In der Debatte um die Migrationspolitik werden die gegenseitigen Vorwürfe der Parteien heftiger. Gleichzeitig betonen alle Seiten ihre Gesprächsbereitschaft. Ebnet der Streit den Weg zu einem neuen Asylkompromiss?

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Bijan Djir-Sarai und Omid Nouripour haben auf den ersten Blick einiges gemeinsam: Beide sind in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren, beide haben in der deutschen Politik Karriere gemacht und teilen in der Auseinandersetzung mit der politischen Konkurrenz auch mal aus. Doch inhaltlich liegen sie nur selten auf einer Wellenlänge.

Gerade haben sie sich ein Fernduell geliefert. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai attackierte den grünen Koalitionspartner am Wochenende scharf: "Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour schoss am Montag rhetorisch zurück. "Es gibt für Parteien, die um die Fünf-Prozent-Hürde kämpfen, keine Entschuldigung, dass man die Untergrenze für Anstand verletzt", sagte er auf einer Pressekonferenz. Sein 14-jähriger Sohn, so Nouripour, würde so etwas "ehrenlos" nennen.

Bisher 204.000 Asyl-Erstanträge in diesem Jahr

Der Ton in der Migrationsdebatte hat sich also verschärft. CDU/CSU und FDP werfen den Grünen und zum Teil der SPD vor, Maßnahmen zur Begrenzung der Migration zu blockieren. Die Grünen sind zum Beispiel dagegen, die Maghreb-Staaten in Nordafrika als "sichere Herkunftsländer" einzustufen. Abgelehnte Asylbewerber könnten dann dorthin schneller abgeschoben werden.

In Deutschland wurden in diesem Jahr bisher etwa 204.000 Erstanträge auf Asyl registriert – etwa 77 Prozent mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Nicht enthalten in diesen Zahlen sind die rund eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine.

Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz pocht darauf, die Migration zu begrenzen. Auf dem Parteitag der Schwesterpartei CSU sagte der Oppositionsführer am Wochenende an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gerichtet: "Lassen Sie uns das zusammen machen, und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen."

Faeser für schnellere Rückführungen

Die hart geführten Debatten der vergangenen Wochen zeigen bereits Wirkung. Zumindest bewegt sich die Bundesregierung auf die CDU/CSU-Opposition zu: SPD und Grüne lehnen eine Obergrenze für Flüchtlinge zwar ab – weil sie mit internationalem Recht nicht vereinbar sei. Allerdings sehen auch deren Politiker Bedarf, Migration stärker zu steuern.

Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) etwa spricht sich aber für ein schnelleres Asylverfahren und eine zügigere Rückführung von abgelehnten Bewerbern aus: "Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, muss schon an den Außengrenzen das Asylverfahren durchlaufen und nach einer Ablehnung direkt von dort aus zurückkehren", sagte sie im Interview mit unserer Redaktion.

Auch verstärkte Kontrollen an Deutschlands Grenzen kann sich die rot-grün-gelbe Bundesregierung inzwischen vorstellen. So ein Schritt werde geprüft, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag. Es gehe dabei insbesondere um die Bekämpfung von Schleusungen. Die Union fordert diese Kontrollen schon länger.

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Carsten Linnemann (CDU) für "Schulterschluss" der Parteien

Eine weitere Forderung der CDU/CSU-Opposition: ein neuer Asylkompromiss. Anfang der 90er Jahre hatte schon einmal eine hohe Zahl an Asylbewerbern das Land beschäftigt. Damals war es auch zu rassistischen Anschlägen mit Todesopfern auf Flüchtlingsunterkünfte gekommen. 1993 einigten sich dann CDU/CSU, SPD und FDP auf den damaligen Asylkompromiss, der das Grundrecht auf Asyl einschränkte.

Das hat die Union auch jetzt wieder vor Augen: "Wenn wir dieser Herausforderung Herr werden wollen, dann müssen die Parteien im Deutschen Bundestag bereit sein, parteiübergreifend den Schulterschluss zu suchen. Ich persönlich würde dann sofort öffentliche Zuspitzungen im Streit mit den Ampelparteien sein lassen", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Wochenende im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Bezahlinhalt).

Grünen-Vizekanzler Robert Habeck zeigte sich am Wochenende offen für gemeinsame Gespräche über die Asylpolitik. Auch Grünen-Parteichef Nouripour sagte am Montag: "Wir haben im Sommer gezeigt, dass wir bereit sind, über unseren Schatten zu springen. Wir müssen bei der Migrationspolitik vorankommen."

Die Grünen dringen dabei vor allem auf eine bessere Unterstützung der Kommunen: Viele Städte, Gemeinden und Kreise sehen sich mit der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zunehmend überfordert und verlangen mehr finanzielle Unterstützung vom Bund. Die Grünen zeigen dafür Verständnis. Doch eine zusätzliche Finanzspritze des Bundes lehnen sowohl der Bundeskanzler als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bisher ab.

Die Fronten in der Migrationspolitik sind also weiterhin verhärtet und die Lage kompliziert. Im November will der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder über das Thema beraten. Dass er die Diskussion bis dahin beruhigen kann, wirkt aus heutiger Sicht aber unwahrscheinlich.

Verwendete Quellen:

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