Dass Hertha BSC Jürgen Klinsmann zum Cheftrainer befördert hat, macht für Lucien Favre den Gang zu seinem Ex-Verein nur noch schwerer. Für den angeschlagenen Coach von Borussia Dortmund geht es an alter Wirkungsstätte um seinen Job.

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Er sollte sich endlich zu Ambitionen auf die Deutsche Meisterschaft und zur Herausforderung des FC Bayern München bekennen: Seitdem Lucien Favre im vergangenen Sommer diesem öffentlichen Druck nachgab, ist sein Stern gesunken.

Borussia Dortmunds Cheftrainer steht seit Wochen in der Kritik. Dabei ist - nüchtern betrachtet - vor dem 13. Spieltag der Bundesliga nichts Gravierendes passiert.

Favres Mannschaft rangiert zwar vermeintlich nur auf Rang sechs der Tabelle. Der Rückstand auf Tabellenführer Borussia Mönchengladbach, für den Favre zwischen 2011 und 2015 arbeitete, beträgt aber nur fünf Punkte. Und auch der FC Bayern liegt lediglich vier Punkte vor dem BVB.

Spätestens seit dem 0:4 in München aber ist der Glaube an die Augenhöhe zwischen den Bayern und der Borussia aus Dortmund dahin. Favres Personal vergab an jenem Abend der direkten Konfrontation mit dem Deutschen Meister eine große Chance: zu beweisen, dass der Traum von der Wachablösung keiner bleiben muss.

José Mourinho ist vom Markt

Der leblose Auftritt seiner Mannschaft wurde dem Trainer angelastet. Die "Bild"-Zeitung warf das Gerücht auf den Markt, José Mourinho würde Favre als Trainer ablösen. Der Portugiese hat mittlerweile aber bei Tottenham Hotspur die Nachfolge Mauricio Pochettinos angetreten.

Dazu kommt die 1:3-Niederlage in der Champions League beim FC Barcelona. Sie fiel aufgrund der engagierten Leistung zwar ehrenhaft aus, folgte aber auf jenes 0:4 bei den Bayern und ein erzittertes 3:3 gegen Bundesliga-Schlusslicht SC Paderborn.

"Es war ein bitterer Abend für uns", klagte Lizenzspielerchef Sebastian Kehl. Denn: Dortmund braucht am finalen Spieltag der Gruppenphase der Champions League fremde Hilfe. Um das Achtelfinale der Königsklasse zu erreichen, muss der BVB daheim gegen Slavia Prag einen Punkt mehr erzielen als Mailand gegen den FC Barcelona.

Ob Favre dann allerdings noch als Verantwortlicher bei Borussia Dortmund an der Seitenlinie steht? Das hängt nicht unwesentlich vom Ausgang des Ausflugs ins Berliner Olympiastadion ab.

Jürgen Klinsmann gibt sein Debüt für Hertha BSC

Das kennt Favre von früher bestens. Zwischen 2007 und 2009 trainierte er Hertha BSC. Diese Aufgabe hat aktuell vor dem 13. Spieltag Jürgen Klinsmann übernommen. Zu dem erwarteten Krisengipfel zwischen Klinsmanns Vorgänger Ante Covic und Favre kommt es nun nicht mehr.

Für Favre ist dies schwerlich ein Vorteil. Denn der stets bestens gelaunt wirkende Klinsmann gilt noch immer als Künstler der Motivation. Der frühere Torjäger steht als Bundestrainer außer Dienst noch immer für den entscheidenden Umbruch im deutschen Fußball und das heimische WM-Sommermärchen von 2006.

"Spiele sind immer schwieriger, wenn bei der anderen Mannschaft ein neuer Trainer im Amt ist. Die Berliner werden sich neu beweisen wollen", kommentierte BVB-Spieler Julian Brandt.

Favre: "Ich konzentriere mich aufs Wesentliche"

Sein Trainer spielte die Aufregung um seine gefährdete Weiterbeschäftigung am Tag vor dem Showdown in der Pressekonferenz herunter: "Ich konzentriere mich auf das Wesentliche, auf Berlin. Mein Fall ist unwichtig, aber das gehört dazu", zitierte ihn der "kicker".

Eine Aufbruchstimmung wie in Berlin fehlt Favre in Dortmund trotzdem. In Barcelona ließ er den Senkrechtstarter des Vorjahres, Jadon Sancho, zunächst die Bank drücken. Sancho durchlief zuvor ein Formtief und trat innerhalb der Mannschaft undiszipliniert auf.

Als Sancho aber in der zweiten Halbzeit in Barcelona den deutschen Nationalverteidiger Nico Schulz ersetzte, belebte er das Spiel der Gäste merklich. Sein Tor zum 1:3-Endstand in der 77. Minute war von technisch höchster Güte.

Favre musste sich den Vorwurf gefallen lassen, Sancho nicht von Anfang an aufgestellt zu haben. Trotzdem sorgen den Schweizer Schlagzeilen wie jene der "Bild"-Zeitung ("Job-Endspiel gegen Klinsi") keineswegs: "Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. Ich habe Vertrauen."

Watzke macht Favre eindeutige Ansage

Wie es um das Vertrauen der Vereinsführung in Favre steht? Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke fehlte auf dem Rückflug aus Barcelona. Sportdirektor Michael Zorc war ebenfalls nicht an Bord. "Sie sind nicht auf Trainersuche, sondern haben unabhängig voneinander verschiedene Termine", dementierte Dortmunds Mediendirektor Sascha Fligge noch am Flughafen.

Watze hatte aber in der Woche zuvor Favre im Rahmen der Jahreshauptversammlung auch unmissverständlich verdeutlicht, dass es sich bei Fußball um einen Ergebnissport handele. Die Erinnerung daran, schon im eigenen Interesse gewinnen zu müssen, steht.

Zorc sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf: "In Berlin wollen wir die Trendwende in der Bundesliga schaffen und wieder den Anschluss an die obereren Plätze schaffen."

Noch klarer wurde BVB-Keeper Roman Bürki: "Jetzt ist ein Sieg in Berlin Pflicht."

Zorc fügte am Tag vor dem Spiel hinsichtlich Favres Zukunft hinzu: "Wir glauben auch, dass wir das in dieser Konstellation hinkriegen", sagte er nach Information des "kicker".

Mit Material der dpa
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