Die ernüchternden Ergebnisse im Europapokal dokumentieren den schleichenden Niedergang des deutschen Fußballs. Noch ist nicht alles schlecht und schon gar nicht verloren - es erfordert nun aber endlich grundsätzliche Änderungen auf allen Ebenen.

Mehr Fußball-Themen finden Sie hier

Es ist noch gar nicht so lange her, da wähnte sich der deutsche Fußball auf der Höhe seines Schaffens.

Im Sommer 2017 durfte sich der Deutsche Fußball-Bund mit den Etiketten Weltmeister, Confed-Cup-Sieger und U21-Europameister schmücken. Drei der vier wichtigsten zu vergebenden Titel hatten sich Mannschaften des DFB gekrallt, nur die EM 2016 bildete mit dem Aus im Halbfinale einen Ausreißer.

Der FC Bayern schaffte es verlässlich immer unter die besten vier Klubmannschaften des Kontinents, das Flaggschiff kaschierte aber schon in diesen Jahren das große strukturelle Problem, dass hinter den Bayern lange gar nichts kommt und allenfalls Borussia Dortmund noch das eine oder andere Highlight setzen konnte.

Aber das ist mittlerweile auch schon einige Jahre her. Es mag selbst den einen oder anderen Experten verwundern, aber das Abschneiden der deutschen Mannschaften im Europapokal in dieser Saison ist alles andere als ein Zufall - Eintracht Frankfurt mal außen vor gelassen.

Erstmals seit 13 Jahren steht kein deutscher Vertreter im Viertelfinale der Champions League. Nach dem vermeintlichen Hoch Ende November, als sich die Bundesliga gleich über drei Teams freuen durfte, die es in die K.o.-Runde geschafft hatten und nur Greenhorn 1899 Hoffenheim auf der Strecke blieb, setzt nun die Ernüchterung ein.

In den Achtelfinals der Königsklasse ging die Bundesliga im großen Vergleich mit der Premier League regelrecht unter, in sechs Spielen gab es ein Remis, aber fünf Niederlagen, bei erschütternden drei zu siebzehn Toren.

Wie zum Beweis wurden die beiden deutschen Vorzeigeklubs aus München und Dortmund von Mannschaften aus dem Wettbewerb geworfen, die zur großen Blütezeit der Bayern und des BVB fast unter ferner liefen agierten und jetzt in vollem Tempo vorbeiziehen.

Der FC Liverpool und Tottenham Hotspur klettern seit Jahren die Leiter (wieder) nach oben, während es für die deutschen Klubs peu a peu nach unten geht.

Geld ist vieles - aber nicht alles

Zur Ehrenrettung der Bundesligamannschaften gehört es zu erwähnen, dass die größeren finanziellen Möglichkeiten der Premier League und auch einiger einzelner Klubs aus Spanien, Frankreich oder Italien in der Regel einen großen Unterschied machen.

Solange der Tabellenletzte der Premier League mehr Fernsehgelder generiert als die Bayern in der Bundesliga, sind die Bedingungen für einen "fairen" Wettbewerb in der europäischen Spitze verzerrt.

Nicht umsonst spielen der derzeit beste deutsche Torhüter (Marc-Andre ter Stegen), der beste deutsche Angreifer (Leroy Sane) und die ehemals besten deutschen Mittelfeldspieler (Toni Kroos, Sami Khedira, Ilkay Gündogan) bei großen Klubs im Ausland und nicht etwa in München, Dortmund, Gelsenkirchen oder Leipzig - und arbeiten mit Jürgen Klopp und Pep Guardiola zwei sehr entscheidende Trainer der letzten Dekade mittlerweile in der Premier League.

Von den ehemals prägenden Figuren wie Kevin de Bruyne, Ousmane Dembele oder Naby Keita ganz zu schweigen.

Das nimmt den DFB und seine Top-Klubs aber nicht aus der Pflicht, nachhaltig für hochklassigen Nachschub zu sorgen in den Nationalmannschaften und den Nachwuchsleistungszentren des Landes.

Hier wurde in den vergangenen Jahren geschlafen, während die Konkurrenz aus England, Frankreich und neuerdings auch wieder der Niederlande links und rechts am deutschen Fußball vorbeizog.

Im Glanz der Titel bei den Senioren und der wichtigsten Nachwuchsmannschaft U21 vergaßen Verband und Vereine offenbar, aktiv, mutig, kreativ und schlau zu bleiben.

Vermeintliche Vormachtstellung

Stattdessen begingen sehr viele wichtige Institutionen die Fehler der Vergangenheit, machten es sich bequem in der vermeintlichen Vormachtstellung und bekamen gar nicht so recht mit, wohin die neuen Trends in der Spielerausbildung und -entwicklung sich bewegten.

Joachim Löw hatte diesen Umstand schon vor fast vier Jahren angemahnt und warnend den Zeigefinger gehoben: "Viele glauben, in Deutschland gebe es Talente wie Sand am Meer. Das stimmt nicht!"

Intern jammerten die Trainer der deutschen U-Mannschaften schon länger, auf dem Sportkongress "Spobis" gab Teammanager Oliver Bierhoff vor einem Jahr der Problematik ein klares Gesicht: "Früher hatten wir in jedem Jahrgang fünf oder sechs Ausnahmespieler, heute sind es zwei bis drei."

In England, Frankreich, Spanien oder in den Niederlanden wird mehr Wert auf die individuelle Ausbildung der Spieler gesteckt als in Deutschland, wo das Kollektiv im Vordergrund steht und selbst in den Bundesligen der U17 und U19 großer Wert auf sportlichen Erfolgen liegt - und nicht nur die Ausbildung der Spieler an oberster Stelle steht.

Die Deutschen haben nicht schnell genug reagiert in den neuen Feldern der Spielanalyse, in der Datenerhebung und deren Analyse sowie der Digitalisierung.

Das verwundert, weil es eigentlich immer auch deutsche Kernkompetenzen waren, abseits des Platzes die besten Rahmenbedingungen zu schaffen.

Kein Kollaps, aber eine Zäsur

Dem deutschen Fußball steht keine Zeitenwende ins Haus oder der totale Kollaps, aber zumindest eine Zäsur. Man muss aufpassen, dass man Klub- und Verbandsfußball nicht zu sehr miteinander vermischt oder Kausalitäten herstellt, wo es keine gibt.

Aber man muss kritisch hinterfragen, wie es in den europäischen Wettbewerben zu teilweise blamablen Ergebnissen kommen kann gegen Mannschaften aus Ligen, die finanziell nicht einmal annähernd mit der Bundesliga mithalten können und wie die Nationalmannschaft vom strahlenden Weltmeister zu einem Problemteam mit einer durchaus fragwürdigen Außendarstellung werden konnte.

Alleine die Tatsache, dass Löw einen Umbruch oder den Neustart seiner Mannschaft ausrufen muss, ist für den größten Sportfachverband der Welt mit rund sieben Millionen aktiven Spielern ein Armutszeugnis. Einen Umbruch im wörtlichen Sinn darf es beim DFB angesichts der Fülle an Spielern eigentlich nie geben.

Es sei in Deutschland ja grundsätzlich so, dass alles negativ ist, antwortete Manuel Neuer nach dem Aus gegen Liverpool am "Sky"-Mikrofon auf die Frage, ob der deutsche Fußball derzeit ein schlechtes Bild abgebe.

Im Grunde antwortete Neuer aber überhaupt nicht auf die ihm gestellte Frage, er wich auf einen Allgemeinplatz aus. Neuer ist bei den Bayern und in der Nationalmannschaft Kapitän und damit automatisch ein Anführer, dessen Wort Gewicht hat.

Es sollte jetzt auch aus dem Kreis der Spieler die überfälligen kritischen Kommentare geben, die den Finger in die Wunde legen. Die auch mal Hierarchien hinterfragen und neue bilden lassen - gerade jetzt, wo die gewohnte Bayern-Achse in der Nationalmannschaft aufgebrochen ist.

Es wurde zu lange zu ruhig und selbstverliebt gesprochen, was letztlich auch den Weg dahin geebnet hat, wo sich der deutsche Fußball im Jahr 2019 wiederfindet: Im europäischen Mittelmaß.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.