Dieses Spiel in Sinsheim stellt eine Zäsur im deutschen Fußball dar. DFB-Präsident Fritz Keller spricht von einem "Tiefpunkt". Schuld sind Chaoten im Fan-Block des FC Bayern. Sie bastelten ein Hass-Plakat gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp und brachten eine Gala ihres Vereins an den Rande des Abbruchs.

Eine Analyse

Mehr Bundesliga-Themen finden Sie hier

Mehr News zur Bundesliga

Die Ereignisse beim Spiel von Hoffenheim gegen die Bayern sind nicht nur einmalig in der Geschichte der Bundesliga, sie könnten in ihrem Nachhall auch zu einer echten Zäsur führen. Eine Einordnung.

Denkwürdiges Spiel in Hoffenheim - das ist passiert:

In Sinsheim war sportlich längst alles klar, die Bayern führten gegen Hoffenheim mit 5:0, als im Gästeblock Fans der Münchener Schmähplakate gegen Dietmar Hopp entrollten.

Die Spruchbänder, so erfuhr die Deutsche Presse-Agentur (dpa) aus Polizeikreisen, seien erst im Stadion zusammengebastelt worden. Die Gäste-Fans hatten dort zuvor eine Choreographie zum 120. Vereinsjubiläum der Münchner mit vielen einzelnen Plakaten gezeigt.

Einsatzpolizisten berichteten am Samstagabend in Sinsheim, dass Fans größere Mengen an Klebebänder mit in die Arena genommen hätten - offiziell, um damit Fahnen an den Stangen zu befestigen. Diese seien aber dazu verwendet worden, um aus einzelnen Plakaten die Banner zu basteln.

Grund für die Attacken war offenbar eine Art Solidaritätsbekundung an die Fans von Borussia Dortmund, die auf Grund der jüngst ausgesprochenen Kollektivstrafe in den kommenden beiden Spielzeiten nicht zu Auswärtsspielen nach Sinsheim reisen dürfen.

Schiedsrichter Christian Dingert setzte die erst kürzlich verabschiedete Direktive der DFL durch und unterbrach die Partie. Die Plakate sollten verschwinden.

Als die Bekundungen der Bayern-Fans wenige Minuten später erneut auftauchten, stoppte Dingert das Spiel ein zweites Mal und verwies darauf, dass bei einem wiederholten Ausfall in der Bayern-Kurve das Spiel abgebrochen werden würde.

Bayern-Trainer Hans-Dieter Flick, Sportdirektor Hasan Salihamidzic, Co-Trainer Herman Gerland und die Spieler gingen in die Kurve, um die Lage zu beruhigen und die Fans zu befrieden. Kurz danach folgten Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge und Vorstand Oliver Kahn. Rummenigge hatte zuvor auf der VIP-Tribüne noch Hopp in den Arm genommen.

Die Mannschaften wurden in die Katakomben geschickt. Nach rund 14 Minuten holte Dingert die Teams wieder zurück auf den Platz. Die Bayern und Hoffenheim spielten die verbliebenen knapp 13 Minuten symbolisch in einer Art Nichtangriffspakt zu Ende.

Hopp und Rummenigge übten nach der Partie - eingerahmt von beiden Mannschaften - den symbolischen Schulterschluss. Hoffenheims ehemaliger Mäzen wurde von Teilen des Stadions mit "Dietmar Hopp"-Sprechchören gefeiert.

Auch im Stadion von Borussia Dortmund wurde die Partie für kurze Zeit unterbrochen, nachdem auf der Südtribüne Beleidigungen gegen Hopp sichtbar wurden.

Beim Abendspiel des 1. FC Köln, dessen Fangruppen mit denen des BVB sympathisieren, wurde die zweite Halbzeit später angepfiffen. Auch in Köln wurde Hopp wie in Sinsheim und Dortmund unter anderem als "Hurensohn" verunglimpft. Auch hier schritten Offizielle, Trainer Markus Gisdol und Sportdirektor Horst Heldt, und die Mannschaft ein und beruhigten die Lage, sodass wieder angepfiffen werden konnte.

Kölns Trainer Markus Gisdol: "Hopp ist ein feinfühliger Mensch"

"Ich kenne ihn aus meiner Zeit dort sehr gut. Herr Hopp ist ein sehr feinfühliger Mensch", sagte Gisdol, der insgesamt vier Jahre, erst als Co- und dann als Cheftrainer, in Hoffenheim wirkte . "Dass solche Dinge immer wieder vorkommen, ist sehr schade."

Hopp sei ein Mensch, der nur einen kleinen Teil seines Vermögens in den Fußball investiere, ergänzte Gisdol. "Einen großen Teil steckt er in soziale Projekte, in Schulen oder auch in die Krebsforschung. Vielleicht profitieren einmal Menschen davon, die jetzt nicht damit rechnen."

Auch im Zweitligaspiel Darmstadt gegen Heidenheim zeigten Fans Banner und Plakate. Die gegen Hopp und die vom DFB verhängte Kollektivstrafe gegen die aktive (Dortmunder) Fanszene ausgesprochen wurde.

Eine Woche zuvor wurde die Partie zwischen Mönchengladbach und Hoffenheim unterbrochen, weil Hopp auch im Borussia Park von Teilen der Gladbacher Fans beleidigt wurde. Max Eberl fand im Zuge dessen drastische Worte für das Verhalten einiger seiner "eigenen" Fans.

Das sind die Reaktionen zu Hopp-Schmähungen:

Fritz Keller (DFB-Präsident) im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF: "Wir sind am Tiefpunkt angekommen. Wir haben Hassbilder und Neid in unserer Gesellschaft und jetzt auch im Fußball. Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen. Jetzt muss durchgegriffen werden. So geht es nicht mehr weiter. Ich finde das eine Katastrophe, und ich möchte den beiden Mannschaften, den Schiedsrichtern und beiden Vereinen einfach gratulieren, wie sie gehandelt haben. Durch diese Solidarität dieser beiden Mannschaften haben sie ein Stück weit die Verantwortung vom Schiedsrichter weggenommen. Aber vor allen Dingen haben sie den Chaoten nicht das gelassen, was sie wollten, nämlich das Spiel zu zerstören und Macht über das Spiel zu haben. Das finde ich großartig. Vielen Dank an die Akteure, die in die Kurve gegangen sind."

Karl-Heinz Rummenigge (Vorstandsvorsitzender FC Bayern): "Ich schäme ich zutiefst für diese Chaoten und habe mich bei Dietmar Hopp auch entschuldigt. Wir haben alles mitgefilmt und werden die Leute zur Rechenschaft ziehen. Die ganze Bundesliga, die DFL und der DFB müssen zusammenstehen und gegen diese Chaoten vorgehen. Das war das hässliche Gesicht von Bayern München. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Es muss aufhören. Ich werde mich mit dem heutigen Tag nicht mehr wegducken. Auch auf die Gefahr hin, dass ich irgendwann mit Leibwächtern durch die Gegend laufen muss. So, wie es heute gemacht worden ist, war es richtig, und so ist es auch ein Zeichen für die Kurve. Diese Leute, die sich geoutet haben, das sind Feinde des Fußballs. Sie sagen immer, es ist unser Verein. Nein, es ist nicht ihr Verein. Wir wollen mit diesen Leuten in unserem FC Bayern nichts zu tun haben."

Dr. Peter Görlich (Geschäftsführer TSG 1899 Hoffenheim): "Kompliment an die Schiedsrichter, die das mit einer Ruhe und Souveränität durchgezogen haben, aber auch an das Publikum, an den FC Bayern, an die Spieler, dass sie dafür Verständnis hatten und die Situation gut erkannt hatten. Es ist eine Grenze überschritten, wo wir uns als Fußball-Deutschland solidarisch zeigen müssen. Und das ist gelungen und das ist ein Zeichen für den Umgang auf einem Fußballplatz, wie wir es uns eigentlich auch wünschen bis runter in die Amateurligen."

Michael Zorc (Sportdirektor Borussia Dortmund): "Das hat bei uns im Stadion nichts zu suchen. Wir können uns nur mit aller Kraft distanzieren. Bisher hat es die Bundesliga nicht in den Griff bekommen. Wir haben einen Punkt erreicht, der nicht mehr zu tolerieren ist. Das ist scheiße."

Christian Seifert (DFL-Geschäftsführer): "Die permanenten Anfeindungen gegen Dietmar Hopp sind schon lange nicht mehr hinnehmbar und auf das Schärfste zu verurteilen. Wir haben diesbezüglich heute einen traurigen Höhepunkt erlebt. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Alle Beteiligten - Spieler, Schiedsrichterteam und die Verantwortlichen von Bayern München und der TSG Hoffenheim sowie sehr, sehr viele Stadion-Besucher - haben in dieser Situation vorbildlich gehandelt und damit ein klares Signal an einige selbsternannte Herrscher über die Fußball-Kultur gesetzt, derartige Entgleisungen nicht mehr zu dulden. Jegliche Art von Hass darf keinen Platz haben. Dies muss der Anspruch des gesamten Profifußballs sein."

Christian Streich (Trainer SC Freiburg): "In diesem Land werden Menschen wegen ihrem Glauben angegriffen. In diesem Land wurde ein Politiker erschossen, ein ehrenwerter Mensch, der sich für die Gesellschaft eingesetzt hat. Dann ist das in Hanau passiert, wo Menschen in einer Shisha-Bar über den Haufen geknallt wurden. Es ist schrecklich, was in diesem Land passiert. Fußball hat ein gewichtiges Wort und genau so (wie die Spieler und die Schiedsrichter in Hoffenheim Anm. d. Red.) muss gehandelt werden. Wenn Menschen beleidigt werden, die eine andere Hautfarbe oder einen anderen Glauben haben, müssen wir vom Platz gehen und nicht mehr weiterspielen. Es gibt wichtigere Dinge als Fußball."

Dietmar Hamann (Experte beim Pay-TV-Sender Sky): "Da muss sich die ganze Liga zusammensetzen, damit wir diese Leute aus dem Stadion bekommen. Es kann nicht sein, dass 20, 50 oder 100 dieser Chaoten ein Spiel an den Rande eines Abbruchs bringen. Das kann und darf nicht toleriert werden. Ein beschämender und trauriger Tag. Auf der anderen Seite aber auch ein absoluter Gänsehautmoment für mich, als Karl-Heinz Rummenigge nach dem Spiel mit Dietmar Hopp auf den Platz geht, sich beim Schiedsrichtergespann bedankt, alle Spieler von Bayern und Hoffenheim gehen in die Kurve, Hopp-Gesänge im Stadion. Das ging von einem der schwärzesten Momente zu einem der schönsten Momente innerhalb einer Viertelstunde."

Der Versuch einer Einordnung durch den Vorfall:

Die Lage ist kompliziert. Es gibt viele nachvollziehbare Interessen, aber schon längst keine vernünftige Diskussionsgrundlage mehr. Die Fan-Aktionen in mehreren Stadien der ersten und zweiten Liga schienen abgesprochen. "Ich wusste, dass vielleicht etwas geplant ist. Wir haben mit unserem Fanbeauftragten versucht diesen Aktionen entgegenzuwirken", sagte Bayern-Trainer Flick, einst als Trainer und sportlicher Leiter selbst in Hoffenheim aktiv.

Hopp ist längst ein rotes Tuch für große Teile der Fans. Über Vereinsgrenzen hinaus hat sich eine gewisse Solidarität gegen 79-Jährigen gebildet. Mittlerweile hat sich die Lage hochgeschaukelt und habe an diesem Wochenende "eine Grenze" überschritten, wie nun häufig zu hören und zu lesen war.

Das ohnehin schon lange dünne Eis zwischen jahrzehntelanger geduldeter Folklore rund um ein Profispiel in Deutschland und einer oder mehrerer zu sanktionierenden Straftaten ist geschmolzen - ob nun zu Recht oder zu Unrecht.

Den einen geht das Vorgehen der DFL immer noch nicht weit genug, die Gegenseite sieht eine "Sonderrolle" von Hopp und kritisiert die vergleichsweise harte und rigoros durchgesetzte Direktive seitens des Ligaverbands.

Tatsächlich gehören Schmähungen in Bundesligastadien quasi seit jeher zum gewohnten Bild, ob man das nun abstoßend findet oder geflissentlich darüber hinweg sieht. Übrigens auch ausgehend von Fans der TSG Hoffenheim, die sich an Timo Werner oder RB Leipzig abarbeiteten - ohne dass es zu einem besonders großen Aufschrei gekommen wäre.

Fans kritisieren die so genannte "Lex Hopp"

Die Fans schimpfen auf die viel zitierte "Lex Hopp", nach der dieser von DFB und DFL besonders protegiert würde. Sie fühlen sich missverstanden und drangsaliert. Hopp wiederum reagierte mit Protestnoten den den DFB und einigen Privatklagen gegen einzelne Zuschauer. Der von Hoffenheim installierte mobile Lautsprecher gegen Schmähgesängge Dortmunder Fans unterhalb der Gästekurve vor neun Jahren ist längst legendär.

Die Fans haben das Gefühl, dass die Deutungshoheit längst bei der Hopp-Seite liegt und die Sanktionen in einer Einbahnstraße verhängt werden.

Tatsächlich war dieser einmalige drohende Spielabbruch einer Bundesligapartie vom Samstag ein Beleg dafür, wie ernst es die Verbände mit ihren Drohungen meinen - wenn es um das Thema Schmähgesänge und Beleidigungen gegen Herrn Hopp geht.

Das ist zu goutieren, aber wenn die DFL und auch der DFB wirklich eine Zäsur wollen, dann muss der Nachmittag von Sinsheim auch auf anderen Ebenen der Anstoß zu einer echtem Neuanfang werden.

Die DFL hat einen Standard gesetzt, der sehr, sehr hoch angesiedelt ist. Bisher sind die Verbände in punkto Rassismus, Homophobie und Sexismus noch nie so drastisch vorgegangen wie in der Causa Hopp an diesem Nachmitag.

Ganz im Gegenteil war außer ein paar netten, aber größtenteils nutzlosen Kampagnen und Filmchen bisher nicht viel, von zählbaren Erfolgen ganz zu schweigen. Glaubwürdig werden DFL und DFB erst, wenn auch in diesen Bereichen ab sofort die Null-Toleranz-Grenze gilt wie bei "Hopp gegen Fans".

Mit dem Vorgehen in Sinsheim hat die DFL nun die Büchse der Pandora geöffnet. Bleibt die harte Linie bestehen, dürften Spielabbrüche kaum noch vermeidbar sein.

Spätestens das kommende Bundesliga-Wochenende, vielleicht auch schon das eine oder andere Pokalspiel unter der Woche, dürfte zur ersten Zerreißprobe werden. Und das nicht nur, weil Gladbach gegen Dortmund spielt, zu exponierter Sendezeit am Samstagabend um 18:30 Uhr. Viele weitere werden folgen.

Mit Material der dpa und der AFP
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.