Grundrente, höherer Mindestlohn, erweiterte Ansprüche auf Arbeitslosengeld: Anne Will hat mit ihren Gästen über das Sozialstaatskonzept der SPD diskutiert. Während Thüringens CDU-Chef Mike Mohring überraschend viel für die Vorschläge der Sozialdemokraten übrig hatte, bekam die SPD von Reinigungskraft Petra Vogel ihr Fett weg.

Eine Kritik

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Was war das Thema?

Arm trotz Arbeit: Vier Millionen Menschen sind in Deutschland im Niedriglohnsektor beschäftigt. Sie haben häufig Geldsorgen und können nicht genug für eine auskömmliche Rente sparen, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Fast jeder fünfte Rentner lebt schon heute in Altersarmut.

Die SPD will das Problem mit ihrem neuen Sozialstaatskonzept lösen und allen Bürgern nach 35 Jahren Beschäftigung eine Grundrente auszahlen. Der Mindestlohn soll schrittweise auf zwölf Euro erhöht werden.

Streit gibt es in der Großen Koalition darüber, ob die Grundrente mit einer Bedürftigkeitsprüfung verbunden sein soll. Die SPD lehnt diese ab, die Union ist dafür.

Auch die Finanzierung der milliardenschweren Pläne ist umstritten. Anne Will diskutierte unter dem Titel "Niedriger Lohn, magere Rente - was ist uns Arbeit wert?" mit ihren Gästen.

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Wer waren die Gäste?

Malu Dreyer: Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (SPD) hatte als Studentin wenig Geld, musste sich in ihrem Leben aber nie existenzielle Sorgen machen. Sie machte sich vehement für die "Respektrente" ohne Bedürftigkeitsprüfung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stark, von der vor allem Frauen und Beschäftigte im Niedriglohnsektor profitieren würden.

"Das spaltet unser Land", sagte sie zum Zustand, dass nicht alle Menschen am deutschen Wohlstand teilhaben.

Mike Mohring: Der thüringische CDU-Parteichef fiel durch sozialdemokratische Positionen auf. Erhöhung des Mindestlohns, Bekämpfung des Niedriglohnsektors, Ausweitung der Flächentarifverträge, Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. "Wir haben eine Mitverantwortung", sagte er selbstkritisch zu den Ursachen des Ist-Zustands und Versäumnissen seiner Partei.

Katrin Göring-Eckardt: Für die grüne Fraktionschefin im Bundestag war es ein Fehler der Agenda-Reformen unter Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), nicht schon Anfang der 2000er Jahre den Mindestlohn eingeführt zu haben.

Göring-Eckardt stellte verärgert drei Branchen heraus, in denen sie besonderen Handlungsbedarf sieht. "Pizza, Putzen, Pakete – diese drei P sind diejenigen, die so beschissen verdienen." Zur Bekämpfung von Kinderarmut forderte Göring-Eckardt zudem eine Kindergrundsicherung.

Petra Vogel: Die gewerkschaftlich organisierte Reinigungskraft aus Bochum stritt vor einigen Jahren schon mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über höhere Mindestlöhne. Ihre persönliche Situation hat sich seitdem nicht grundlegend verändert. Wenn die Waschmaschine kaputtgeht, "dann suche ich nach einer gebrauchten", bekannte Vogel. Eine neue könne sie sich nicht leisten.

Über Altkanzler Schröder schimpfte sie, er solle "sich schämen", weil er gesagt hatte, Deutschland habe den besten Niedriglohnsektor in Europa.

Reinhold von Eben-Worlée: Der Präsident des Verbandes "Die Familienunternehmer" kritisierte die Sozialstaatsreform der SPD als "sozialpolitisches Wünsch-dir-was". Er macht sich Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Doch auch der Unternehmer forderte bessere Lebensbedingungen für seine Angestellten, etwa bezahlbaren Wohnraum in den Städten.

Guido Fahrendholz: Der Koordinator einer Stelle für Wohnungslose in Berlin beobachtet zunehmend, dass sich Menschen mit einer Vollzeitstelle bei ihm melden, weil sie nicht genug Geld für eine Wohnung haben. "Eine Gesellschaft ist immer so stark wie ihr schwächstes Glied", sagte Fahrendholz.

Er warf Unternehmer von Eben-Worlée vor, niedrige Löhne in einigen Branchen als Kollateralschaden in Kauf zu nehmen.

Was war das Rededuell des Abends?

Mike Mohring redete sich angesichts der ablehnenden Haltung Malu Dreyers zur Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente in Rage: "Wenn Sie bei dieser harten Linie bleiben, erreichen wir gar nichts in dieser Wahlperiode. Dann bleiben nur enttäuschte Menschen zurück und enttäuschte Menschen, die hören dann auch auf Populisten", sagte der thüringische CDU-Chef.

Sein Vorwurf: Der aktuelle Linksschwenk der SPD sei lediglich ein Wahlkampfmanöver. Dreyer zeigte sich von Mohrings Redeschwall unbeeindruckt und blieb bei ihrer Position. Das Ziel der Grundrente sei es, Menschen für ihre Lebensleistung zu belohnen.

Was war der Moment des Abends?

Ein Satz von Reinigungskraft Vogel brachte die Diskussion auf den Punkt. "Ich möchte keine Respektrente, ich möchte eine Rente, mit der ich in Würde altern kann."

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Die wenig kontroverse Diskussion stellte die Gastgeberin vor keine großen Herausforderungen und bot kaum Gelegenheiten zum Glänzen. Humor bewies Will, als sie der ungeduldigen Katrin Göring-Eckardt das Wort erteilte. "Frau Göring-Eckardt, Sie schnaufen schon die ganze Zeit dazwischen", sagte sie grinsend.

Was ist das Ergebnis?

Die Große Koalition steht am Scheideweg. Manche Beobachter vermuten, dass die SPD durch ihr linkes Sozialstaatskonzept den Ausstieg aus der bei vielen Genossen verhassten GroKo vorbereiten will. Andere – wie Mike Mohring – sehen darin angesichts der anstehenden Europawahl und den Landtagswahlen im Osten ein taktisches Manöver.

Nimmt man die Sendung von Anne Will als Maßstab, dann stehen die Chancen, dass die Sozialdemokraten zumindest einige ihrer Forderungen umsetzen werden, gar nicht so schlecht. CDU-Mann Mohring äußerte indirekt Sympathie für die SPD-Ideen, die in Umfragen auf große Zustimmung stoßen. Und selbst Unternehmer von Eben-Worlée, der die Pläne formell ablehnt, machte sich glaubhaft Sorgen um die Lebensbedingungen seiner Beschäftigten.

Zumindest einen Erfolg kann die SPD schon mal verbuchen: Dass in Talkrunden und an Stammtischen über das Sozialstaatskonzept diskutiert wird.

Ein Manko der Sendung: Leider wurde die Diskussion, ob eine Stärkung des Sozialstaats - wie Mohring anklingen ließ - dazu taugen könnte, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, nur angerissen.

In Thüringen, seinem Heimatbundesland, könnte die AfD im Herbst stärkste Kraft werden. Es ist zu vermuten, dass die sozialdemokratisch gefärbte Argumentation des CDU-Manns zumindest in Teilen auch wahltaktische Gründe hatte.

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