Der FC Bayern startet mit einigen Baustellen in die heiße Phase der Saisonvorbereitung. Kriegen die Münchner mit ihrem neuen Trainer Julian Nagelsmann rechtzeitig die Kurve?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Dass der Einstieg des neuen Trainers Julian Nagelsmann beim FC Bayern seine Schwierigkeiten mit sich bringen würde, war zu erwarten. Weite Teile der Mannschaft steigen nach der Europameisterschaft im Sommer erst nach und nach ins Mannschaftstraining ein, sodass an eine echte Saisonvorbereitung bisher kaum zu denken war. Trotzdem läuft es bei den Münchnern zwei Wochen vor Bundesliga-Start doch etwas unrunder als viele es erhofft hatten. Zuletzt murrten auch noch ein paar Fans gegen den Ex-Löwen Nagelsmann.

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In drei Testspielen gelang dem Deutschen Meister bisher kein Sieg. Am Mittwochabend verloren die Bayern auch gegen Liga-Auftaktgegner Borussia Mönchengladbach mit 0:2. Die Ergebnisse sind mit Blick auf die nach wie vor fehlenden Stars zu vernachlässigen. Schwerer wiegt, dass der Kader nicht fertig wirkt und schnelle Hilfe durch zusätzliche Transfers aktuell unrealistisch ist. Doch das ist nicht die einzige Baustelle.

Kommen noch Verstärkungen zum FC Bayern?

Die Zusammenstellung des Kaders war schon in der Vorsaison unter Hansi Flick ein Dauerthema beim FC Bayern. Flick wünschte sich weitere Verstärkungen, um die hohen Belastungen von drei Wettbewerben auf höchstem Niveau standhalten zu können. Der Konflikt zwischen ihm und Sportchef Salihamidzic wurde über Wochen sogar öffentlich ausgetragen. Besser geworden ist der Kader in diesem Sommer eher nicht.

Der zu Real Madrid gewechselte David Alaba hinterlässt eine Riesenlücke, die zu 100 Prozent ohnehin kaum zu füllen ist. Zudem ging mit Jerome Boateng eine weitere wichtige Stütze der Defensive. Mit Dayot Upamecano (22) steht dem ein hochkarätiger Neuzugang gegenüber. Douglas Costas Planstelle blieb nach dessen Abgang ebenfalls unbesetzt. Ob Flügelspieler Omar Richards (23), der derzeit in der Vorbereitung viel Spielzeit bekommt wirklich das Zeug hat, die Profimannschaft zu verstärken, bleibt abzuwarten. Das gilt – trotz ansprechender Auftritte in der Vorbereitung - nach wie vor auch für Bouna Sarr (29) und den derzeit lange verletzten Marc Roca (24).

Mit Michael Cuisance (21), Corentin Tolisso (26) und Joshua Zirkzee (20) gibt es zudem eine Reihe von Kandidaten für einen Wechsel. Spülen sie Transfereinnahmen in die Kasse, könnten für den Rekordmeister neue Möglichkeiten entstehen. Gelingt das nicht, ist der Handlungsspielraum des FC Bayern auch auf Grund der Auswirkungen der Corona-Pandemie begrenzt. Das hat die neuformierte Vereinsführung nun über Monate deutlich gemacht.

Ein Außenverteidiger von internationalem Format und ein spielstarker zentraler Mittelfeldspieler stünden dem Kader durchaus gut zu Gesicht und würden Nagelsmanns Optionen deutlich erhöhen. Der Wunsch der Bosse, junge Spieler aus der eigenen Jugend an den Kader heranzuführen, ist löblich. In den bisherigen Testspielen drängte sich allerdings trotz weitgehend ordentlicher Leistungen der Nachwuchskräfte kein Spieler übermäßig auf. Mittelfeldmann Torben Rhein (18) spielte sich noch am ehesten in den Fokus. Eine sofortige Verstärkung wäre er allerdings noch nicht.

Die Viererkette muss sich finden

Die Defensive muss derweil von Julian Nagelsmann komplett neu formiert werden. Dass er weiter im Grundsatz auf eine Viererkette setzen wird, machte der neue Coach schon früh deutlich. Die Dreierkette soll zwar eine Variante werden, die bei Bedarf zum Einsatz kommt, doch die Viererkette in der Defensive bleibt die Basis.

Hier mischt sich aktuell alles neu. Die Abwehrbosse Alaba und Boateng haben den Verein verlassen. Upamecano kommt als Königstransfer dazu. Niklas Süle muss sich nach einer schwächeren Saison neu beweisen. Tanguy Nianzou kann, wenn er fit bleibt, eine echte Alternative in der Zentrale werden. Sein Platz ist eigentlich für Lucas Hernandez reserviert gewesen. Der französische Weltmeister ist allerdings aktuell mal wieder verletzt. Das gleiche gilt für Alphonso Davies auf links, der zudem ebenfalls ein schwächeres Jahr hinter sich hat. Rechts dürfte weiter Benjamin Pavard gesetzt sein, der immer ordentlich spielt, aber in der Offensivbewegung auf dem Flügel zu wenig Gefahr ausstrahlt.

Auch hier also: Viele offene Fragen. Wenig fertige Antworten. Nagelsmann muss weiter tüfteln auch wenn ihm die zahlreichen Verletzungen zum Saisonstart kaum Optionen lassen dürften. Nach 44 Gegentoren in der Bundesliga im Vorjahr ist Nagelsmann zudem gefordert die gesamte Defensivarbeit zu stabilisieren. Angesichts der beschriebenen Umstände eine knifflige Aufgabe.

Taktik noch work in progress

Noch ist nicht so richtig klar absehbar, mit welchen taktischen Vorgaben Nagelsmann den FC Bayern in der neuen Saison aufstellen will. Gewiss: Einige Grundprinzipien sind schon jetzt zu erahnen. Hohe Aktivität mit und gegen den Ball, Dreiecksbildungen überall auf dem Feld, häufiger hineinkippende Außenverteidiger, vermutlich kein so hohes Pressing wie unter Flick, dafür mehr Dominanz durch Kompaktheit und hohe Laufbereitschaft auch bei eigenem Ballbesitz.

Nagelsmann setzt wohl auch auf mehr Variabilität, was er nicht nur in den Testspielen, sondern auch mit einigen Aussagen in den Pressekonferenzen andeutete. Das betrifft die Formation als auch die zielgenaue Anpassung an Stärken und Schwächen des Gegners. Flick hatte zuletzt eher seiner Erfolgsmannschaft vertraut und den Stil trotz vieler Gegentreffer und insgesamt hohem Kräfteverschleiß kaum angepasst. Gegen Mönchengladbach probierte es Nagelsmann am Mittwoch erstmals mit einem 4-1-2-3
Da die Nationalspieler erst Ende der Woche vollständig zurückkehren sind die taktischen Tüfteleien allerdings immer noch "work in progress".

Sané und Gnabry als Sorgenkinder

Die beiden Münchner Offensivstars haben eine EM zum Vergessen hinter sich. Schon in der Vorsaison lief für beide nicht alles rund. Gnabrys Leistungen schwankten. Sané kam erst ganz am Ende der Saison richtig in Tritt. Beide stehen vor einer extrem wichtigen Saison. Gnabry, dem in seiner Anfangszeit in München beinahe alles spielend gelang, muss in einem System mit nur einem Stürmer weiter zeigen, dass er auch vom Flügel regelmäßig Torgefahr erzeugt. Denn das ist die Basis für seinen Stammplatz im Bayern-Team.

Für Sané steht noch deutlich mehr auf dem Spiel. Mit 25 Jahren steht der Ex-Schalker an einem Scheideweg. Woche für Woche Weltklasse oder ab und zu sehr gut. Das macht auf diesem Niveau einen gewaltigen Unterschied. Bisher war er in München vor allem letzteres. Weltklasse ist jedoch der Anspruch, mit dem die Münchner Sané für viel Geld von Manchester City losgeeist haben.

Nagelsmann muss Sané vor allem Rückhalt und Selbstvertrauen geben, damit er seine Fähigkeiten im Dribbling und im Abschluss mutiger und zielgerichteter nutzt als zuletzt. Sanés individuelle Entwicklung in München sollte für das Trainerteam und den gesamten Klub absolute Priorität haben.

Zwei Wochen vor dem Bundesliga-Auftakt gegen Mönchengladbach gibt es für Nagelsmann und den FC Bayern also noch jede Menge zu tun.

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