Angela Merkel zu Gast bei ARD-Journalistin Anne Will - und das Hauptthema ist die Flüchtlingspolitik. Genug Stoff für ein spannendes Gespräch. "Deutschland gespalten, in Europa isoliert - wann steuern Sie um, Frau Merkel?" lautet der Titel der Sendung. ARD-Journalistin Anne Will möchte sich strikt an diesem Thema orientieren. Und klären, ob Angela Merkel überhaupt bereit dazu ist, gegebenenfalls etwas an ihrer Flüchtlingspolitik zu ändern.

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Der einzige Gast: Angela Merkel

Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin. An diesem Abend wird mal wieder klar: Die 61-Jährige ist die Konsenskanzlerin. Diplomatisch versucht sie allen gerecht zu werden. Auch jenen, die denen folgen, die "Hass sähen", wie sie sagt. "Es ist eine wichtige Zeit, eine Zeit, in der sich entscheiden wird, wie Deutschland in Europa dasteht", meint sie. "Es ist eine ganz wichtige Phase unserer Geschichte." Und das hat Merkel zu sagen:

Zitate von Angela Merkel bei "Anne Will"

... die fremdenfeindlichen Übergriffen, wie in Sachsen geschehen
"Das ist abstoßend, hässlich und durch nichts zu rechtfertigen", meint sie. Man könne Sorgen haben. Aber die Würde des Menschen sei unantastbar und das gelte für jeden, "der sich in unserem Land aufhält, egal, ob er Deutscher ist oder Gast oder Flüchtling." Fremdenfeindliche Bürger lässt sie wissen: "Wir geben niemanden auf. Ich mache für alle Menschen in Deutschland Politik."

... die Folgen der sexuellen Übergriffe in Köln
"Köln hat in verschiedener Hinsicht katastrophal gewirkt", sagt sie. "Flüchtlinge, vor allem aber Nordafrikaner haben Taten begangen, die inakzeptabel sind." Man müsse klar machen, worauf dieses Land beruht. Etwas überraschend erklärt sie: "Es wird darüber gesprochen, wenn gehetzt wird und nicht, wenn Flüchtlinge kriminell werden. Das darf nicht sein. Jeder muss zur Rechenschaft gezogen werden."

... die zu erwartende Zahl Asylsuchender in 2016
Es gehe darum, die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu reduzieren, erklärt sie. "Können Sie sagen, wie viele kommen werden", fragt Will die Kanzlerin. "Das kann ich Ihnen nicht sagen", antwortet diese. "Es wird unter einer Million sein, aber sehr viele."

... den Druck vonseiten des Koalitionspartners SPD
Sie redet den Koalitionspartner stark. "Die SPD macht sich klein. Wir haben in dieser Legislaturperiode gemeinsam viel für die Menschen bewirkt", sagt sie und nennt die Beispiele Pflegeversicherung, Krankenhausreform, Erhöhung des Kindergeldes und Rente mit 63. Sie umgarnt die SPD förmlich: "Die Sozialdemokraten haben einen großen Beitrag geleistet. Wir haben unsere Verantwortung mit den Sozialdemokraten sehr gut wahrgenommen."

... die Frage, ob Deutschland in Europa allein dasteht
Merkel setzt hier voll auf die Versprechen der Türkei. Es zeigt: Nicht Frankreich, nicht Österreich, nicht Schweden, nein, der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan ist mittlerweile ihr wichtigster Verbündeter. "Ich schließe aus, dass wir die einzigen sind, wenn die Türkei ihren Beitrag leistet", sagt sie und kritisiert ihre EU-Partner für Grenzschließungen: Sie hätten eigenständig gehandelt und Griechenland im Stich gelassen, meint sie. Merkel sieht sich "nicht in der Rolle eines Bittstellers" und fordert Zusammenhalt, um einen Austritt der Briten aus der EU doch noch zu verhindern.

... Lösungen in der Flüchtlingskrise
"Es wird eine Lösung geben, die nachhaltig ist und für die wir uns nicht schämen müssen", sagt sie. Es klingt wie ein Versprechen. Und ein Mix aus Vorschlägen, die man schon kennt: Außengrenze schützen, das Schleppertum bekämpfen, die "Durchwink-Politik" beenden und Schengen wieder in Kraft setzen. "Wir sind auf einem vernünftigen Weg", sagt Merkel und rechnet vor: "Im Oktober kamen 7.000 Menschen am Tag zu uns. Im Januar waren es noch 2.000 Menschen am Tag." Seit Anfang des Jahres werde jeder Flüchtling registriert, hinsichtlich Fluchtursachen sei schon einiges passiert. Merkel baut voll und ganz auf den Schutz der Außengrenze - und die Kooperation mit der Türkei. "Wir sind besser dabei, als manch einer denkt."

... die Frage, ob sie in der Flüchtlingspolitik umsteuern würde
"Ich versuche das durchzusetzen, wovon ich glaube, dass es richtig für unser Land ist", sagt sie. Sie glaube, Deutschland zu dienen, wenn sie es anders mache als die anderen Europäer, erklärt sie. Mit welchem Ziel? Merkel: "Europa zusammenzuhalten und Humanität zu zeigen." Es sei das schwierigste Problem ihrer Kanzlerschaft, aber sie sei Bundeskanzlerin, "damit ich das, was auf unser Land zukommt, löse." Fazit: Eine Kursänderung ist für Merkel keine Option, Selbstzweifel auch nicht.

Was war der Moment des Abends?

Merkel sagt wieder einen dieser pathetischen Sätze, der ihr hinterher um die Ohren fliegen könnte. "Wir können stärker rauskommen", meint sie. "Ich wünsche mir möglichst viele, die mit dran glauben. Dann kann man Berge versetzen." Berge versetzen - mit Verlaub - hat doch wieder etwas von "Wir-schaffen-das". Die Bürger sind sensibilisiert. Dennoch muss man Merkel zu Gute halten, wie sehr sie um ihre Politik kämpft.

Wie hat sich Will geschlagen?

Hervorragend. Chapeau, Anne Will! Normalerweise gibt es in politischen Talk-Shows ein markantes Rede-Duell. Diese Sendung war ein einziges Rede-Duell "auf Augenhöhe". Will konfrontiert Merkel mit scharfen Fragen: "Sie wollen nicht darüber reden?" Oder: "Schlittert Deutschland in ein zweites Weimar?" Und mit bissigen Aussagen: "Das klingt sehr einfach." Oder: "Ich wundere mich, dass sie ein so positives Bild der EU zeichnen."

Was ist das Ergebnis?

"Ich habe mir vorgenommen, nichts zu versprechen, was nur drei Wochen hält." Der Satz wirkt nach. Merkel hat eben nicht die eine Lösung zur Flüchtlingsfrage, wie sie sich sicher viele Bürger wünschen würden. Viel wichtiger ist aber, dass sie sich nicht kleinkriegen lässt und bei ihrer Linie bleibt. Ein Bundesstaat wie Deutschland braucht in solch einer Lage eine Regierungschefin, die nicht zweifelt, hadert oder gar kapituliert. Merkel hat noch nicht fertig. Noch lange nicht.

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