- Europa möchte eine russische Invasion in die Ukraine mit Sanktionsandrohungen verhindern.
- Dabei wurden bereits schlechte Erfahrungen mit dieser Strategie gemacht.
- Wie wirken Sanktionen – und was bringen sie?
Vor seinem Antrittsbesuch in Washington schickte Bundeskanzler
Auf die Frage, welche Sanktionen ein russischer Angriff nach sich ziehen werde, blieb der Bundeskanzler vage. "Da gibt es nichts, was ausgeschlossen ist", sagte Scholz. Russland könne sich natürlich vorstellen, was die Sanktionen sein könnten. Scholz betonte aber, dass es "möglicherweise noch viel mehr ist".
Nun darf man davon ausgehen, dass Scholz gegenüber Joe Biden, den er am Montag das erste Mal als Kanzler besucht hat, etwas konkreter wurde. Gleichwohl steht die nichtssagende Formel, die Scholz zuvor gewählt hatte, stellvertretend für ein Problem, dem sich Europa und die USA seit Beginn des Konfliktes gegenübersehen: einer fehlenden Strategie oder wenigstens eines gemeinsamen Gesprächsformats mit Russland.
Während die Amerikaner mit der Verlegung zusätzlicher Truppenkontingente nach Deutschland und Polen eine militärische Antwort zumindest nicht komplett ausschließen, haben sich Deutschland und die meisten europäischen Staaten darauf verständigt, den nicht-militärischen Weg zu gehen. Und so wachsen in Washington und in Kiew, wo man sich gerade erst über das deutsche Angebot von 5.000 Schutzhelmen wunderte, Zweifel, ob sich mangels Geschlossenheit eine russische Invasion überhaupt noch abwenden lässt.
Ukraine-Konflikt: Sanktionen gegen Russland sind nicht neu
Bei der Frage, ob der europäische Sanktionsweg eine clevere Antwort auf die russischen Drohungen ist, ist Skepsis erlaubt. Schließlich hatte die EU bereits 2014 nach der Besetzung der Krim relativ erfolglos einen opulenten Sanktionsschirm über Moskau gespannt, der sich von der russischen Industrie über den Finanzsektor bis auf einzelne Personen und Organisationen erstreckte. So stehen rund 200 Russen oder ihre Organisationen auf europäischen Sanktionslisten, was das Einfrieren ihrer Konten erlaubt oder Einreiseverbote in die EU.
Dazu kommen umfangreiche Exportverbote, insbesondere auf sogenannte Dual-Use-Produkte, die ganz oder teilweise für militärische Zwecke bestimmt sind. Betroffen sind davon vor allem die großen russischen Stahlhersteller wie Severstal oder NMLK. Auch Ausrüstungsgüter, wie sie auf dem für den russischen Devisenhaushalt so wichtigen Energiemarkt benötigt werden, unterliegen strengen Ausfuhrrichtlinien.
Und nicht zuletzt dürfen russische Großbanken wie die SBerbank, die VTB Bank und die Gazprombank keine Anleihen mehr auf dem EU-Binnenmarkt platzieren, was wie ein Mühlstein auf den Aktienkursen der Institute lastet. Insgesamt beziffern Experten die Opportunitätskosten für die EU-Sanktionen allein für die Jahre 2014 bis 2016 auf rund 30 Milliarden Euro, was
Russland ist kein typisches Sanktionsziel
Der Sanktionsforscher Christian von Soest, der am German Institute for Global and Area Studies den Forschungsschwerpunkt "Frieden und Sicherheit" leitet, hat sich in seiner Karriere viel mit Sanktionen beschäftigt. Er glaubt, dass die lineare Denkweise, nach der immer härtere Sanktionen automatisch zu größeren Verhaltensänderungen unliebsamer Regime führen würden, zuletzt an ihre Grenzen gestoßen ist.
Bislang sei es Europa und Washington nicht gelungen, Russland zu Kursänderungen zu bewegen. Gleichzeitig schaden die immer radikaleren Schritte auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens. Man könne nicht einfach davon ausgehen, dass ein Einmarsch in die Ukraine verhindert wird, selbst wenn Russland vom internationalen Finanztransaktionssystem SWIFT abgetrennt werden sollte. "Um dies sicher sagen zu können, müssten wir erst wissen, was Putin politisch mit dem Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine bezweckt. Aller Erkenntnis nach weiß das zum jetzigen Zeitpunkt aber nur er selbst", sagt von Soest im Gespräch mit unserer Redaktion.
Dazu kommt, dass Russland als große Ökonomie und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat mächtig und mithin kein typisches Sanktionsziel ist. "Wenn sich die russische Regierung bereits für eine Invasion in die Ukraine entschieden hat, wird man dies mit Sanktionen nicht verhindern können, weil sie zu dem Schluss gekommen sein wird, dass die politischen Gewinne die ökonomischen Kosten überwiegen", sagt von Soest. Dafür spricht, dass es die Sanktionen Putin zuletzt sogar erlaubten, in der Bevölkerung das Gefühl zu schüren, die ökonomischen Probleme seien auf ausländische Aktionen zurückzuführen. "Allerdings können Sanktionen den wirtschaftlichen und politischen Preis in die Höhe treiben und damit möglicherweise das Kalkül verändern.
Wann Sanktionen besonders wirksam sind
Ein generelles Plädoyer gegen Sanktionen sei das aber nicht, betont der Politikwissenschaftler. Statt ständig Sanktionen mit immer höheren Preisschildern auszurufen, müssten Europa und die USA mehr Glaubwürdigkeit und Stringenz in ihren Maßnahmen herstellen. Dabei könne man in zwei Richtungen gehen.
"Entweder, man legt klar auf den Tisch, was passieren wird. Das macht die amerikanische Regierung, indem sie sagt: wir nehmen die Energiebranche, den Finanzsektor, Technologieexport oder bestimmte Entscheidungsträger und mit dem Kreml verbundene Oligarchen ins Visier", erklärt von Soest. "Oder man erklärt wie die Bundesregierung allgemein: wir sind bereit, sehr starke Maßnahmen zu implementieren, lässt aber die konkrete Umsetzung im Ungefähren, sodass die Kalkulation von Russlands Regierung mit einer großen Unsicherheit behaftet ist."
Insgesamt zeigten Studien, dass Sanktionen vor allem dann wirksam sind, solange sie sich noch im Stadium der Androhung befinden, also noch nicht umgesetzt wurden. In einem solchen Szenario besteht für alle Parteien die Möglichkeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und eine gesichtswahrende Lösung zu finden. Sind die Sanktionen einmal umgesetzt, ist diese Möglichkeit verpufft, insbesondere bei einem Land wie Russland, das sich ökonomisch ohnehin stärker in Richtung China orientiert.
Wirkung lässt sich kaum abschätzen
Was sich bei Sanktionen nicht verhindern lässt, ist, dass die Ergebnisse vorher kaum zu prognostizieren sind. Als großer Fehlschlag gelten die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, der aufgrund seines Atomprogramms seit 2012 mehrmals aus dem SWIFT-System verbannt wurde, ohne dass sich die Position der Mullahs groß verändert hatte.
Auch die UN-Sanktionen gegen das Nachbarland Irak, nachdem Saddam Husseins Armee 1990 in Kuwait einmarschiert war, erwiesen sich als katastrophal - und zwar für die Bevölkerung. Eine große politische Wirkung erzielten sie nicht. Dem Irak wurde damals der Export fast aller Güter untersagt, auch finanzielle Hilfen und der Flugverkehr wurden unterbunden. Lediglich die Lieferung lebenswichtiger Medikamente war erlaubt. Doch weil die Regierung in Baghdad angeblich kein Geld hatte, um genügend Medikamente einzukaufen, kam es besonders bei der Versorgung von Kindern zu Engpässen. Das Ergebnis war eine der höchsten Kindersterblichkeiten der Welt.
Ein struktureller Nachteil von Sanktionen sei, dass sich rund 80 Prozent der Maßnahmen gegen autoritäre Staaten richten und nicht gegen Demokratien, wo sich wirtschaftlicher Druck einfacher in politischen Druck übersetzt, sagt von Soest: "In autoritären Regimen ist der öffentliche Diskurs kontrolliert, die freie Berichterstattung beeinträchtigt und es wird Repression ausgeübt. In solchen Ländern können umfassende Sanktionen unter Umständen dazu beitragen, dass die Position des Sicherheitsapparates noch zunimmt und eine 'More Pain, more Gain'-Strategie eher zum gegenteiligen Effekt führt."
Vor diesem Hintergrund sprechen sich manche Experten und Aktivisten wie der russische Aktivist Alexej Nawalny für ein Umlenken in der Sanktionspolitik von sektoralen oder finanziellen hin zu personenbezogenen Sanktionen aus. Insbesondere die prächtigen Anwesen russischer Oligarchen in den Nobelbezirken europäischer Metropolen wie dem Londoner Mayfair-Viertel oder die unglaublichen Summen russischen Kapitals, die über Offshore-Jurisdiktionen gewaschen und investiert werden, machen diesen Gedanken populär.
Die Umsetzung ist indessen komplex, aus zwei Gründen. "Erstens ist nicht jeder wohlhabende Oligarch automatisch mit der russischen Regierung verbunden oder stützt das System", erklärt von Soest. "Nur, weil jemand viel Geld besitzt, heißt das nicht, dass sie ihn oder sie mit Sanktionen belegen können."
Dazu kommt eine Art Wettbewerbsnachteil von Rechtsstaaten gegenüber Autokratien. "Die Rechtsordnung in Europa sieht vor, dass diese Menschen ihre Schutzrechte vor Gericht geltend machen können, wo die Begründungen anschließend standhalten müssen", erklärt der Politikwissenschaftler. Deshalb seien die Regierungen in Europa vorsichtig geworden, was diese Art der Sanktionierung angeht.
Verwendete Quellen:
- IHK Koblenz: EU-Sanktionen gegen Russland
- faz.net: Hintergrund: Die UN-Sanktionen gegen den Irak
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.