• Gesundheitsminister Karl Lauterbach will das Pflegegeld erhöhen – und auch die Zuschläge für Bewohner von Pflegeheimen.
  • Im Gegenzug soll der Beitragssatz für die Pflegeversicherung für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigen.
  • Das Echo von Verbänden und Opposition ist kritisch: Die Reform reiche nicht aus, um das Pflegesystem für die Zukunft zu sichern.

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Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Sie brauchen Hilfe beim Anziehen und Waschen oder auch beim Essen und Trinken. Sie werden zu Hause von Angehörigen betreut oder leben in einem Heim. In einer alternden Gesellschaft betrifft das immer mehr Menschen und ihre Familien: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich dem Statistischen Bundesamt zufolge seit 2011 verdoppelt.

Die Zukunft der Pflege ist eine große Herausforderung. Für Pflegebedürftige und Pflegende, aber auch für Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der Pflegeversicherung, für Heime, Unternehmen, die Politik – also eigentlich für die ganze Gesellschaft. Denn die Zahl der Betroffenen wird weiter zunehmen, die Finanzierung der Pflegeversicherung ist schon jetzt unter Druck. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte.

Pflegereform: Höhere Beitragssätze, höheres Pflegegeld

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das Thema nun angehen. In der vergangenen Woche hat sein Haus erste Vorschläge – einen sogenannten Referentenentwurf – für eine Pflegereform vorgelegt. Geplant sind unter anderem diese Schritte:

  • Um die Finanzen der Pflegeversicherung zu stabilisieren, sollen die Beitragssätze steigen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber dort einzahlen. Bisher liegen sie für Kinderlose bei 3,4 Prozent des Gehalts und für Menschen mit Kindern bei 3,05 Prozent. Davon zahlen die Arbeitnehmer 1,875 Prozent beziehungsweise 1,525 Prozent und die Arbeitgeber 1,525 Prozent. Zum 1. Juli 2023 soll der Beitragssatz für Kinderlose auf 4,0 Prozent (Arbeitnehmeranteil: 2,3 Prozent) steigen. Eine Erhöhung ist auch für Menschen mit einem Kind (auf insgesamt 3,4 Prozent, Arbeitnehmeranteil 1,7 Prozent) oder zwei Kindern (3,25 Prozent, Arbeitnehmeranteil 1,55 Prozent) vorgesehen. Der Anteil der Arbeitgeber steigt demnach für alle auf 1,7 Prozent.
  • Für Menschen mit drei oder mehr Kindern sollen die Beitragssätze dagegen sinken: Der Anteil der Arbeitnehmer soll für sie zwischen 1,1 und 1,4 Prozent liegen.
  • Im Gegenzug will das Gesundheitsministerium das Pflegegeld zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent erhöhen. Diese Unterstützung erhalten Menschen, die zu Hause von Angehörigen oder ambulanten Diensten gepflegt werden.
  • Auch die Zuschläge, die Bewohnerinnen und Bewohner für die Kosten in vollstationären Pflegeheimen erhalten, sollen steigen. Von fünf auf 15 Prozent im ersten Jahr, von 25 auf 30 Prozent bei 13 bis 24 Monaten, von 45 auf 50 Prozent bei bis zu 36 Monaten und von 70 auf 75 Prozent bei mehr als 36 Monaten.

Kritik von Verbänden: "Zukunftsfragen werden nicht gelöst"

Da die Kosten von guter Pflege ständig steigen, dürfe "die Solidargemeinschaft nicht wegschauen", teilte Lauterbach mit. Seine Vorschläge stoßen trotzdem auf viel Kritik: Zu wenig, lautet das Urteil mehrerer Verbände.

"Die Anpassung des Pflegegeldes um fünf Prozent reicht bei den gegenwärtigen Preissteigerungen vorne und hinten nicht", sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Lage sei in vielen Haushalten schon jetzt dramatisch. "70 Prozent der Pflegehaushalte zahlen zur Pflege dazu. 60 Prozent zahlen monatlich bis 100 Euro und 22 Prozent sogar bis zu 200 Euro dazu."

Auch Heimbetreiber sind kritisch. Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) vertritt rund 1700 Pflegeeinrichtungen in privater Trägerschaft. Der Bundesgeschäftsführer Thomas Knieling sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Der Referentenentwurf für eine Pflegereform bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Die Zukunftsfragen der Pflegeversicherung werden damit nicht im Ansatz gelöst."

Viele Mitgliedsunternehmen würden sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, so Knieling. Der VDAB fordert einen Kassensturz und eine grundlegende Reform des Pflegesystems. Anders lasse sich das gemeinsame Ziel nicht aufrechterhalten: eine flächendeckende Versorgung zu bezahlbaren Preisen. "Wir müssen aufpassen, dass wir bei den Pflegeeinrichtungen keinen Kita-Effekt bekommen: Das würde bedeuten: Es gibt einen gesetzlichen Anspruch, der aber nicht überall erfüllt werden kann", sagt Knieling.

Der Entwurf des Gesundheitsministeriums sei "enttäuschend", sagt auch Isabell Halletz, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Pflege, der 955 Mitgliedsunternehmen vertritt. "Statt Unterstützung und Entlastung sollen neue bürokratische Aufwände und noch mehr Regelungen verabschiedet werden." Die finanziellen Entlastungen für Pflegebedürftige beim Eigenanteil spiegeln aus ihrer Sicht "nicht annähernd die aktuellen Kostensteigerungen wider". "Eine Reform ist das nicht, stattdessen nur weitere Flickschusterei", so Halletz.

Sepp Müller (CDU): "Pflegeversicherung steht auf tönernen Füßen"

Die Opposition im Bundestag hält die Pläne ebenfalls für unzureichend. Der Entwurf des Gesundheitsministers lasse die Pflegeversicherung "auf tönernen Füßen stehen", sagt Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Durch höhere Beiträge würden vor allem Menschen mit unteren und mittleren Einkommen belastet, so Müller. Manche Leistungen der Pflegeversicherung – zum Beispiel die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige – müsse die Allgemeinheit tragen. Das würde bedeuten: Sie müssten aus Steuermitteln bezahlt werden, so Müller. "Alles andere ist sozial ungerecht."

Aus Sicht des CDU-Politikers sollte der Staat zudem die private Vorsorge der Bürgerinnen und Bürger für einen Pflegefall fördern: "Der aktuelle Stand wird für uns alle, auch aufgrund des demografischen Wandels, auf Dauer nicht mehr tragbar sein."

Gemischtes Echo aus der Koalition

Auch innerhalb der Ampel-Koalition stößt der erste Vorschlag für eine Pflegereform teilweise auf Kritik. "Der vorgelegte Referentenentwurf enthält bedauerlicherweise nicht ein einziges Element für eine zukunftsfeste Finanzierung der Pflege, sondern begrenzt sich auf ein temporäres Löcherstopfen", sagt Nicole Westig, pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Auch sie spricht sich für eine stärkere private und betriebliche Vorsorge aus. "Die Pflegeversicherung ist bewusst als eine Teilleistung angelegt, die zusätzlicher Vorsorge bedarf. Das muss besser als bislang kommuniziert werden."

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt sagt dagegen: "Wir brauchen eine verlässliche Pflegeversicherung, und wir verteilen die Lasten gerecht." Die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag setze man Schritt für Schritt um: "Dazu gehören maßvolle Beitragssatzanhebungen ebenso wie eine breitere Steuerfinanzierung, um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen vornehmen zu können."

Das Bundesgesundheitsministerium will weitere Schritte gehen. Zum 1. Januar 2025 würden die Leistungen aus der Pflegeversicherung "nochmals spürbar angehoben", heißt es. Noch offen ist allerdings, wie das finanziert werden soll.

Fast 20.000 Fachkräfte fehlen bis 2026

Pflegeunternehmen klagen über mehrere Probleme: die Folgen der Corona-Pandemie, gestiegene Bau-, Energie- und Personalkosten und gleichzeitig ein Mangel an Mitarbeitenden. In den vergangenen drei Monaten seien in der Presse 250 Schließungen und Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten bekannt geworden, sagt Isabell Halletz vom Arbeitgeberverband Pflege. "Die Personallage spitzt sich weiter zu und es entstehen lange Wartelisten oder auch Aufnahmestopps in der stationären und ambulanten Altenpflege."

Klar ist, dass auf Lauterbachs Pläne weitere Schritte folgen müssen. Darüber besteht politisch offenbar große Einigkeit: Man brauche weniger Bürokratie und vor allem mehr Fachkräfte, heißt es aus den Parteien. Das Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass im Jahr 2026 in der Altenpflege 19.840 Fachkräfte fehlen werden.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Thomas Knieling
  • Schriftliche Statements von Isabell Halletz, Dagmar Schmidt, Sepp Müller und Nicole Westig
  • Bundesministerium für Gesundheit, Pressestelle
  • destatis.de: 5 Millionen Pflegebedürftige zum Jahresende 2021
  • iwkoeln.de: Arbeitsmarkt: In welchen Berufen bis 2026 die meisten Fachkräfte fehlen
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