Die Welt hofft auf ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine. Aber die Welt weiß auch, dass die Chancen dafür schlecht stehen. "Ein Krieg ohne Ende?", fragt Anne Will dementsprechend am Sonntagabend. Eine berechtigte Frage, doch ein Gast blickt in der Runde mit reichlich Frust in die Zukunft und fragt stattdessen: Braucht es eine neue Weltordnung?

Christian Vock
Eine Kritik
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Vor genau einer Woche fragte Anne Will, wie Putins Krieg beendet werden könne. Eine Antwort gab es damals nicht und auch auf internationaler Ebene sieht es nicht nach einem baldigen Ende des Krieges aus. Und so stellt Anne Will auch an diesem Sonntag im Grunde dieselbe Frage noch einmal, nur in etwas anderen Worten: "Putins Angriff - Krieg ohne Ende?"

Die Themen des Abends

Zum Einstieg bringt Anne Will die zynische und unwürdige Reaktion des Deutschen Bundestags nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Sprache. Während Selenskyj kurz zuvor nach einer Rede vor dem US-Kongress weitere Millionenhilfen von US-Präsident Joe Biden zugesagt bekommen hatte, bekam er am vergangenen Donnerstag von Kanzler Olaf Scholz nur Schweigen – ehe man zur Tagesordnung überging.

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Dementsprechend fragt Anne Will weiter, ob Deutschland genug tue, um der Ukraine zu helfen, mit all den daraus resultierenden Fragen: Wie steht es um eine Flugverbotszone und vor allem um ein Energie-Embargo? Kann ein solches Embargo überhaupt den Krieg beenden? Will die Bundesregierung die von Selenskyj geforderte Führungsrolle übernehmen, hat die Nato rote Linien und wenn ja, welche?

Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will

Christine Lambrecht (SPD): Die Bundesministerin der Verteidigung gesteht, dass es ein Fehler war, wie man mit der Rede Selenskyjs umgegangen ist. Die Idee war, die Rede ohne parteipolitische Debatte für sich stehenzulassen, erklärt Lambrecht, "aber im Nachhinein war es eine falsche Entscheidung". Über die deutschen Hilfen sagt Lambrecht, dass Deutschland bereits eine Menge getan habe, zu kolportierten Zahlen könne und wolle sie aber nichts sagen, um die Transporte nicht zur Zielscheibe der russischen Armee zu machen.

Ein eventuelles Energie-Embargo sieht Lambrecht angesichts der Abhängigkeit von Russland kritisch. Ihr Argument: "Wenn wir etwas machen, dann müssen wir das auch längerfristig durchhalten. (…) Es wär noch viel schlimmer, wenn wir dann wieder einknicken müssten."

Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Auch für den stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag war die deutsche Reaktion auf die Selenskyj-Rede falsch: "Es war eine Reihe falscher Entscheidungen." Zur aktuellen Lage stellt Graf Lambsdorff fest: "Wir sind in einer Aufbruchsphase in eine neue Außen- und Sicherheitspolitik, die wir uns vor wenigen Monaten so noch nicht haben vorstellen können."

Als Will fragt, ob die Ukrainer nun den Preis dafür zahlen, dass sie nicht schon 2008 in die Nato aufgenommen worden sind, stellt Graf Lambsdorff klar: "Wenn die Nato 2008 die Ukraine aufgenommen hätte, (…) hätte es bereits einen Krieg in der Ukraine gegeben und zwar sofort." In Bezug auf rote Linien in der Strategie der Nato sagt der FDP-Politiker: "Die rote Linie ist die Grenze des Bündnisgebiets." Jetzt weitere rote Linien zu ziehen, sei falsch, würde es die Nato nur ohne Not unter Druck setzen: "Wenn sich neue Situationen ergeben, muss man neu diskutieren."

Stefanie Babst: Babst ist Mitgründerin von Brooch Associates, einer strategischen Beratungsfirma in London, und raubt gleich zu Beginn ein paar Illusionen: "Wir müssen uns schlussendlich darüber im Klaren sein, dass dieser Konflikt lange anhalten wird." Außerdem sieht Babst wegen Putins begrenzter Möglichkeiten eine nahende Eskalation des Krieges: "Zurückrudern kann er nicht", erklärt Babst.

Stattdessen werde Putin seine Ziele weiterverfolgen und "das bedeutet, dass er versuchen wird, die bereits eroberten Gebiete zu halten, aber auch weitere militärische Ziele anzugreifen", so Babst und verweist vor allem auf Odessa und Kiew. Putin arbeite auf eine "Pufferzone" hin. Mit Blick auf die Zeit nach dem Krieg sagt Babst: "Eigentlich können wir uns doch gar keine Zusammenarbeit mehr mit einem Russland vorstellen, das von einem russischen Präsidenten namens Putin geleitet wird." Die Nato brauche nun ein umfassendes Eindämmungskonzept.

Christoph Heusgen: Der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz schätzt das Ansehen von und die Erwartungen der Welt an Deutschland hoch ein. "Wir haben bei den Vereinten Nationen einen sehr, sehr guten Ruf", erklärt Heusgen. Die Augen der Welt seien aber jetzt auf Deutschland gerichtet. Heusgens Forderung: "Wir müssen bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen."

In Bezug auf ein mögliches Energie-Embargo wünscht sich Heusgen eine differenziertere Diskussion, die die konkreten Möglichkeiten abseits von ja oder nein analysiert. Trotzdem tue es weh, "wenn wir jeden Tag 200 Millionen überweisen und Putin kann davon seinen Krieg weiterführen." Man habe Putin falsch eingeschätzt, müsse sich nun aber umorientieren: "Wir müssen so schnell wie möglich aus dieser Abhängigkeit herauskommen." Gleichwohl meint Heusgen mit Blick auf ein Embargo: "Es ist doch der Ukraine nicht geholfen, wenn unsere Wirtschaft zusammenbricht."

Marina Weisband (B'90/Die Grünen): Weisband ist in Kiew geboren und kann, anders als ihre Familie, die Logik nachvollziehen, dass die Nato keine Flugverbotszone durchsetzen will. "Gehe ich mit - unter der Bedingung, dass wir dann aber alles machen müssen, was ökonomisch für uns als eines der mächtigsten ökonomischen Länder der Welt zur Verfügung steht, um zumindest diesen Krieg nicht mitzufinanzieren."

Lambrechts Argument, man müsse zu Sanktionen auch stehen, kann Weisband hingegen nicht nachvollziehen. Sich langfristig von der Abhängigkeit zu lösen sei richtig, aber es gebe noch eine zweite Möglichkeit: "Wir können auch Sanktionen anlegen, die kurzfristig von Anfang an gedacht sind, die kurzfristig sein sollen, die kurzfristig angekündigt sind. Ganz ehrlich: Wir reden über den nächsten und den übernächsten Winter. Wenn das so weitergeht, wird es im nächsten und übernächsten Winter keine Ukraine geben."

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Der emotionalste Moment des Abends

"Ich kann nicht anders, als die ganze Diskussion frustrierend zu finden", antwortet Weisband auf Wills Frage, ob sie die Situation frustriere. Sie verstehe die Sicht der Nato: "Man schützt die eigene Haut. Alles was vor der Haustür passiert, passiert vor der Haustür und das betrifft uns nicht. Und Putin kann Chemiewaffen einsetzen, Putin kann Städte dem Erdboden gleichmachen, Putin kann taktische Atomwaffen in der Ukraine einsetzen – er weiß jetzt schon, dass ihn das nichts kosten wird", erklärt die Publizistin, ehe sie ihre Frustration in einen Blick in die Zukunft gipfeln lässt.

Wenn so die Sicherheitsordnung der Welt aussieht, brauche man eine neue Sicherheitsordnung, denn dann zähle nur das Recht des Stärkeren. Kein Land würde dann etwa seine Atomwaffen abgeben, so wie es die Ukraine gemacht hat, blickt Weisband in die Zukunft und trifft dann das Problem dieser Haltung.

"Ich verstehe die internen Logiken aller dieser Prozesse. Ich verstehe, dass wir alles tun, was wir können, um die Ukraine zu unterstützen, solange uns das militärisch nicht gefährdet, solange uns das wirtschaftlich nicht gefährdet, solange es keine Unannehmlichkeiten bereitet und so lange wir keine Arbeitslosen haben. Diese Menschen sind genauso real wie die Menschen hier. Die sterben gerade. Ich glaube, wir brauchen eine neue Sicherheitsordnung für die Welt. Das im Moment ist sehr frustrierend."

So schlug sich Anne Will

Durchwachsen. Was Will an diesem Abend gut macht bei all den vielen Konzepten und Absichten für die Zukunft, die ihr ihre Gäste präsentieren: Sie fragt immer wieder nach, was das konkret und was das jetzt sofort der Ukraine bringt oder wie es den Krieg beenden könnte. Die enttäuschende Antwort, sofern sie von den Gästen überhaupt kommt, ist immer wieder – nichts.

Was Will beziehungsweise ihre Redaktion hingegen schlecht gemacht hat, ist, die Sendung von vergangener Woche im Grunde noch einmal zu wiederholen, nur eben mit anderen Gästen. Denn auch diesmal ging es wieder um dieselben Fragen, wie etwa die nach einem Energie-Embargo und auch die Antwort war wieder dieselbe. Und so war es am Ende Heusgen, der kurz vor Schluss unbewusst ein besseres Thema ins Spiel brachte, als er über die Rolle der Vereinten Nationen sprach.

Man brauche keine neue Weltordnung, man habe die UN-Charta, erklärt Heusgen. Russland sei ein Paria-Staat, der lediglich von Korea, Weißrussland, Eritrea und von Assad unterstütz werde. Außerdem habe der internationale Strafgerichtshof ein Verfahren gegen Russland in die Wege geleitet. Anne Will unterbricht Heusgen hier und stellt die einzig richtige Frage: "Wird ihn das aufhalten?"

Und weil Heusgen nur antwortet "Das internationale Recht muss zur Geltung gebracht werden", wäre hier das eigentlich spannende Thema der Sendung gelegen, mit all den Fragen, die dazu gehören: Wie kann die internationale Gemeinschaft hier als Ganzes reagieren, wenn, wie Heusgen feststellt, Putin schon so isoliert ist? Könnte ein Blauhelm-Einsatz in der Ukraine für beide Seiten ein Ausweg sein? Wenn nein: Braucht es dann nicht vielleicht doch eine neue Weltordnung?

Das Fazit

Am Ende des Abends sitzt man als Zuschauer da mit ganz vielen Informationen, aber eben auch mit der bitteren Erkenntnis, die wohl auch Marina Weisband hat: Ja, all die Argumente, die der Westen, die die Nato-Staaten, die Deutschland für ihr Handeln vorbringen, sind verständlich, nachvollziehbar und in ihrer inneren Logik schlüssig. Allein: Sie helfen der Ukraine nicht. Zumindest helfen sie nicht, den Krieg sofort zu beenden.

Und wenn sie nicht helfen, den Krieg zu beenden - wem, auch das ist eine Erkenntnis des Abends, sollen sie dann irgendwann helfen? Wird nur noch dem Land geholfen, das in der Nato ist? Dürfen alle anderen Länder nun überfallen und bombardiert werden, wenn Putin es will? Was sollte andere Diktatoren hindern, es genauso zu tun? Über all das hätte man an diesem Abend reden können und vielleicht sollen.

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