine regionale Partei. In der SPD, die bereits im vergangenen Jahr auf Bundesebene eine krachende Niederlage erlitten hat, wird die Debatte über die destruktive Auswirkung einer Koalition mit der CDU/CSU wieder aufleben."

"El Mundo" (Spanien): Bayern beschert Europa ein neues politisches Beben

"Ein neues politisches Erdbeben - wie viele hat es bereits gegeben? - erschüttert die Europäische Union. Denn das besorgniserregende Ergebnis der gestrigen Wahl in Bayern (...) ist ein weiterer Harpunenschuss in das Gemeinschaftsprojekt und die Möglichkeit, die Werte, auf denen es basiert, zu stärken. Es ist naiv zu glauben, dass das, was in der Lokomotive der EU passiert, den Fortschritt bei der Integration nicht bremsen wird. Der Absturz der CSU (...) geht mit dem beunruhigenden Aufstieg der extremen Rechten in diesem Bundesland einher, die ein großartiges Ergebnis erzielt. Und, nicht weniger wichtig, ist der Untergang der SPD, die fast in die Irrelevanz stürzt und einen historischen Schlag erleidet."

"Corriere della Sera" (Italien): Warnung aus Bayern für Merkel

"Ist es der letzte Akt der Volksparteien in Deutschland? Von der Wahl in Bayern geht die unmissverständliche Warnung aus, dass es große Umbrüche in der politischen Welt in Deutschland geben wird - sie ist nicht mehr der starre Motor auf der europäischen Bühne. (Bundestagspräsident) Wolfgang Schäuble hat bereits diese großen Beben vorhergesehen, die von der Landtagswahl im reichsten Bundesland ausgehen werden. Kanzlerin (Angela) Merkel ist geschwächt (...).

Jetzt kommt Hessen dran, wo die CDU ironischerweise mit den Grünen regiert. Und in Umfragen sieht es nicht gut aus für (CDU)-Ministerpräsident Volker Bouffier. Wenn er verliert, wird der Druck auf Merkel steigen."

"La Repubblica" (Italien): Die Grünen als wahre Alternative

"Die Sozialdemokraten haben nach der Wahlschlappe vor einem Jahr Europa zum Programm gemacht. Aber auf die großen Ankündigungen im Koalitionsvertrag mit Kanzlerin Merkel sind keinerlei Fakten gefolgt. Diese deutsche Regierung war mit Blick auf Europa noch zurückhaltender und noch visionsloser als die letzte. Und so haben die Wähler den Grünen ihre Stimme gegeben, die wirklich Pro-Europäer sind, die noch in der Lage sind, eine wahre Alternative aufzuzeigen. Und die nie davon abgewichen sind, die Menschenrechte der Flüchtlinge in Deutschland und Europa zu verteidigen."

"Gazeta Wyborcza" (Polen): Bayern wird grüner

"Die deutsche Politik steht nach der Flüchtlingskrise im Schatten der AfD. Die Populisten fordern, Ordnung mit Flüchtlingen, Muslimen und der Europäischen Union zu machen und gewinnen deswegen an Unterstützung. Die großen Parteien, einst Garanten für die Stabilität der deutschen Politik, schwächeln. (...) Doch die bayerischen Grünen sind stärker geworden. Es ist der Verdienst der 33-jährigen Katharina Schulze, der Wahllokomotive der Partei. Die junge Politikerin hat nach 13 Jahren starrer Politik Angela Merkels die Chance, die deutsche politische Szene zu verjüngen. Und sie war es, die ein erfolgreiches Rezept gegen das Programm der AfD ausarbeitete, die sich von den Ängsten der Deutschen vor Einwanderern und den Veränderungen der Gesellschaft nährt."

"Magyar Idök" (Ungarn): CSU muss jetzt standfest bleiben

"Jetzt kommt eine neue Welt. (...) Die radikalen, migrationsfeindlichen Kräfte schafften den Durchbruch: Die AfD kann als rechte Opposition zur CSU mit einem ernsthaften Ergebnis im Rücken in den Münchener Landtag einmarschieren. (...) Für die CSU als stärkste Kraft liegt auf der Hand: Sie darf sich auf keine peinlichen Kompromisse mit dem Gegner einlassen. Denn dies hätte zur Folge, dass sie zwischen der Linken und der radikalen Rechten zerrieben würde.

Stattdessen muss sie eine Politik verfolgen, die - bereits mit Blick auf die Europawahl 2019 - den Willen der heimischen Wähler ebenso wie die europäischen Realitäten reflektiert."

(zusammengestellt von cai/dpa)
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