Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles ist für markige Worte bekannt, gerade auch gegen CDU und CSU. Dabei werden die drei Parteien wohl schon bald über eine mögliche Regierungsbildung verhandeln. Doch es gibt Gründe, warum sich Nahles so lautstark positioniert.

Ein Interview

Die Verhandlungen über eine mögliche Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD sollen erst 2018 stattfinden. Doch schon jetzt zählt die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles nach dem Glyphosat-Eklat die Union an.

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Nachdem der geschäftsführende Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Brüssel im Alleingang der Verlängerung der Lizenz für den Unkrautvernichter Glyphosat zugestimmt hatte, sprach die 47-Jährige von einem "massiven Vertrauensbruch".

Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Parteienforscher Prof. Dr. Werner J. Patzelt, welche Strategie Andrea Nahles verfolgt.

Herr Patzelt, Andrea Nahles polarisiert, kündigte nach der Bundestagswahl 2017 an, ab jetzt bekäme die Union "in die Fresse". Warum gibt sie derzeit die knallharte Politikerin der SPD?
Prof. Dr. Werner J. Patzelt: Erstens ist Frau Nahles aus ihrer Zeit als JuSo-Vorsitzende in den Disziplinen Attacke und Zuspitzung geübt. Das ist in politischen Führungspositionen grundsätzlich nicht schlecht. Zweitens bringt sie sich innerhalb der SPD in Position, damit sie irgendwann als Kanzlerkandidatin infrage kommt. Sie muss Führung ergreifen, Profil zeigen und darf nicht aufgeben oder in der Argumentation schwimmen, wie es derzeit der Parteivorsitzende (Martin Schulz, Anm. d. Red.) macht.

Das bringt sie in die Rolle der harten Sozialdemokratin, auf die die Partei schaut. Drittens geht es ihr darum, den Wert der SPD gegenüber der Union für einen Eintritt in eine Große Koalition hochzuhalten. Dazu gehört, sich Respekt zu verschaffen. Ein Unions-Minister darf dann in Brüssel keinen Alleingang machen. So was gehört nach dem Verständnis von Nahles abgesprochen.

Nutzt Frau Nahles die vermeintliche Schwäche von Parteichef Martin Schulz aus?
Sicher, und zwar nicht durch Worte, sondern durch Taten. Am Wahltag haben sie sich darauf abgestimmt, dass Nahles den Fraktionsvorsitz bekommt. Wäre Schulz ein wirkliches Alphatier, so hätte er sich verhalten wie einst Angela Merkel in der CDU, als sie sich zur Fraktionsvorsitzenden wählen ließ und ihren damaligen Widersacher Friedrich Merz (2005, Anm. d. Red.) in den Hintergrund drängte.

Nahles wusste, dass sie als Fraktionsvorsitzende die zentrale Figur sein würde. Sie hat sich diese Machtposition klug gesichert.

Wie?
Sie war schon immer dem linken Flügel zuzuordnen. Sie hat sich aber auch als fähige Ministerin (für Arbeit und Soziales, Anm. d. Red.) erwiesen, die ihre politischen Ziele durchsetzen konnte. Auch die Realpolitiker in der SPD, die sogenannten Seeheimer, kommen deswegen gut mit ihr klar.

Sie steht also für selbstbewusstere sozialdemokratische Politik?
Die Sozialdemokraten haben ihre für lange Zeit nicht realisierbaren Ziele in der letzten Regierung durchgesetzt. Vieles an sozialdemokratischen Inhalten ist konkrete Politik geworden, sodass die Sozialdemokraten sich jetzt schwertun, weitere Ziele zu benennen.

Die SPD ist derzeit verzweifelt auf der Suche, sich ein passendes sozialdemokratisches Profil zu geben. Ein Beispiel: Eine Bürgerversicherung soll Teil der Koalitionsverhandlungen sein. Doch diese war schon in der letzten Großen Koalition nicht durchzusetzen.

Kann Nahles'Stil zum Problem in den GroKo-Verhandlungen werden?
Sollten die Verhandlungen wie bei Jamaika scheitern, wäre das wohl sogar die bessere Variante für die SPD. Wenn die Union eine Alleinregierung machen muss, könnte die SPD auf sämtliche Fehler dieser Bundesregierung hinweisen und diese im kommenden Wahlkampf gegen sie verwenden.

Die nächste Wahl wird keine vier Jahre auf sich warten lassen. Dann wird die SPD größere Chancen haben, als wenn sie jetzt nochmal das Risiko einer Großen Koalition eingeht. Nahles steht für diese Position.

Sie glauben nicht, dass die nächste Legislaturperiode vier Jahre hält?
Wenn es nicht gelingt, die SPD in eine Große Koalition zu zwingen, wird es eine Minderheitsregierung der Union geben, die keine vier Jahre halten dürfte. Irgendwann dürfte Merkel dann die Vertrauensfrage stellen.

Und die Minderheitskanzlerin wird keine Mehrheit im Bundestag hinter sich haben. Dann könnte der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Das halte ich für wahrscheinlich, sollte die SPD eine Große Koalition ablehnen.

Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat die Professur für Politische Systeme und Systemvergleich seit 1991 inne. Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sind unter anderem die vergleichende Analyse politischer Systeme, die Parlamentarismusforschung und die politische Kommunikation.
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