Auf einem Bundeskonvent will die AfD am Samstag ihren Kurs für die Bundestagswahl abstecken. Die Konflikte drohen die Partei zu zerreißen. Droht die Spaltung?

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Am Samstag wird es spannend für die Spitze der AfD. Der Bundeskonvent der Partei – ein Gremium, das für alle politischen und organisatorischen Fragen zuständig ist – will sich nun in Riesa in Sachsen treffen, um über den zukünftigen Kurs der Partei zu beraten. Zu besprechen gibt es viel.

Die Stimmung innerhalb der Partei ist mies, die Spitze zerstritten und die Umfragewerte mau. Die Angst vor einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz sorgt für zusätzliche Unruhe. Am Montag stufte das Potsdamer Innenministerium die AfD Brandenburg, einen der wichtigsten und einflussreichsten Landesverbände der Partei, als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Damit ist der Verband nur noch einen Schritt von einer Beobachtung entfernt. Es droht ein Domino-Effekt durch die gesamte Partei zu gehen, der noch etliche Steine zum Kippen bringen kann.

AfD und der Nicht-Kleine-Parteitag

Die Sitzung am Wochenende ist nicht öffentlich, die AfD will sie ausdrücklich nicht als "Kleinen Parteitag" sehen. Ob die Sitzung überhaupt stattfindet, ist auch noch nicht abschließend geklärt. Das Treffen sollte zunächst in Halle stattfinden, wurde dann aber abgesagt, nachdem das Hotel den Vertrag gekündigt hatte. Zuvor waren Steine durch Fenster geflogen. Die Polizei ermittelt laut Recherchen des "Spiegel". Nun also ein Treffen in Riesa.

Viele Details über konkrete Themen sind bislang auch nicht durchgesickert. Doch man darf annehmen, dass der Umgang mit dem geschassten Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz auf einem der oberen Tagesordnungspunkte stehen wird. Kein Thema drückt eher auf die Stimmung als die knappe Abstimmung über Kalbitz‘ Rauswurf, die maßgeblich Parteichef Jörg Meuthen vorangetrieben hatte.

Meuthen gilt als Opportunist

Meuthen beschäftigt sich schon länger mit der Frage, wie sich die AfD stärker gegen Rechtsaußen abgrenzen könne. Der Parteichef fürchtet, dass die Partei als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes all jene Wähler vergrätzen könnte, die nach seiner Einschätzung den Großteil der Partei stellen: Eine bürgerliche Mehrheit rechts der Mitte, die von politischem Extremismus weit entfernt ist. Sollte die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden, würden sich demnach viele Mitglieder verabschieden, allen voran Polizisten, Beamte und Soldaten, die sich vor ihren Arbeitgebern rechtfertigen müssten, warum sie sich in einer rechtsextremen Vereinigung engagieren.

Die Folge wären Parteiaustritte und eine automatische Verschärfung des parteiinternen Machtkampfes, bis hin zu massiven Zersetzungsprozessen. Der Hochschullehrer Meuthen, selbst Beamter, nimmt diesen Druck auf und versucht, noch im Vorjahr der nächsten Bundestagswahl klare Verhältnisse zu schaffen. Meuthen drängte auf eine Auflösung des rechtsextremen Flügels, bereitete den Weg für den Parteiausschluss von Flügel-Frontmann Andreas Kalbitz vor und brachte selbst eine Spaltung der AfD ins Gespräch, in einen "flügelnahen" nationalen und einen national-freiheitlichen Teil.

Damit hat Meuthen den geballten Zorn des mittlerweile aufgelösten "Flügels" auf sich gezogen. Die Truppe rund um den thüringischen Landeschef Björn Höcke und Andreas Kalbitz sieht in Meuthen einen Verräter und einen unbelehrbaren Opportunisten. "Bisher ist in der AfD jeder Vorsitzende, der über die Partei in Gutsherrenmanier verfügen wollte, grandios gescheitert. (...) Das eigene Ego darf nicht über der Verantwortung für die Mitglieder und Wähler stehen", sagt Höcke.

Um Meuthens Glaubwürdigkeit in der Partei ist es ohnehin nicht gut bestellt. Schließlich hatte der Parteichef in der Vergangenheit selbst Deals mit dem Flügel gemacht, über Jahre hinweg die rhetorische und inhaltliche Radikalisierung der Partei geduldet und sie stellenweise selbst betrieben. Noch im Jahr 2018 sagte er in einem Interview: "Erstens: Der rechte Flügel gehört als integraler Bestandteil zu unserer Partei. Zweitens: Björn Höcke ist nicht der Nazi-Hetzer, als der er immer wieder dargestellt wird."

Kalbitz-Rauswurf entscheidet über Karrieren

Viele in der Partei werten Meuthens Vorgehen denn auch nicht als inhaltliche Überzeugungstat, sondern als strategischen Schritt im Machtkampf um den Parteivorsitz. Weil sich Alice Weidel und Co-Parteichef Tino Chrupalla mit den ehemaligen "Flügel"-Mitgliedern arrangiert haben und eine Doppelspitze zur Bundestagswahl anstreben sollen, sieht Meuthen seine Rückkehr in die Mitte der Partei als einzige Chance, ohne die Unterstützung der Extremen in der Partei Parteichef zu bleiben.

Meuthens weitere Karriere in der AfD dürfte nun davon abhängen, ob der Rauswurf von Andreas Kalbitz auch vor Gericht Bestand hat. Sollte der Rauswurf tatsächlich überstürzt und juristisch unsauber gewesen sein, werden sich Höcke und Kalbitz als Märtyrer inszenieren. Meuthen hat sich in diesem Fall schachmatt gesetzt.

Höcke provoziert - und ist damit erfolgreich

Auf diesen Ausgang spekulieren vor allem die Vertreter des formal aufgelösten, ultrarechten "Flügel"-Netzwerks, die ihren Strippenzieher Andreas Kalbitz in der Partei halten wollen. Angeführt wird diese Strömung, die ihre Bastion in den östlichen Bundesländern hat, vom Spiritus Rector der AfD, Thüringens Landeschef Björn Höcke.

Der 48-Jährige liefert Provokationen am Fließband und hat die AfD im Osten zu einer Machtbasis ausgebaut. Welchen Einfluss der ehemalige Geschichtslehrer in der Landespolitik mittlerweile hat, zeigte sich zuletzt bei der Thüringen-Wahl im Februar. In letzter Minute hatte die Truppe rund um Höcke ihren Kandidaten für den Ministerpräsidenten zurückgezogen und den liberalen Kandidaten Thomas Kemmerich unterstützt.

Dieser trat zwar kurz danach wieder zurück, aber der Tabubruch einer Zusammenarbeit mit der AfD war vollzogen. CDU und FDP waren blamiert, sogar die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer begrub ihre Ambitionen auf die Kanzlerschaft.

Höckes Politik basiert auf Provokation, kaum einen Medienauftritt lässt der ehemalige Geschichtslehrer ohne einen markigen Spruch am Rande des Legalen vorbeiziehen. Mit seinen Forderungen nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" oder Ausdrücken wie "Entartung" oder "vollständigem Sieg", die Höcke in seine Reden einflicht, steht er selbst manchem Parteifreund zu weit rechts.

Höcke scheut auch nicht davor zurück, zusammen mit bekannten Rechtsextremen zu marschieren, wie etwa in Chemnitz im September 2018. Alle Versuche, ihn aus der Partei auszuschließen, scheiterten allerdings. Unter der Führung von Bernd Lucke überlebte er ein Amtsenthebungsverfahren und ein Parteiausschlussverfahren, angestrengt von Ex-Parteichefin Frauke Petry, endete mit ihrem Rücktritt. Als Höcke im März sagte, dass innerparteiliche Gegner aus der AfD "ausgeschwitzt" werden sollten, bekam er vom Bundesvorstand bloß eine Missbilligung ausgesprochen.

Parteispitze hat den Kampf gegen Rechtsaußen aufgegeben

Denn Höcke hat seine Macht in der Partei beständig ausgebaut und ist bislang erfolgreich darin, die Partei weiter nach rechts zu rücken. Die Parteispitze hat realisiert, dass Widerstand gegen Höcke zwecklos ist und eher mit dem Amtsverlust der Widerständigen endet, jedoch nie mit der Niederlage Höckes.

Parteichefin Alice Weidel, die kein Mitglied des "Flügels" und einst eine treibende Kraft im Parteiausschlussverfahrens gegen Höcke war, hat mittlerweile einen "Nichtangriffspakt" mit ihrem Kontrahenten geschlossen. In Interviews findet sie seitdem regelmäßig lobende Worte für Höcke. Auch Tino Chrupalla, der erst im Dezember an die Spitze der Partei gewählt worden war, war kein "Flügel"-Mitglied, konnte die Wahl zum Parteichef jedoch nur durch die Unterstützung der Höcke-Truppe gewinnen.

Dennoch kann die Tatsache, dass Höcke formal nicht mehr für den "Flügel" auftreten darf, als schwerer Schlag gewertet werden. Lange Zeit hatte ihm das Netzwerk, das er im März 2015 mit der "Erfurter Resolution" gegründet hatte, als verlässliche Machtbasis gedient. Zu den Erstunterzeichnern gehörte damals neben dem heutigen Bundestagsfraktionschef und AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland auch Andreas Kalbitz. Zwar schwirren die meisten ehemalige "Flügel"-Mitglieder weiterhin in der Partei herum, auch, weil Kalbitz von einem Austritt dringend abgeraten hatte. Doch die organisatorische Herausforderung, die Gruppe ohne offizielle Treffen oder Mailinglisten zu dirigieren, ist immens.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Höcke seine Machtbasis weiter ausbauen kann. Dass er das will, daran lässt er keine Zweifel. In einem Video der rechtspopulistischen Publikation "Deutschland Kurier" sagte er am 19. Mai zur Causa Kalbitz: "Ich hatte in den letzten Tagen als Mitglied der AfD das Gefühl, dass meine Partei überfallen worden ist" - und lies keinen Zweifel daran, wer der Haupttäter ist: Jörg Meuthen.

Verwendete Quellen:

  • Youtube - "Der Fall Kalbitz – Ein Überfall auf die AfD"
  • Merkur - Björn Höcke warnt vor Spaltung der AfD
  • Tagesschau - Meuthen regt Spaltung der AfD an
  • Bundesamt für Verfassungsschutz - Einstufung des „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung
  • Innenministerium Brandenburg - Verfassungsschutz stuft Brandenburger Landesverband der AfD als Beobachtungsobjekt ein
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