Die Bundesregierung hat in der Coronakrise alle Hände voll zu tun. Im Exklusiv-Interview erklärt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die politischen Maßnahmen und ruft dabei die Union zur Vernunft auf. Außerdem spricht er über seine mögliche Kanzlerkandidatur und seine Zusammenarbeit mit den Parteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

Ein Interview

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Regierungskrisen, Rücktritte, Wahlschlappen und die schwierige Suche nach einer neuen Führung - SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil musste schon so manche schwierige Zeit überstehen, seit er im Dezember 2017 ins Amt kam. Und das gelang offenbar so erfolgreich, dass manche, zum Beispiel Altkanzler Gerhard Schröder, in ihm schon den nächsten Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten sehen.

Auch aktuell bleibt kaum Zeit, durchzuschnaufen – die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise beschäftigen Klingbeil und die Bundesregierung.

Im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion erklärt er, welche Maßnahmen jetzt getroffen werden, was das Kurzarbeitergeld bringt und wie sich unsere Gesellschaft nun verhalten sollte. Außerdem spricht er über seine Lust am Job, seine Zusammenarbeit mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken und sein Verhältnis zur CDU.

Herr Klingbeil, der Koalitionsausschuss hat vergangenen Samstag ein zusätzliches milliardenschweres Investitionspaket geschnürt, von zusätzlichen 140 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren ist die Rede. Warum ist das nötig?

Lars Klingbeil: Weil wir sehen, dass Deutschland auf Substanz lebt. Ich sehe das, wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin, aber auch sonst im Land. Die Schulen sind nicht in den besten Zuständen. Wir haben Probleme beim Breitbandausbau, beim Mobilfunk. Es geht um die Frage der Infrastruktur insgesamt – vor uns liegt ein Jahrzehnt der Investitionen. Wir haben jetzt beschlossen, dass wir zwölf Milliarden mehr investieren in den nächsten vier Jahren. Das kommt zusätzlich zu einer hohen Investitionssumme, die wir im Bundeshaushalt haben. Das heißt, wir haben uns jetzt bewusst entschieden, Deutschland fit zu machen für die Zukunft. Auf diese Entscheidung hat die SPD gedrängt. Das haben wir auf dem Bundesparteitag schon beschlossen und jetzt in der Koalition auch erfolgreich durchgesetzt.

Hat die Problematik mit dem Coronavirus die Entscheidungen beeinflusst?

Wir sind aktuell in einer sehr außergewöhnlichen Situation. Es geht jetzt darum, die schnelle Ausbreitung des Virus einzudämmen, um eine bestmögliche Gesundheitsversorgung, aber auch darum, die möglichen wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern. Da sind die höheren Investitionen auch ein Baustein. Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass keiner in Deutschland wegen des Coronavirus seinen Job verliert, weil Messen oder Veranstaltungen nicht stattfinden können oder Lieferketten unterbrochen werden müssen.

Immer mehr Coronavirus-Infizierte werden gesund
© 1&1 Mail und Media

Am Dienstag hat die Bundesregierung erweiterte Möglichkeiten für das Kurzarbeitergeld beschlossen. Warum sind sie so dringend nötig?

Das Kurzarbeitergeld ist wichtig, weil es hilft, dass die Menschen nicht entlassen werden in Unternehmen, die in Schwierigkeiten kommen. Wenn diese Unternehmen Kurzarbeit beantragen, übernimmt die Bundesagentur für Arbeit für die Beschäftigten die vollen Sozialversicherungsbeiträge und Teile des Lohns. Für uns ist wichtig, dass wir einen Schutzschirm für die Arbeitnehmer spannen. Da hilft das Kurzarbeitergeld, und das ist jetzt deutlich ausgeweitet und erleichtert worden.

Corona: "Schwelle für Kurzarbeitergeld abgesenkt"

Inwiefern ausgeweitet?

Früher konnte das Kurzarbeitergeld erst in Anspruch genommen werden, wenn der gesamte Arbeitsmarkt in eine Schieflage geraten ist. Jetzt können auch einzelne Branchen, die in Schwierigkeiten sind, Kurzarbeitergeld beanspruchen. Und auch die Schwelle in den Betrieben wurde abgesenkt. Schon wenn die schwierige Auftragslage nur zehn Prozent der Mitarbeiter betrifft, kann Kurzarbeit beantragt werden. Und wir werden auch schon in dieser Woche im Deutschen Bundestag das Ganze auf den Weg bringen.

Und ab wann gilt die Regelung dann?

Das gilt ab April, also zügig. Da zeigt die Bundesregierung wirklich sehr schnelle Handlungsfähigkeit. Das hat vor allem damit zu tun, dass Hubertus Heil, der zuständige Arbeitsminister, das wirklich intensiv auch mit den Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern vorbereitet hat. Das "Arbeit-von-morgen-Gesetz", wie das insgesamt heißt, ist ja nicht nur gegen mögliche Corona-Auswirkungen gedacht, sondern soll den großen Wandel des Arbeitsmarktes durch Digitalisierung und Klimaschutz begleiten. Aber es hilft auch akut in Krisenfällen wie jetzt gerade.

Keine Einigung gab es bei der SPD-Forderung, die Soli-Abschaffung für 90 Prozent der Steuerzahler vorzuziehen. Verstehen Sie das – u.a. von Markus Söder formulierte - Gegenargument, dass man alle Bürger entlasten wolle und nicht nur einen Großteil?

Nein, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Man muss ja auch wirklich nochmal klar benennen, was die Union da will bzw. nicht will. Wer sind denn diese 90 Prozent? Das betrifft die ganz normalen Menschen in diesem Land. Das betrifft Erzieherinnen, Pflegekräfte, Facharbeiter, also alle, die jetzt vielleicht doch gerade von den konjunkturellen Auswirkungen in Zeiten von Corona betroffen wären. Die wollen wir als SPD schneller entlasten. Damit sie mehr Geld in der Tasche haben. Die weniger als zehn Prozent, die das nicht kriegen, das sind die Superreichen in diesem Land. Für die wollen wir das generell nicht, und schon gar nicht vorziehen.

"Union sollte zur Vernunft kommen"

Was fordern Sie von der Union?

Die Union sollte jetzt zu Vernunft kommen und gemeinsam mit uns den Soli vorher abschaffen. Führende Ökonomen sagen auch, gerade in dieser Krise der konjunkturellen Entwicklung durch Corona wäre es sinnvoll, dass die Menschen schnell mehr Geld in der Tasche haben. Weil sie dann konsumieren, weil sie damit einkaufen, weil sie das Geld umsetzen, und das die Wirtschaft stärkt.

Dass die Union sich so verhalten hat, ist derzeit über gefühlt alle wichtigen SPD-Kanäle zu hören. Wollen Sie damit Stimmung gegen den Koalitionspartner machen?

Nein, aber wir machen die Unterschiede deutlich. Wir sind dafür, dass Menschen entlastet werden in diesem Land. Die Union will das nicht. Und das muss klar gesagt werden. Wir alle machen uns gerade Gedanken, wie die nächsten Wochen werden. Ich habe den Anspruch, dass wir als Politik den Menschen in Deutschland sehr klar machen, dass wir konsequent handeln. Dass wir im Fall einer Krise Arbeitsplätze schützen, dass Unternehmen nicht in Existenzängste geraten. Dafür hat die SPD Ideen und die versuchen wir jetzt auch mit Argumenten durchzusetzen. Da können wir auf den Koalitionspartner nur hinwirken, aber am Ende, davon bin ich überzeugt, werden gute Argumente auch gehört werden.

Was kann jeder Einzelne in Zeiten der Corona-Problematik tun?

Ich glaube, dass unsere Gesellschaft jetzt als Ganzes gefordert ist. Wir erleben gerade, wie unsicher viele sind. Jetzt ist keine Zeit für Egoismen, sondern für Solidarität. Es geht darum, dass zum Beispiel die junge Generation auch ganz bewusst ihre Verantwortung darin sieht, Älteren zu helfen, die eher betroffen sind von Corona. Jeder muss sich verantwortungsvoll verhalten. Es ist wichtig, dass wir alle Rücksicht aufeinander nehmen. Solidarität ist jetzt der Schlüssel, um menschlich durch diese Krise durchzukommen.

Apropos Solidarität: Ein Ergebnis des Koalitionsausschusses lautet auch, im Rahmen einer "EU-Koalition der Willigen" aus Syrien geflüchtete Kinder nach Deutschland zu holen. Vor einer Woche, am 4. März, haben Sie im Bundestag gegen einen Antrag der Grünen gestimmt, schutzbedürftige Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. Warum?

Weil dieser Antrag vor allem eine Showveranstaltung war, das muss man einfach auch in der Deutlichkeit benennen. Die Grünen haben nichts Besseres zu tun gehabt, als sich parteipolitisch profilieren zu wollen, während wir in der Regierung daran gearbeitet haben, mit anderen europäischen Ländern ein Bündnis zu schmieden. Das finde ich nicht in Ordnung. Wir wollten keinen nationalen Alleingang machen, nicht als Deutschland alleine vorpreschen, sondern mit europäischen Partnern eine Lösung finden, die wirklich den Menschen in diesen Flüchtlingslagern hilft. Ich verstehe, dass man als Partei immer guckt, dass man gut dasteht. Aber ich finde, gerade bei diesem Thema sollte man das nicht tun.

Wie geht es in dieser Frage jetzt weiter?

Wir alle kennen die Bilder. Wir dürfen nicht die Augen verschließen vor diesem Leid. Ich erwarte jetzt, dass Herr Seehofer ganz, ganz schnell die Beschlüsse des Koalitionsausschusses umsetzt und wir sehr schnell hier in Deutschland Kindern und gerade kranken Menschen aus den Flüchtlingslagern helfen.

Sie sind seit Dezember 2017 SPD-Generalsekretär und haben seitdem schwierige Zeiten durchgemacht. Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man als Sozialdemokrat plötzlich der stabile Faktor in der GroKo ist?

In der Tat sind es zwei sehr turbulente Jahre gewesen. Es fühlt sich schon gut an, wenn gerade ein bisschen mehr Ruhe ist in der Partei. Allerdings gibt es keine Zeit, sich politisch auszuruhen, denn die Themen, die uns gesellschaftlich umtreiben, haben massiv zugenommen: rechter Terror, die Coronavirus-Problematik, internationale Verwerfungen.

Klingbeil von CDU in Thüringen genervt

Aber die Lage war für die SPD und Sie in den letzten Jahren selten so angenehm wie aktuell, oder?

Natürlich fühlt es sich besser an, wenn Wahlerfolge eingefahren werden wie jetzt in Hamburg oder Leipzig und wenn man mal keine Krisen in der Partei hat.

Die schlechten Schlagzeilen scheinen derzeit für Ihren Koalitionspartner reserviert...

Ich gucke nicht mit Häme auf die Union. Aber was mich wahnsinnig genervt und geärgert hat, ist, dass sie in Thüringen über Wochen keine klare Linie gegen die AfD hatten. Und da haben Sie natürlich auch die Quittung dafür gekriegt, zum Beispiel bei den Wahlen in Hamburg.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat Ihnen persönlich vorgeworfen, eine Schmutzkampagne gegen die CDU zu führen. War das nicht so etwas wie ein Ritterschlag für einen Generalsekretär?

Das ist mein Job, auch öffentlich und deutlich zu kritisieren, wenn die CDU etwas falsch macht. Und ich hätte ja nichts sagen brauchen, wenn Frau Kramp-Karrenbauer ihre Partei im Griff gehabt hätte. Ich kann nicht schweigen in dem Moment, wo die CDU mit der AfD in Thüringen gemeinsame Sache macht, das geht nicht. Das ist unanständig, was die Union da mit der FDP über Wochen veranstaltet hat. Die haben das Land des Chaos gestürzt. Anscheinend habe ich ja auch den Nerv getroffen mit meiner Kritik.

Was glauben Sie, welche Auswirkungen die Suche nach einem neuen Vorsitzenden für die CDU haben wird – und wer ist Ihr Favorit?

Ich habe keinen Favoriten, auch wenn ich natürlich genau gucke, was da bei der CDU passiert. Wichtig ist, dass die Instabilität in der Union nicht zu einem Chaos in der Regierung wird. Aber die Unionskollegen haben unseren Vorsitz-Prozess nicht von der Seitenlinie kommentiert, und das werde ich umgekehrt auch nicht tun.

Klingbeil beobachtet CDU-Parteivorsitz-Wahlkampf genau

Aber Sie beschäftigen sich doch sicher mit dem Prozess?

Wenn ich sehe, dass einzelne Kandidaten um den Parteivorsitz sich meiner Meinung nach falsch verhalten, werde ich das auch kommentieren. Wie etwa Herr Merz sich gerade zum Thema Frauen in der Politik und Quote äußert – da kann man nur den Kopf schütteln und muss sich wirklich fragen, ob das bedeutet, dass die CDU sozusagen ins letzte Jahrhundert zurück marschiert.

Zuletzt hat Gerhard Schröder Sie als möglichen Kanzlerkandidaten ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Naja das ehrt mich schon, wenn jemand wie Gerhard Schröder, der es ja ins Kanzleramt geschafft hat, einen lobt und nette Worte findet. Aber die Frage, wer Kanzlerkandidat wird für die SPD, steht in diesen Tagen noch nicht an. Wir bereiten uns jetzt erstmal professionell auf die Bundestagswahl vor. Ich will da am Ende ein gutes Ergebnis. Und zum geeigneten Zeitpunkt werden die Parteivorsitzenden dafür dann einen Vorschlag machen, wer die beste Person ist für dieses Rennen ist.

Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Arbeit von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken?

Die SPD stabilisiert sich gerade. Es geht nach oben, das zeigen die Ergebnisse in Hamburg und Leipzig, das zeigen die Koalitionsausschüsse, in denen wir wichtige Punkte fürs Land durchsetzen. Wir treten geschlossen auf, das betrifft die Regierung, die Fraktion und die Partei. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stehen an der Spitze und führen dieses geschlossene Team an. Das finde ich erst einmal sehr positiv.

Esken und Walter-Borjans vertreten eher den linken Flügel der SPD, Sie sind Mitglied im Seeheimer Kreis, dem eher konservativen Flügel. Wie funktioniert die persönliche Zusammenarbeit?

Wir arbeiten auf Augenhöhe zusammen. Für uns geht es nicht um links oder rechts. Ich glaube, dass ich in den zwei Jahren als Generalsekretär gezeigt habe, dass ich Brücken bauen kann, dass ich die Partei an verschiedenen Stellen zusammenbringe. Und das haben wir uns auch zu dritt vorgenommen. Wir sprechen uns sehr eng ab, wir koordinieren sehr viel. Wir sind unterschiedlich, aber trotzdem agieren wir gut als Team.

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