Ukraine und AfD – Die Gemüter erhitzten sich im Mittwochstalk bei Sandra Maischberger aus unterschiedlichen Gründen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

BSW-Politikerin Amira Mohamed Ali hat sich bei Sandra Maischberger mit CDU-Mann Norbert Röttgen ein Rededuell zum Ukraine-Krieg geliefert. Ein Journalist lästerte grenzwertig über Bundeskanzler Olaf Scholz, und Hans-Olaf Henkel ist in seinen eineinhalb Jahren in der AfD nichts Rechtsextremistisches aufgefallen.

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Das war das Thema bei "Maischberger"

Mehr als zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird in Deutschland darüber gestritten, ob deutsche Waffen auch bei Angriffen auf militärische Ziele auf russischem Gebiet eingesetzt werden dürfen. Völkerrechtlich ist das erlaubt, aber wäre es auch politisch klug?

Darüber entbrannte bei Sandra Maischberger eine hitzige Debatte zwischen CDU-Politiker Norbert Röttgen und Amira Mohamed Ali vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Das zweite große Thema war der Umgang mit der AfD. Hans-Olaf Henkel, der 2014 bis 2015 der Partei angehörte, gab im Einzelinterview seine Einschätzung ab.

Das waren die Gäste

Norbert Röttgen: Der CDU-Politiker sah keinen Gegensatz zwischen der Unterstützung der Ukraine und dem Wunsch nach Frieden. "Ganz im Gegenteil. Den Frieden werden wir nur erreichen, wenn wir den Krieg besiegen." Und das gehe nur mit mehr Waffenlieferungen. Die Unterstützung des Landes sei "Bedingung und der Weg zum Frieden". Sich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin einschüchtern zu lassen, wäre seiner Meinung nach ein gewaltiger Fehler. Denn der betreibe "Propaganda und Einschüchterung als Teil des Krieges".

Amira Mohamed Ali: Die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht lehnte den Einsatz westlicher Waffen gegen militärische Ziele in Russland strikt ab. Es habe einen Grund gehabt, dass das bisher nicht erlaubt gewesen sei. "Weil es den Krieg weiter eskalieren könnte." Mohamed Ali hielt es für sicher, dass Putin es propagandistisch ausschlachten würde, sollten deutsche Waffen zum Einsatz kommen, um leichter neue Soldaten zu mobilisieren. Mit Verweis auf SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte sie: "Es wird Zeit, dass man darüber spricht, wie man einen Krieg beendet."

Cherno Jobatey: Der Journalist und Moderator vermutete, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Einsatz westlicher Waffen in Russland zustimmen wird, wenn US-Präsident Joe Biden sich in dieser Frage bewegt. Nach dem rechten Gegröle auf einer Schickimicki-Party auf Sylt sagte er zur Reaktion des Kanzlers: "'Eklig' ist aus meiner Sicht noch ein freundliches Wort." Erleichterung war bei Jobatey mit Blick auf die AfD-Ergebnisse in Thüringen nicht zu spüren, denn immerhin hatte die Rechtsaußenpartei bei den Kommunalwahlen trotz vorheriger stärkerer Umfragewerte immer noch ein Plus von gut acht Prozent verzeichnet.

Jagoda Marinić: Die Autorin nannte den möglichen Einsatz westlicher Waffen auf Russland einen "Paradigmenwechsel, auch wenn es völkerrechtlich erlaubt ist". Das würde etwas in Gang setzen, in den öffentlichen Debatten und womöglich auch im Kriegsverlauf, was ihrer Meinung nach gut vorbereitet werden müsste. Sie äußerte allerdings erhebliche Zweifel, ob US-Präsident Biden den Einsatz amerikanischer Waffen auf Russland tatsächlich freigibt.

Michael Bröcker: Der Chefredakteur von "Table.Briefings" begrüßte den möglichen Einsatz westlicher Waffen in Russland. "Wie soll man ein Land unterstützen, wenn man die Militärbasen in Russland nicht angreifen darf?", fragte er. Nicht mal der Beschuss von russischen Kampfflugzeugen über der Ukraine sei bisher möglich. Für Lacher sorgte Bröcker durch seine Charakterisierung des Scholz-Macron-Treffens. "Diesen politischen-menschlichen Vulkan Macron und diese Niedrigtemperatur-Kühlschrankfigur Olaf Scholz. Und sie stehen nebeneinander und kommunizieren eigentlich dasselbe in unterschiedlicher Temperatur." Bröcker warnte vor Rechtsaußenparteien wie dem Rassemblement National in Frankreich und der postfaschistischen Partei der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Die Europäische Rechte habe verstanden, dass sie bürgerlich werden müsse, um erfolgreich zu sein, so Bröcker. "Das halte ich mindestens so gefährlich wie rechtsradikalen, plumpen Hass von AfD-Idioten."

Hans-Olaf Henkel: Der ehemalige Industrielobbyist und Ex-Vize-Chef der AfD wacht aufgrund der Radikalisierung der Partei nachts nicht schweißgebadet auf, obwohl er früher einmal gesagt hatte, er habe mit seinen Mitstreitern ein "richtiges Monster erschaffen". Zur persönlichen Beruhigung brachte er ein AfD-Wahlprogramm der Europawahl 2014 mit – und las ein paar völlig harmlose Forderungen vor. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke sei ihm damals nicht so aufgefallen. "Der hat ja seine Maske erst später fallen lassen." Henkel, der wegen des Rechtsdralls der AfD 2015 austrat, könne aber nicht garantieren, dass es damals keine Nazis gegeben habe. Zwei Fehler in der Frühphase der Partei gestand er ein: dass man Leute mit rechtsextremer Gesinnung überhaupt in die Partei gelassen hat und dass man dann nicht schnell genug auf sie reagiert hat. Henkel machte die Flüchtlingspolitik von Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Aufstieg der 2015 strauchelnden Partei verantwortlich. "Die Partei war erledigt. Und wer hat sie gerettet, Frau Maischberger?" Heute würde Henkel wohl CDU wählen, zumindest lobte er CDU-Chef Friedrich Merz. Der habe mit den schlechten Entscheidungen der Union (bei der Eurorettungspolitik, in der Migrationsfrage) nichts zu tun gehabt. "Die Leute haben eine Alternative", sagte Henkel. Damit sprach er die Protestwähler unter den AfD-Wählern direkt an.

Das war der Moment des Abends

So viel Lob von Norbert Röttgen für Kanzler Olaf Scholz wird vielleicht nie wieder zu hören sein. Der Grund war, wie Röttgen dessen Aussagen zum Einsatz westlicher Waffen gegen militärische Ziele in Russland interpretierte. Scholz hatte bei einer Pressekonferenz mit Macron gesagt, die Ukraine dürfe sich nun nach Regeln des Völkerrechts verteidigen. Das erlaubt ausdrücklich auch Angriffe auf Militärziele im feindlichen Territorium.

Röttgen schloss aus der Scholz-Aussage, dass dieser nun auch den Einsatz deutscher Militärtechnik in Russland billige. "Er erlaubt mit dieser Aussage eindeutig, dass die Ukraine sich jetzt nach dem Maßstab des Völkerrechts verteidigen darf, mit westlichen Waffen, mit deutscher Zustimmung, mit französischer Zustimmung, noch nicht mit amerikanischer Zustimmung. Ich respektiere das sehr. Ich unterstütze das in der Sache."

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Das war das Rededuell des Abends

Kann er einen Angriff Russlands auf Nato-Gebiet ausschließen, sollten Raketen aus dem Westen bald Ziele in Russland treffen? Röttgen hält das aus Sicht Putins für wenig wahrscheinlich. "Zu sagen: 'Deshalb gehe ich mit der Nato in den Krieg, nachdem ich an der Ukraine gescheitert bin', macht militärisch und politisch überhaupt keinen Sinn", sagte er.

BSW-Frau Mohamed Ali teilte die Analyse, dass das militärisch nicht klug wäre. "Aber das Risiko wäre natürlich gigantisch groß", klagte sie. Die Ukraine sei trotz der Waffenlieferungen in einer schlechteren Ausgangsposition für Verhandlungen als sie es noch vor einem Jahr gewesen sei. "Das ist die Realität." Röttgen war empört, weil die Ukraine ja viel zu wenige Waffen erhalten habe und ohne westliche Waffen den Krieg schon längst verloren hätte. Von Verhandlungen halte er derzeit nicht viel, obwohl Putin zuletzt Interesse am Einfrieren des Konflikts signalisiert haben soll. "Ich kann nicht glauben, dass Sie so naiv sind, dass Sie das selber glauben, was Sie sagen", sagte er zu Mohamed Ali.

Da musste Maischberger dazwischen gehen. "Wir bleiben sachlich und werden nicht persönlich!" Mohamed Ali schimpfte zurück, es sei "unseriös", ein Verhandlungsangebot pauschal abzulehnen. Röttgen: "Nein, das ist nicht unseriös." Ali: "Doch, man muss es doch zumindest versuchen." Röttgen: "Nein!" "Ali: "Ein Außenpolitiker, der Diplomatie nicht möchte. Irre." Röttgen antwortete: "Ich möchte Diplomatie, ich will Frieden, ich will verhandeln. Es gibt nur ein Problem: Putin will es nicht."

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Maischbergers Sendung war im Vergleich zu den sich permanent ins Wort fallenden Gästen bei "Hart aber fair" am Montag eine Wohltat – so geht zivilisierter Diskurs. Hartnäckig zeigte sich die Gastgeberin vor allem beim Einzel-Interview mit Hans-Olaf Henkel. Sie konnte nicht so recht glauben, dass er von rechtsextremistischen Aussagen und rechtsextremistischen Mitgliedern während seiner Zeit in der AfD so gar nichts mitbekommen haben will.

Nachdem die Gastgeberin darauf beharrt hatte, dass die Radikalisierung seit der Flüchtlingskrise 2015 ja nur geschehen konnte, weil die radikalen Leute eben schon drin waren und dann ihre Maske fallen ließen, antwortete Henkel: "Sie haben völlig Recht."

Das ist das Fazit

Wie geht es im Ukraine-Krieg weiter? Mohamed Ali erwartet von der kommenden Friedenskonferenz in der Schweiz nicht viel. Auch weil Russland gar nicht dabei ist. Deswegen blieb auch ein bisschen unklar, wie ihr Wunsch nach mehr Diplomatie und einem Waffenstillstand denn in der Realität umsetzbar wäre.

Michael Bröcker erwartete derweil vor den Europawahlen am 9. Juni keine Entscheidung von Olaf Scholz zum Einsatz deutscher Waffen gegen Russland. Schließlich plakatiert die SPD mit Scholz als Friedenskanzler. Könnte aber auch sein, dass in den kommenden Monaten diesbezüglich gar nichts passiert, sollte US-Präsident Joe Biden blockieren. Norbert Röttgen warnte fast flehentlich davor, Putins Drohungen nachzugeben. Es bestehe dann die Gefahr, dass die Ukraine langsam ausblutet und den Krieg verliert.

Für Mohamed Ali ergaben diese Aussagen keinen Sinn. Sie glaubte nicht daran, dass der Einsatz westlicher Waffen gegen Militärziele in Russland eine Wende zu Gunsten der Ukraine herbeiführen wird. Mit Blick auf die aktuelle Situation fällt es schwer, der BSW-Politikerin zu widersprechen. Aber vielleicht sind die Waffen ja ein Weg, um einen Waffenstillstand zu erzwingen. Dann hätte sich ihr Einsatz am Ende schon ausgezahlt.

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