Wenige Tage nach dem Attentat auf eine Synagoge in Halle diskutiert Frank Plasberg bei "Hart, aber fair" über Judenhass in Deutschland. Es war eine gute Diskussion mit klaren Worten, auch wenn sich Moderator Frank Plasberg nicht immer angemessen präsentierte.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Wieder da oder nie wirklich weg: Wie stark ist der Judenhass in Deutschland?" Nun kann man hoffen, dass die "Hart, aber fair"-Redaktion sich einen solchen Sendungstitel nur als rhetorische Frage ausgedacht hat. Selbst ohne das Attentat auf die Synagoge in Halle: Wer in den vergangenen Jahrzehnten nur ab und zu das Nachrichtengeschehen oder das ein oder Stammtischgespräch mitverfolgt hat, der wird auf diese Frage keine zwei Antworten finden.

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Daher kann man einen solchen Sendungstitel nur als Ausdruck der Sprachlosigkeit angesichts des Verbrechens in Halle werten. Am Montagabend sollte diese Sprachlosigkeit dann aber eindringlichen Worten weichen.

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Mit diesen Gäste diskutierte Frank Plasberg bei "Hart aber fair":

Darüber wurde bei "Hart, aber fair" diskutiert:

Jüdisches Leben in Deutschland

Hier ist es vor allem Uwe Dziuballa, der ein ernüchterndes Bild zeichnet. Antisemitismus ist für Dziuballa zu einer Art "Konstante" geworden. Bis 2018 habe er sich aus Resignation zurückgezogen, weil von Politik und Polizei zu wenig gegen antisemitische Drohungen getan wurde: "Es irritiert, wenn du mit deinen Gästen sitzt und über jüdisches Leben in Deutschland sprichst und junge Leute vorbeigehen und den Hitlergruß zeigen. Früher hättest du die Polizei geholt und die wäre noch nicht einmal gekommen."

Michel Friedman hebt die Erlebnisse Dziuballa auf eine größere Ebene: "75 Jahre nach dem Holocaust leben Juden in Deutschland nicht sicher, weil sie Juden sind. Das ist das Einzige, warum sie nicht sicher sind." Über das Leben jüdischer Kinder berichtet Friedman, dass diese mit den Bildern von Polizisten mit Maschinenpistolen aufwachsen müssten und fragt: "Wie kommt es, dass das in diesem Land nicht auffällig ist als ein Problem – nicht der Juden – sondern der Nicht-Juden?"

Die Gründe

Janine Wissler sieht bei der Ursachenforschung zum einen die Rolle des Verfassungsschutzes, zum Beispiel beim NSU, kritisch. Zum anderen müsse nun Schluss sein mit der verbalen Verharmlosung der Taten, wie es jetzt auch in Halle der Fall gewesen sei: "Mag sein, dass er ohne Komplizen gehandelt hat (…). Wir haben es hier mit gewachsenen Neonazi-Netzwerken zu tun. Wenn man von Einzeltäter redet, kommt man nicht dazu, diese Neonazi-Netzwerke aufzudecken."

Für Michel Friedman spielt auch das alltägliche Tolerieren von Antisemitismus eine Rolle: "Wir sprechen heute anlässlich eines weiteren Endpunktes der Gewalt: Tote. Aber vor Endpunkten gibt es viele Anfangspunkte. Wenn diese vielen Anfangspunkte unterbrochen worden wären, wenn reagiert worden wäre – und zwar nicht der Juden wegen, sondern unserer selbst wegen - (…)", erklärt Friedman und führt verschiedene Beispiele für Antisemitismus im Alltag an.

Genau so sieht es auch Boris Pistorius, der wie Friedman darauf verweist, dass es hier nicht nur um Juden, sondern um Menschen gehe: "Es geht nicht nur um Antisemitismus. (…) Wenn wir nicht verstehen, ganz frei nach Bonhoeffer, dass es heute die sind und morgen die in diesem Land, die Rechte abgesprochen bekommen, dann wird dieses Land vor die Hunde gehen."

AfD

Frank Plasberg bringt ein Statement von AfD-Sprecher Jörg Meuthen, demzufolge die AfD-Mitglieder nichts mit Antisemitismus zu tun hätten. Das sieht Georg Mascolo differenzierter: "Ich glaube jedenfalls, dass er recht hat, dass sich unter den 35.000 Mitgliedern sicher ein erheblicher Anteil befindet, der mit Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun haben will. Nur frage ich mich, warum sie dann noch in dieser Partei sind."

Die Partei distanziere sich nicht genug und trenne sich nicht von denjenigen, die das sind und wollen, "bis hinauf zur Bundesspitze": "Die Partei hat sich bis heute nicht entschieden, wo sie eigentlich die Grenze ziehen will."

Das sieht Michel Friedman völlig anders: "Dieser Vorsitzende, und da widerspreche ich ihnen, diese Partei hat sich positioniert. Es ist der Vorsitzende der Partei, der zulässt, dass Herr Höcke seinen Rassismus, übrigens nicht nur gegen Juden, in die Öffentlichkeit hinein bläst. Es ist der Vorsitzende, der die Verantwortung dafür trägt. Und wenn er der Meinung ist, dass er das nicht mittragen kann, dann muss er zurücktreten."

Für Friedman ist aber nicht nur der Vorstand in der Pflicht, sondern auch die Wähler: "Keiner kann jetzt mehr sagen, er habe es nicht gewusst. Jeder, der in der AfD noch Mitglied ist, muss sich zurechnen lassen, was die Parteispitze sagt. Und das ist menschenverachtend."

So schlug sich Frank Plasberg:

Unangemessen: Als bereits Boris Pistorius und anschließend Janine Wissler über die Rolle der AfD bei der Verschiebung des Sagbaren sprechen, unterbricht Plasberg Wissler, will nicht, dass sie weiter über die AfD spricht: "Sie sitzt heute nicht am Tisch, weil ritualhaft dann immer dasselbe passiert: Statt über jüdisches Alltagsleben zu reden, statt über Versäumnisse zu reden, arbeiten sich alle an der AfD ab und pusten sie weiter auf."

Dass Plasberg einen Gast unterbricht, weil der über die Gründe von Judenhass sprechen möchte, was ja das eigentliche Ziel der Sendung war, ist unverschämt. Wenn er das dann auch noch mit dem Hinweis auf mögliche Folgen der Diskussion macht, dann ist das noch dazu dreist, schließlich wäre es seine Aufgabe, eine solche Diskussion angemessen zu moderieren. Später darf dann aber doch noch über die Rolle der AfD gesprochen werden. Immerhin.

Etwas später zeigt Plasberg dann aber wieder fehlendes Gespür für die richtige Reaktion. Kurz vor Schluss wird bei den Zuschauerreaktionen eine Zuschauerin zitiert, die schreibt, dass man "das Judenthema" etwas zurücknehmen müsse, denn genau das schüre Hass. Die Zuschauerin fügt hinzu: "Wir wissen um unsere Vergangenheit, die Kinder bekommen es in der Schule auch eingetrichtert und gut ist's."

Dass es offenbar nicht gut ist, zeigt ja das Attentat von Halle, doch so viel Kurzsichtigkeit entlockt Plasberg nur Ignoranz: "Ich weiß, dass Sie jetzt gerade schwer atmen, wir lassen es einfach mal stehen. Das ist eine Zuschauerdiskussion mitten aus Deutschland an einem Montagabend."

Das Fazit:

Egal, ob "wieder da" oder "nie wirklich weg" - die Diskussion bei "Hart, aber fair" zeigte vor allem Eines: Dass viel zu wenig über Antisemitismus gesprochen und noch weniger dagegen getan wurde. Von allen. Bleibt zu hoffen, dass es diesmal das letzte "Nie wieder!" gewesen ist.

Täter von Halle gesteht rechtsextremistisches Motiv

Der Todesschütze von Halle hat die Tat gestanden und auch ein rechtsextremistisches, antisemitisches Motiv bestätigt. Wie die dpa erfuhr, sagte der 27-Jährige beim Ermittlungsrichter des BGH ausführlich aus. © ProSiebenSat.1
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