Aus sportlicher Sicht ist der Wonnemonat Mai genau die Zeit im Jahr, in der die Widerstandsfähigkeit von Fanherzen besonders geprüft wird. Das sagen zumindest Fachärzte für Kardiologie. Denn große Entscheidungen stehen an.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Traditionell stellen die Anhänger von Borussia Dortmund fest, dass sie wieder nicht am FC Bayern vorbeikommen werden, während HSV-Fans in bewährter Manier der Tragödie beiwohnen dürfen, wie ihr Verein in einer desolaten Endphase alle Aufstiegschancen verspielt.

Meine Prognose für die kommende Saison verbindet beide Vereine: Edin Terzić wechselt als Cheftrainer zum HSV, der daraufhin ungeschlagen Herbstmeister der zweiten Liga wird. Nach einigen gleichsam unglücklichen wie unerklärlichen Ausrutschern und regelmäßigen Heimniederlagen gegen Abstiegskandidaten findet sich das Team vier Spieltage vor Saisonende plötzlich auf dem fünften Platz wieder und Terzić wird vom Team "Bruwe" aus Bruno Labbadia (der schöne Bruno) und Uwe Seeler (Teamchef) abgelöst, um anschließend spektakulär Vierter zu werden.

Soweit die Standard-Meldungen aus der Fußballwelt, die man jeden Mai wieder getrost per Copy-Paste ins Rennen schicken könnte. Und obwohl es in so hysterischen, unsicheren Zeiten wie während einer Pandemie durchaus tröstlich ist, dass wenigstens auf den HSV robust Verlass ist, wenn es auf das vollkommen unnötige Verspielen des Aufstiegs ankommt, ist dieser Mai schon jetzt ein reichhaltiger Fundus an weiteren Anekdoten für die Ewigkeit. Die spielen sich aber zum Glück nicht auf dem grünen Rasen ab, denn das ist ja keine Fußball-Kolumne.

Grün ist aber dennoch ein gutes Stichwort, denn in den vornehmlich von alten weißen Männern bevölkerten Chefbüros von CDU/CSU, FDP oder Medienhäusern grassiert weithin spürbar die Panik vor einer weiteren Frau im Kanzleramt, die dann auch noch Subventionen für Kurzstreckenflüge zugunsten billigerer Zugtickets umverteilen möchte.

Da gehen natürlich umgehend die Freiheits-Alarmglocken an in den vollverglasten CEO-Büros der Generation "Fuck You Greta". Insgesamt interessant zu beobachten, wie schnell Verfechter des liberalen Meinungsaustausches Freiheit und Grundgesetz in Gefahr sehen, wenn mal jemand ernsthaft Verbesserungen vorschlägt, die vor allem positive Auswirkungen auf die kommenden Generationen haben, und nicht nur auf die Aktienkurse der nächsten Dividenden-Saison.

Mehr Bock auf Baerbock?

Fast bekommt man den Eindruck, die Lunte zum ad hoc Impuls der Angst um die eigene Freiheit ist bei alten, weißen Männern und Corona-Leugnern ähnlich kurz.

Mit vollkommen anderer Motivation zwar, aber wenn es im Porsche Cayenne nicht so gemütlich wäre – ausschließen würde ich nicht, dass plötzlich jeder Systemprofiteur mit einem Jahresgehalt jenseits der 300.000 Euro an der Seite seiner von Klimahysterie und Genderstern geschundenen Gleichgesinnten vor dem Brandenburger Tor aufmarschiert und "Ich habe auf Armin Laschet mehr Bock als auf Annalena Baerbock" skandiert.

Das haben die Grünen aber auch perfide eingefädelt. Jahrelang wurde das konservative Establishment in vermeintlicher Sicherheit gewogen. Stets war man dort davon ausgegangen, die Erben von Joschka Fischer würden Pferdeflüsterer Robert Habeck ins Kanzler-Rennen schicken.

Und wer einen Christian Lindner in seinen Reihen hat, der weiß: Jemanden wie Habeck muss man nur oft genug mit einem guten Schwarz-Weiß-Fotografen, ein paar Hengsten und einem frisch gebügelten Designerhemd auf einer verträumten Koppel aussetzen, dann kann man ihn verlässlich an seiner Eitelkeit aufknöpfen und zum Markus Schenkenberg der Politszene aufbauen: Ganz hübsch anzusehen und auf Partys ruhig mal dekorativ am (veganen) Käsefondue platzieren. Aber zuhören, wie er vor einem Mikrofon seine Weltanschauung loswird, das möchte echt niemand.

Kandidaten-Roulette, bis keiner heult

Trojanische Pferde wiehern aber nicht nur im Kino, sondern (obwohl Baerbock und Habeck nicht Diane Kruger und Brad Pitt sind) auch in der Bundespolitik. Aus Habeck, dem Talkshow-Rekordgast der Prä-Corona-Jahre, entstieg inmitten der Pandemie plötzlich Annalena Baerbock.

Während viele sie noch für die Marketing-Aktion einer Werbeagentur hielten, um mit einem Lena Meyer-Landrut-Double Stimmen im Instagram-Game abzufischen, wird sie plötzlich zur Kanzlerkandidatin ausgerufen.

Und steht schon eine Woche später in so ziemlich allen Umfragen vor dem bisherigen Marktführer CDU/CSU. Vor der SPD sowieso. Im Willy-Brandt-Haus geht es im Wahljahrgang 2021 ja lediglich noch darum, zweistellig zu bleiben.

Da ist meine Sozialdemokratie leider momentan das Schalke 04 der Bundespolitik. Aber bald schon werden wir das Borussia Dortmund sein. Totgesagte leben länger. Und wer weiß, vielleicht werden Lars Klingbeil und Kevin Kühnert die Aki Watzkes und Jürgen Klopps der SPD?

So einen Sympathieträger wie Klopp könnten die etablierten Parteien aktuell gut gebrauchen. Baerbock jedenfalls startet in den Wahlkampf ohne politische Skandale, ohne Bereicherungsorgien auf den Nacken der Steuerzahler, ohne Spendenaffären und ohne Verbalausfälle. Sowas kennt man bei der Union gar nicht.

Dort ist der erste Arbeitsschritt für jeden neuen Spitzenkandidaten ja zumeist das eilige Zusammenstellen eines mehr oder weniger fähigen PR-Teams, das die Leichen im Keller des Auserwählten wort- und erfindungsreich in nur rein zufällig im Keller schlafende (dem Kandidaten vollkommen unbekannte) Zufallsbegegnungen umschminkt.

Verbietet die Verbotspartei!

Aber wie wir Freunde der gepflegten Sportanalogie wissen: Angeschlagene Boxer sind gefährlich! So konnte das "Kompetenzteam Diskreditierung" diese Woche einen ersten gezielten Doppel-Gegenschlag platzieren. Und landete zwei Wirkungstreffer.

Vor allem aufgegriffen und unverhohlen bejubelt von den Medienhäusern, die traditionell die Grünen als einen Haufen Ökolatschen tragender Hippies unterschätzen, die sich bei Castor-Transporten gerne an Gleise ketten. Und bei der Rechtsbubble auf Twitter.

Plot-Twist: Was hat Annalena Baerbock denn eigentlich für eine Ausbildung? Hat da etwa die "Süddeutsche Zeitung" die Zündschnur gelegt? Mit ihrem heimtückischen Hinweis, man hatte zunächst fälschlicherweise behauptet, Baerbock hätte einen Bachelorabschluss – aber sie hätte gar keinen?

Etwas ungünstig formuliert vielleicht von den Arschgeigen bei der SZ, würde da ein Grünen-Fan vermutlich einwenden. Immerhin erweckt so eine Darstellung auf den ersten Blick ein wenig den Anschein, die womögliche Kanzlerinnen-Nachfolgerin von Angela Merkel persönlich hätte zunächst behauptet, einen Bachelorabschluss zu besitzen und das Investigativteam der SZ hätte das dann pulitzerverdächtig durchrecherchiert.

Erweckt wurde so gleichwohl tatsächlich etwas. Vor allem der Troll-Mob der Baerbock-Hasser. Die Nerven aller Politikexperten, die eine Regierungsverantwortung der Grünen noch mehr fürchten als Boris Becker den Gang zum Kontoauszugsdrucker, lagen sofort blank.

Die glauben ja tatsächlich (sogar ohne extremen vorherigen Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen), unter einer Kanzlerin Baerbock würden mindestens Urlaubsflüge, Eigenheime, Aktien, Fleisch und Autos verboten.

Wie entfesselt stürzten die sich also an ihre Tastaturen und klärten in Kommentarspalten und Replys die Nation darüber auf, Annalena Baerbock hätte bei ihrer Ausbildung gelogen. Mal abgesehen davon, dass das nicht der Wahrheit entspricht, entspricht diese Reaktion der Definition von Doppelmoral, wie sie in keinem Philosophie-Schulbuch besser beschrieben werden könnte.

Während in der aktuellen Regierung einige Glanzlichter der politischen Integrität ihr Unwesen, teilweise sogar als Minister, treiben, die sogar Doktortitel erfunden oder erschlichen haben, gilt plötzlich eine Frau als Gefahr, weil die Hans-Georg Maaßen Fanbase mit zu viel Tagesfreizeit die Zugangsanforderungen für Londoner Universitäten nicht begreift. Sowas kann man sich nicht ausdenken.

Lena, wie ein klarer warmer Gegenwind

Gerade rechtzeitig bevor dieser Angriff auf das Bildungsniveau der potenziellen Kanzlerin in sich zusammenzufallen drohte, wird im Diskurs-Dschungel der Anti-Baerbock-Fraktion noch ein weiteres Ausschlusskriterium entdeckt, das Annalena Baerbock für Führungsaufgaben unbrauchbar macht. Sie hat (Kreisch!) zwei Kinder. Beide noch lange nicht volljährig.

Das geht nun wirklich zu weit. Da ist man sich in der Fraktion Regierungskompetenz schnell einig: Eine Frau mit Kindern als Kanzlerin? Ausgeschlossen. Mütter sollten froh sein, dass sie überhaupt arbeiten dürfen.

Und das sogar ganz ohne Erlaubnis ihres Mannes. Allerdings wenn, dann bitte höchstens halbtags als Kosmetikerin oder so. Kinder erziehen sich nicht von alleine. Und dann noch der Haushalt. Außerdem sind hübsche Nägel systemrelevant.

Deutschland ist also zu Recht in Panik! Man stelle sich nur mal vor, wie eine Kanzlerin Baerbock die entscheidende Abstimmungsphase eines wichtigen internationalen Wirtschaftsgipfels verpasst, weil sie noch schnell ihre elfjährige Tochter abstillen muss.

Da ist Deutschland dann im Bedeutungs-Ranking der Weltpolitik aber ganz, ganz schnell aus den Top 3 abgestürzt auf Platz 13 oder so. Übrigens auch exakt unser Platz in der letzten Pisa-Studie. Hinter Singapur, Hongkong, Japan, Kanada, Macau, Estland, Taiwan, Finnland, Südkorea, China, Irland und Slowenien. Aber halb so wild! Macron und seine Baguette-Bourgeoise landet mit Frankreich nur auf Platz 25 und die USA sind nicht mal in den Top 30.

Andererseits haben weder Frankreich noch die USA eine Zweifachmutter an der Spitze der Regierung. Ein weiteres Indiz dafür, dass es mit Baerbock einen rasanten Bildungsabsturz gibt. Ja, das entbehrt jetzt jeder Logik. Ich nivelliere mich eben an die Kausalitäts-Plausibilität der Beiträge aller Hochschulabschluss-Beauftragten auf Twitter.

Tatsächlich ist es nämlich so, dass einige der Länder, die im Pisa-Ranking vor uns rangieren, Mütter als Regierungschefinnen gewählt haben. Beispielsweise Hongkong oder Finnland. Im Fall der 35-jährigen Sanna Marin (Ministerpräsidentin von Finnland) sogar eine junge Mutter, die ihre erst 2018 geborene Tochter schon mehrfach mit im Parlament hatte. Wenn Friedrich Merz das sieht – dem fällt doch vor Schreck der Speiseplan mit den Koch-Anweisungen für die nächste Woche aus dem Privatjet, den er gerade an seine Frau faxen wollte.

Was ich mit diesem Text eigentlich sagen will: Angst ist nie ein guter Berater. Die AfD holt mit diversen Angstszenarien (Angst vor dem Euro, Angst vor Ausländern, Angst vor Ballermann-Verboten, Angst vor Diversity) zuverlässig genug Wählerstimmen, um ihre zumeist vorbestraften Postenabgreifer in Parlamente zu schleusen und mit Steuergeldern zu alimentieren. Das Stilmittel der Angst ist also ohnehin bereits vergeben.

Angst vor Annalena Baerbock und Angst vor einer Verbotspartei zu schüren wird also nicht reichen, um eine grüne Kanzlerin zu verhindern. Konzentrieren wir uns also wieder auf politische Fragen. Davon gibt es nämlich einige, um die es sich in Deutschland schnellstmöglich zu kümmern gilt.

Um sich da ein Bild zu machen, könnte man beispielsweise die Programme der antretenden Parteien studieren. Die beinhalten einige interessante Versprechungen. Nur bei der CDU/CSU nicht. Die haben bislang kein Programm vorgelegt. Was auch irgendwie verständlich ist. Wenn ich mit Armin Laschet antreten müsste, würde ich auch sagen: Freunde, die Mühe mit einem Parteiprogramm können wir uns eigentlich sparen.

Informieren Sie sich also bitte - und vor allem: Gehen Sie wählen! Als Vorab-Dankeschön verrate ich Ihnen sogar ein Wahlgeheimnis: Ich werde Annalena Baerbock nicht wählen. Mein Herz schlägt Rot. Sollte aber wider Erwarten nicht Olaf Scholz Kanzler, sondern Annalena Baerbock Kanzlerin werden, werde ich trotzdem nicht auswandern. Und das sollten Sie auch nicht. Bis nächste Woche!

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