Umstrittener Heizungstausch, Dauerkrach mit der FDP: Die lange Zeit erfolgsverwöhnten Grünen stehen unter großem Druck. Der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour gibt sich im Interview mit unserer Redaktion trotzdem optimistisch: "Ich bin guten Mutes, dass wir die Menschen mitnehmen werden."

Ein Interview

Herr Nouripour, wie würden Sie die aktuelle Lage der Grünen beschreiben?

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Uns geht’s gut, warum fragen Sie?

Das kann nicht Ihr Ernst sein.

Wir haben im vergangenen Jahr in schwierigsten Zeiten das Land gut durch die Energiekrise geführt – gerade auch Robert Habeck als Minister. Wir haben große Wahlen gewonnen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. In Bremen stehen die Chancen gut, dass wir die erfolgreiche gemeinsame Regierungsarbeit mit SPD und Linke fortsetzen können. Das Wahlergebnis in Bremen lag unter unseren Erwartungen, am selben Tag haben wir bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein ein Rekordergebnis eingefahren.

Trotzdem stehen Sie unter Druck. Robert Habeck will Bürgerinnen und Bürger zum Austausch von Öl- und Gasheizungen bewegen. Sein Entwurf für ein Gebäudeenergiegesetz stößt auf massive Kritik. Die Grünen scheinen gerade der Buhmann der Nation zu sein.

Um das einmal klar zu sagen: Wer eine funktionierende Heizung hat, heizt bitte weiter damit. Im Bestand bleibt erstmal alles, wie es ist. Geht die Heizung kaputt, kann sie repariert werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, langfristig umzusteigen auf erneuerbare Energien, auch beim Heizen. Und das ist auch richtig. Denn: Über kurz oder lang werden fossile Energien teurer werden – und damit zur Kostenfalle gerade für diejenigen, die nicht so viele Rücklagen haben. Wie belastend es ist, wenn die Kosten auf der Heizrechnung plötzlich explodieren, haben wir letztes Jahr nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine erlebt.

In der Ampel-Regierung haben wir daher viel Geld in die Hand genommen, um die Preissteigerungen abzufedern. Für die Zukunft wollen wir uns besser absichern. Wir tragen Verantwortung dafür, die Leute auch vor den Kostenfallen der Zukunft zu bewahren. Ich glaube, den meisten Menschen ist es nicht so wichtig, wer in der Koalition gerade gegen wen gewinnt, sondern ob wir Lösungen finden, die das Land nach vorne bringen. Ob wir gut regieren. Daran werden wir gemessen. Und genau dafür sind alle drei Parteien nach vielen Jahren des Stillstands der Großen Koalition angetreten. Bisher ist das gelungen.

Die Pläne zum Heizungstausch sorgen aber bei vielen Menschen für Sorgen und Ängste. Warum halten Sie trotzdem daran fest?

Weil es wichtig ist, vorzusorgen. In der Debatte um das Gesetz gibt es viel Durcheinander und ich kann verstehen, dass das für Verunsicherung sorgt – schließlich betrifft das Heizen die eigenen vier Wände. Gleichzeitig bleibt für viele Menschen erst einmal alles, wie es ist. Und es ist doch so: Menschen, die eine neue Heizung brauchen, im Neubau oder weil die alte kaputt ist, die also eine große Investition im Heizungskeller tätigen, schauen in der Regel sehr genau hin, was sich lohnt. Bei den Preissteigerungen für Öl und Gas in den nächsten Jahren haben Technologien wie die Wärmepumpe in den allermeisten Fällen die Nase vorn. Das sagen die Experten, das zeigt auch der Blick in Länder wie Frankreich oder Norwegen. Auch im Gebäudebereich gehört die Zukunft den günstigen, sicheren und sauberen Erneuerbaren. Im Ergebnis bringen wir Deutschland voran.

Das sehen viele Menschen offenbar anders. Haben die Grünen zu weitreichende Ideen? Oder verkaufen sie sie einfach schlecht?

In Gesprächen erlebe ich, dass es viele Fragen gibt, aber auch viel Zustimmung in der Sache. Denn: Wer in seinem Haus Investitionen für 20 oder 30 Jahre tätigt, will doch, dass die sich langfristig rechnen. Ein Punkt, der viele umtreibt, ist natürlich: Was kostet mich das? Und da ist klar: Es wird einen sozialen Ausgleich für den Heizungstausch geben, wir werden niemanden allein lassen. Unser Vorschlag ist eine gestaffelte Förderung von bis zu 80 Prozent, sodass die, die weniger Einkommen haben, mehr Unterstützung bekommen. Und noch einmal: Laufende Heizungen werden in Betrieb bleiben. Es wird großzügige Übergangsfristen geben, auch Härtefallregelungen und Maßnahmen zum Schutz von Mietern. Ich bin guten Mutes, dass wir die Menschen mitnehmen werden.

Omid Nouripour: "Die Leute wollen keinen Streit sehen, sondern Ergebnisse"

Robert Habeck hatte mal das Ziel, die Grünen zur Bündnispartei zu machen, die große gesellschaftliche Bündnisse schließt. Ist das auch Ihr Ziel als Vorsitzender?

Unsere Leute in der Bundesregierung haben einen Amtseid geschworen. Wir machen Politik für alle. Daran hat sich gar nichts geändert, im Gegenteil. Manchmal bekommen wir den Vorwurf, wir seien zu staatstragend geworden. Damit habe ich kein Problem. Wir tragen diesen Staat.

Ihre Gegner werfen den Grünen vor, dass die Partei dem Land ihr Programm aufzwingt. Ihre Anhänger finden dagegen: Sie setzen sich in der Ampel-Koalition viel zu wenig durch.

Da scheinen wir die goldene Mitte doch genau zu treffen. Im Ernst: Unsere Konzepte wirken.

Wenn die Konzepte der Grünen so gut sind, wie Sie sagen – zum Beispiel die Wärmewende: Warum gelingt es Ihnen dann nicht, sie durchzusetzen?

Kompromisse gehören zur Demokratie dazu. Dabei haben wir viel durchgesetzt. Zum Beispiel im Verkehr: Natürlich muss der Verkehrssektor deutlich mehr liefern, damit wir die Klimaziele einhalten können. Aber wir haben das europaweite Aus des fossilen Verbrennungsmotors bei Neuzulassungen erreicht. Seit diesem Monat gibt es das Deutschlandticket für 49 Euro, mit dem sich niemand mehr durch den Tarifdschungel schlagen muss. Wir investieren endlich mehr in die Schiene. Wir kommen in allen Bereichen weiter. Es braucht mehr, doch die Richtung stimmt.

Das Erscheinungsbild der Ampel-Koalition aber weniger.

Ich würde mir wünschen, dass die Ampel-Koalition in ihrer Anmutung nach außen wieder zu der Ernsthaftigkeit und Gelassenheit des letzten Jahres findet. Da haben wir alle zusammen ein Entlastungspaket nach dem anderen geschnürt und das Land mit großer Gemeinsamkeit durch die Krise gesteuert. Das war der richtige Geist. Den möchte ich mir von schrillen Tönen nicht kaputtmachen lassen. Momentan erinnert das manchmal an eine Familienfeier, bei der Onkel Oswald spätabends mal wieder schlecht gelaunt ist. Streit und Debatten gehören dazu, aber gern wieder mit etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit.

Wie wichtig ist die Wärmewende für die Zukunft der Koalition?

Es geht nicht um die Koalition, sondern darum, ob wir unser Land unabhängig von fossilen Preissteigerungen machen und ob Deutschland seine Klimaziele erreicht. Letzteres ist eine physikalische Notwendigkeit für das Land und den Planeten. Wenn wir die Pariser Klimaziele nicht einhalten, erreichen wir die Kipppunkte. Schon jetzt spüren wir ja die Auswirkungen der Klimakrise – mit Dürren, Waldbränden, Extremwettern. Der Gebäudebereich ist in Deutschland für mehr als ein Drittel der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Wenn wir so große Hebel nicht umlegen, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen.

Die FDP ist da offenbar gelassener. Ist die Ampel noch die richtige Koalition, um die Klimaziele zu erreichen?

Alle drei Parteien haben sich hinter das Ziel der Klimaneutralität gestellt - auch, weil sie wissen, dass das die Grundlage für Wohlstand, gute Jobs und Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten der Zukunft ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Weg gemeinsam gehen werden. Nixtun ist keine Option. Am Ende werden wir daran gemessen, ob wir liefern. Die Leute wollen keinen Streit sehen, sondern Ergebnisse.

"Wir sind keine Kriegspartei und werden es auch nicht sein"

Der Westen will die Ukraine im Krieg gegen Russland mit einer Kampfjet-Koalition unterstützen. Deutschland verfügt nicht über die F16-Kampfjets, um die es dabei geht. Kann sich die Bundesregierung jetzt erstmal zurücklehnen?

Die Bundesregierung hat klargestellt, dass Deutschland diese Koalition unterstützt. Wir haben diese Kampfjets nicht. Wir werden aber weiterhin tun, was wir können, um den Menschen in der Ukraine beizustehen.

Was zum Beispiel?

Wir unterstützen humanitär, finanziell und eben auch mit militärischer Ausrüstung. Das Luftverteidigungssystem Iris-T aus Deutschland rettet gerade jeden Tag Menschenleben. Ich höre da aus der Ukraine sehr viel Dankbarkeit für die deutsche Unterstützung. Vor einem halben Jahr gab es noch die Debatte, ob Deutschland zu wenig macht. Der Vorwurf ist mittlerweile vom Tisch. Dafür haben auch wir gesorgt. Die Ukraine braucht und bekommt die Unterstützung, die ihr nach dem Völkerrecht zusteht und die auch unseren eigenen Sicherheitsinteressen dient. Denn schließlich greift Putin mit dem Überfall auf die Ukraine auch die europäische Friedensordnung an.

Gibt es aus Ihrer Sicht noch rote Linien – also Schritte, die Deutschland in diesem Krieg nicht gehen wird?

Natürlich. Wir stehen an der Seite der Ukraine, doch wir sind keine Kriegspartei und werden es auch nicht sein.

Bisher wurden praktisch alle roten Linien überschritten. Erst wollte Deutschland nur Defensivwaffen liefern – dann kamen Kampfpanzer. Eine Lieferung von Kampfjets hat der Westen lange ausgeschlossen – jetzt kommt sie doch. Wie kann die Politik da noch glaubwürdig vermitteln, dass Deutschland nicht zur Kriegspartei wird?

Indem wir genau abwägen. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir müssen prüfen, was die Ukraine braucht, anstatt fiktive rote Linien zu ziehen. Und wir tun, was wir können, damit dieser Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht. Er ist aber nicht zu Ende, wenn Russland gewinnt, während die Ukraine ihre Freiheit und Souveränität verliert. Ein Sieg Russlands könnte bedeuten, dass ein nächster Krieg auf europäischem Boden droht – gegen Moldau, Georgien oder gar einen NATO-Staat.

Wie wird der Krieg denn nach Ihrer Einschätzung enden?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die russische Seite permanent den gleichen Fehler macht – und das schon seit 2014 jeden Tag: Sie unterschätzt die Ukraine. Der Mut der Ukrainer ist bisher ungebrochen. Sie lassen sich nicht in die Knie zwingen. Aus den Äußerungen des Chefs der russischen Wagner-Gruppe spricht doch eher Frust und Verzweiflung. Es ist unendlich schmerzhaft zu sehen, wie die russische Seite auch in ihren eigenen Reihen keine Rücksicht auf Verluste nimmt.

Auf Demonstrationen gegen die militärische Unterstützung der Ukraine werden vor allem die Grünen als Kriegstreiber bezeichnet. Dabei verfolgen SPD, Union und FDP eine ähnliche Politik. Warum steht Ihre Partei da so stark im Fokus?

Den Grünen wird immer wieder vorgeworfen, dass wir Dinge anders machen als früher. Das ist so, seit es uns gibt. Wir sind und bleiben eine Friedenspartei. Wir haben aber über Jahrzehnte gelernt, wie kompliziert Frieden sein kann. Hilfe zu unterlassen, kann der direkte Weg zu noch größerem Übel sein. Russland greift nicht nur die Ukraine, sondern die Werte Europas an und will das Völkerrecht pulverisieren. Das nicht zuzulassen, ist ein gewichtiges Sicherheitsinteresse Deutschlands.

Zur Person: Omid Nouripour wurde 1975 in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren. Als er 13 war, zog seine Familie nach Frankfurt. 2002 bekam er den deutschen Pass – nachdem die damalige rot-grüne Bundesregierung das Einbürgerungsrecht reformiert hatte. 2006 rückte er für Joschka Fischer in den Bundestag nach. Seit Anfang 2022 ist Nouripour nicht nur Vater, Ehemann und Fan von Eintracht Frankfurt, sondern im Duo mit Ricarda Lang auch Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.
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