• 2017 musste Martin Schulz als Kanzlerkandidat das bis dato schwächste SPD-Ergebnis bei einer Bundestagswahl verantworten - 20,5 Prozent.
  • Schulz scheidet zum Ende der Legislatur aus dem Bundestag aus und konzentriert sich auf den Vorsitz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
  • Ein Gespräch über die große Koalition, Olaf Scholz und die Grünen.
Ein Interview

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Herr Schulz, hat Olaf Scholz Sie schon um Rat für seinen Wahlkampf gebeten?

Martin Schulz: Wir arbeiten eng zusammen und ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass Olaf Scholz Ratschläge von mir braucht.

Und wenn er doch noch fragen sollte: Was haben Sie aus Ihrer Kandidatur für das Kanzleramt 2017 gelernt?

Man muss immer seine Linie beibehalten und auf die eigene Intuition vertrauen. Das ist gerade in zugespitzten Wahlkampfzeiten wichtig.

Von Olaf Scholz' Linie und seiner Eignung für das Kanzleramt sind die Deutschen offenbar überzeugt, im Politbarometer lag er zuletzt vor Armin Laschet und Annalena Baerbock. Die SPD aber kommt trotz ihres populären Kandidaten nicht aus dem Umfragetief.

Das deutsche Wahlsystem funktioniert nun mal so: Wer einen bestimmten Kandidaten im Kanzleramt sehen möchte, der muss auch dessen Partei die Stimme geben. Natürlich sehen die Zahlen für die SPD im Moment nicht rosig aus. Aber Umfragen zeigen auch, dass viele Wählerinnen und Wähler noch unentschlossen sind oder sich noch gar nicht mit der Bundestagswahl befasst haben. Wenn der Wahlkampf auf die Zielgerade geht, dann wird sich Olaf Scholz' Popularität noch auf die SPD übertragen.

Mal ehrlich: Wird es nicht langsam anstrengend, die immergleichen Durchhalteparolen zu wiederholen?

Das ist keine Durchhalteparole. Mein Motto bleibt: In der Ruhe liegt die Kraft. Dass dies die richtige Strategie ist, haben übrigens auch die letzten Landtagswahlen gezeigt. Ob nun Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz oder Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt: Sie alle sind mit hervorragenden Ergebnissen gewählt worden, obwohl die Umfragen zwischenzeitlich nicht immer positiv aussahen.

Ihr Wahlkampfrezept lautet also: abwarten?

"Ruhe bewahren" ist nicht das Gleiche wie "abwarten". Wir haben als erste Partei ein überzeugendes Wahlprogramm vorgelegt, das vor allem den Respekt vor der Leistung der Menschen in unserem Land in den Mittelpunkt stellt. Die zunehmende Polarisierung ist in meinen Augen die größte Gefahr. Wir leben in einer Gesellschaft des Entweder-oder. Das treibt die Menschen immer weiter auseinander. Die SPD kann als die Partei des Sowohl-als-auch ein verbindendes Element sein.

"Wir brauchen eine höhere CO2-Bepreisung in Deutschland"

Machen Sie das doch mal konkret.

Wir brauchen ganz sicher eine höhere CO2-Bepreisung in Deutschland. Wir brauchen aber auch einen sozialen Ausgleich für diejenigen, die sich nicht jedes Jahr eine neue Heizung kaufen können. Wir brauchen auch ganz sicher die Verkehrswende. Die funktioniert aber nur, wenn wir besonders im ländlichen Raum die Infrastruktur dafür schaffen und den öffentlichen Personennahverkehr massiv ausbauen. Dazu gehört auch, dass wir den digitalen Infrastrukturausbau voranbringen müssen. Es kann doch nicht sein, dass ein reiches Land wie Deutschland in einem solchen Bereich international beinahe Schlusslicht ist.

Ihre Parteifreunde und auch Ihr Kandidat selbst betonen immer wieder den Erfahrungsvorsprung, den Scholz gegenüber Laschet und Baerbock habe. Denken Sie tatsächlich, dass Regierungserfahrung für die Wähler im September eine Rolle spielen wird?

Die Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, wer für das Kanzleramt geeignet ist. Ich halte es für logisch, dass wer eine der bedeutendsten Industrienationen führen will, ein gewisses Maß an Erfahrung in internationaler Politik mitbringen sollte. Die hat Annalena Baerbock nicht. Das ist kein Vorwurf. Sie hat sie eben einfach nicht. Olaf Scholz dagegen war Bundesarbeits- und ist Bundesfinanzminister und hat gerade einen riesigen Erfolg in der internationalen Steuerpolitik errungen. Künftig werden die G7-Staaten dazu verpflichtet, einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent bei internationalen Konzernen durchzusetzen.

Bei der Bundestagswahl dürften trotzdem nationale Themen wie etwa die Spritpreise oder der Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach Corona eine wichtigere Rolle spielen als internationale wie die globale Mindeststeuer.

Wenn Olaf Scholz sich vor der Wahl hinstellen und erklären kann, dass er als Finanzminister erreicht hat, dass Google, Amazon, Apple und Facebook jetzt endlich in Deutschland Steuern zahlen, wenn sie hier Standorte betreiben, dann ist das keine rein internationale Frage, sondern auch eine Frage der nationalen Steuergerechtigkeit. Jeder kleine Kaufmann, der hier einen Laden aufmacht, muss Gewerbe- und Umsatzsteuer bezahlen - aber dieser Bezos zahlt derzeit keinen Cent. Scholz wird den Wählerinnen und Wählern sagen können: Diese Megakonzerne liefern künftig Steuern bei eurem Finanzamt ab. Dass sich das ändert, ist ein Erfolg der SPD.

Sind die Grünen noch eine Partei mit linkem Verantwortungsbewusstsein?

Für den es auch von einigen Grünen Beifall gab. Ist Grün-Rot noch immer eine logische Kombination, wenn es nach der Wahl um Koalitionen gehen wird?

Das hängt an den Grünen. Sind sie noch eine Partei mit linkem Verantwortungsbewusstsein? Das würde ich begrüßen. Oder doch eine Partei der Öko-Bourgeoisie? Wenn die Grünen soziale Verantwortung tragen wollen, sind sie mit Sicherheit ein potenzieller Partner der SPD. Wenn sie aber eine Öko-Wohlfühlpartei für Besserverdienende sein wollen, passen sie besser zur Union.

Sie haben schon im vergangenen Jahr gesagt, dass die Grünen immer stärker Richtung Schwarz-Grün tendieren. Sehen Sie das noch immer so?

Diese Tendenz beobachte ich. Schauen Sie sich doch mal die Verluste von Annalena Baerbock und parallel die Gewinne von Armin Laschet in den letzten Umfragen an. Es gibt eine große Volatilität zwischen Schwarz und Grün. Es kann ja auch in Baden-Württemberg kaum jemand den Unterschied zwischen dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seinem Vize Thomas Strobl von der CDU erklären.

Mit Blick auf den abnehmenden Zuspruch für Annalena Baerbock haben zuletzt viele schon vom "entgleisten Baerbock-Zug" gesprochen. Die Floskel vom "Schulz-Zug" ist vor vier Jahren während Ihres Wahlkampfes entstanden.

Wenn heute Journalisten den Grünen-Wahlkampf sprachlich als eine Kopie von meinem sehen, ist das erstens wenig kreativ und zweitens stimmt es nicht.

"Die Wahl in Sachsen-Anhalt ist kein Maßstab für Annalena Baerbock"

Beide Parteien gewannen nach den jeweiligen Nominierungen deutlich in den Umfragen, dann wurden ein paar Fehler in der Kampagne gemacht, Landtagswahlen liefen nicht wie erhofft – und der Hype war vorbei. Sehen Sie da wirklich keine Parallelen?

Die Situation ist nicht vergleichbar. Jede Bundestagswahl ist ein Unikat. Ich war der Gegenkandidat von Angela Merkel, die als amtierende Kanzlerin ihren Amtsbonus ausspielen konnte. Damals lag die SPD bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen bei 28 Prozent. Dass es schwierig werden würde, wenn du ein paar Monate vor der Bundestagswahl NRW verlierst, war uns 2017 auch klar. Aber die aktuelle Wahl im für die Grünen traditionell schwierigen Sachsen-Anhalt ist doch kein Maßstab für Annalena Baerbock.

2017 haben Sie am Wahlabend sehr klar angekündigt, die SPD werde in die Opposition gehen – nur um später doch für ein erneutes Bündnis mit der Union zu werben. Haben Sie den Gang in die große Koalition bereut?

Ich habe in dieser Hinsicht nichts zu bereuen. Wir haben mit CDU und CSU verhandelt, ein gutes Ergebnis erzielt, dieses unseren Mitgliedern vorgelegt und zwei Drittel haben sich für die große Koalition ausgesprochen. Ein klares Mandat.

Ein Mandat für eine Notlösung, nachdem die Verhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP gescheitert waren.

Ich denke, jeder weiß, dass ich die Rolle der SPD nach der Wahl in der Opposition gesehen habe. Christian Lindner aber hat sich zum Schluss der Jamaika-Verhandlungen hingestellt und gesagt: Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Das hat für mich nichts mit nationaler Verantwortung zu tun. Die hat die SPD übernommen, nachdem es die anderen vergeigt hatten. Das war für uns als Partei und besonders für mich persönlich kein leichter Schritt. Aber ich finde, die SPD hat 2017 richtig gehandelt. Ich bin überzeugt: Ohne uns hätte es in dieser Regierung nicht den EU-Rettungsfonds gegeben, den ich als Meilenstein in der Europapolitik betrachte. Ohne uns hätten wir nicht Millionen von Jobs in der Coronakrise durch das Kurzarbeitergeld gerettet. Und mit einem FDP-Finanzminister hätte es sicher nicht die globale Mindestbesteuerung gegeben, die Olaf Scholz jetzt durchgesetzt hat.

"Man kann nicht sagen: Das Mandat ist nichts wert"

Sind Sie danach aus Verantwortungsgefühl als normaler Abgeordneter in den Bundestag gegangen oder haben Sie sich trotz allem auf die Aufgabe gefreut?

Ich habe lange darüber nachgedacht und am Ende eine nicht einfache, aber klare Entscheidung getroffen. Man kann als Demokrat nicht auf Platz eins der Landesliste für ein Bundestagsmandat kandidieren und dann, wenn alles nicht so läuft, wie man es gerne gehabt hätte, sagen: Das Mandat ist nichts wert. Das wäre gegenüber den Wählerinnen und Wählern nicht in Ordnung gewesen. Wenn man einmal ganz vorne gestanden hat und sich dann wieder hinten einreihen muss, ist das natürlich nicht leicht. Aber ich halte es für richtig, dass ich mich dem gestellt habe.

Sie kandidieren nicht erneut für den Bundestag und fokussieren sich nun auf Ihre Position als Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Ist das der endgültige Rückzug aus der ersten Reihe der Politik?

Ich habe es als sehr große Ehre empfunden, als mir der Vorsitz der Friedrich-Ebert-Stiftung angetragen wurde. Das ist ein bedeutendes Amt in der sozialdemokratischen Bewegung mit großen Vorgängern wie Kurt Beck, Peter Struck oder Anke Fuchs. Das ist ganz sicher kein Rückzug.

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