Während der Corona-Pandemie macht die AfD vor allem mit Krisen in eigener Sache Schlagzeilen – mit dem Rauswurf von Andreas Kalbitz hat die Auseinandersetzung um den rechtsextremen "Flügel" nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Partei habe ihre Probleme zugespitzt, sagt ein Experte. "Jetzt beginnt ein Hauen und Stechen."

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In einem Punkt ähnelte die AfD seit Ausbruch der Corona-Pandemie den anderen Oppositionsparteien im Bundestag: Sie alle wurden von der Öffentlichkeit deutlich weniger wahrgenommen, weil in Krisenzeiten vor allem die Regierungsparteien beim Wahlvolk Punkte machen. Sie sind es, die handeln und Maßnahmen einleiten – die Opposition kann nur zusehen.

Doch die AfD sieht nicht nur zu, sondern ist permanent mit ihrer eigenen Krise beschäftigt. Die Partei sei bei Umfragen schon vor der Coronakrise eingebrochen, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke im Gespräch mit unserer Redaktion – wegen der innerparteilichen Auseinandersetzung mit ihrem vom Verfassungsschutz als rechtsextrem gebrandmarkten "Flügel". Mit dem vorläufigen Rauswurf von Andreas Kalbitz, dem brandenburgischen Landesschef der Partei, hat die Krise in der AfD jedoch einen neuen Höhepunkt erreicht.

Kalbitz, bisher Brandenburger AfD-Landeschef, bleibt trotz seines Rauswurfs aus der Partei Mitglied der Landtagsfraktion. Das teilte er am Montag in Potsdam nach einer Sondersitzung mit.

Dafür stimmten nach Fraktionsangaben 18 von 21 anwesenden Abgeordneten, zwei waren dagegen, einer enthielt sich. Die Geschäftsordnung der Fraktion wurde dafür eigens geändert.

Damit unterstützte sie Kalbitz und schickte ein Signal an die Bundesspitze. "Die AfD-Fraktion Brandenburg steht stabil", sagte Kalbitz. Das sei aber "keine Kampfansage" an den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen. Dieser hatte seinen Rauswurf vorangetrieben.

Ob Kalbitz weiter Fraktionsvorsitzender der Landtags-AfD bleiben will, ließ er zunächst offen. Erst solle eine rechtliche Klärung der Situation erfolgen. Er sehr aber "sehr zuversichtlich". Er gehe zivilrechtlich oder per Schiedsgericht gegen die Beendigung seiner AfD-Mitgliedschaft vor, das entschieden Anwälte.

AfD-Abstimmung: Sieben zu fünf gegen Kalbitz

Der AfD-Vorstand hatte am Freitag Kalbitz‘ Parteimitgliedschaft wegen seiner Kontakte ins rechtsradikale Milieu mit knapper Mehrheit für nichtig erklärt: Sieben Vorstandsmitglieder stimmten für den Rauswurf, fünf waren dagegen, ein Mitglied enthielt sich.

Die AfD, sagt Funke, befinde sich damit in einer tiefen "Doppelkrise": COVID-19 und die Rechten schwächen gemeinsam die Partei. Funke, Verfasser zweier Bücher über die Rechtspartei, stimmt diese Tatsache "vorsichtig optimistisch".

Zwar hält er die Partei wegen ihrer radikalen Grundaussagen nach wie vor für "gefährlicher, als es die NPD jemals war". Doch der interne Streit werde weiter eskalieren: "Die Partei hat ihre Probleme nicht gelöst, sondern zugespitzt. Jetzt beginnt ein Hauen und Stechen."

"Rassistische Affekte" in der Coronakrise

Die NPD sei von Beginn an auch von der Bevölkerung als "klar neonazistische Partei" gesehen worden, sagt Funke – auch und gerade, als sie in den 60er Jahren in mehreren Landtagen vertreten war und 1969 mit 4,3% der Stimmen beinahe in den Bundestag einziehen konnte. Anders die AfD.

Dass die Partei offen rechtsradikale Ressentiments bediene, sei einem Teil der Wähler erst deutlich geworden, als der Verfassungsschutz Mitte März den "Flügel" der Partei als rechtsextrem einstufte. Seither zehren Coronakrise und innerparteiliches Gegeneinander gemeinsam an den Umfrageergebnissen der AfD.

Die Partei habe mit der durch die Pandemie hervorgerufenen Unsicherheit in der Bevölkerung nicht umgehen können, sagt Funke. Statt Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, habe sie sich schnell "marktradikal orientiert", habe den Lockdown ausschließlich im Sinn der Wirtschaft schnell aufheben und lediglich die Außengrenzen geschlossen halten wollen.

Es zeigte sich allerdings schnell auch an den Umfrageergebnissen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht an Thesen interessiert war, die die Verbreitung der Seuche an Ausländern und Migranten festmachen wollen.

Im Gegenteil habe dieser "rassistische Affekt" zusätzlich deutlich gemacht, dass die Partei sich einem "fremdenfeindlichen Programm" verschrieben habe, während sie gleichzeitig vom Verfassungsschutz als potenziell rechtsradikal gebrandmarkt wurde. Viele Menschen hätten das mittlerweile erkannt, die Stimmung habe sich "ein bisschen gedreht". Nach Ansicht Funkes werde die AfD gesellschaftlich zunehmend "als rechtsextrem identifiziert und isoliert".

Funke: AfD weiterhin ernstzunehmende Gefahr für Demokratie

Trotz solcher Entwicklungen bleibt die AfD laut Funke eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Denn sie habe es in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens geschafft, sich von einer europakritischen Protestpartei zu einer "fundamental-oppositionellen Sammlungsbewegung" zu entwickeln, die sich bemühe, auch rechtsextreme und neonazistische Kräfte zu integrieren.

Bei einem Teil der Bevölkerung habe die "dreifache Strategie" der AfD gefruchtet: Die Partei lehne erstens die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus ab, die nicht nur ein Teil der bundesrepublikanischen Geschichte, sondern auch wesentlicher Bezugspunkt des Grundgesetzes sei.

Sie sei zweitens explizit fremdenfeindlich und wolle mit "wohltemperierten Grausamkeiten und Sadismus" Millionen Menschen nicht als gleichberechtigte Bürger anerkennen. Und sie befürworte drittens eine insgesamt "illiberale Republik" mit stark eingeschränkten Freiheiten.

Kalbitz-Rauswurf führt zu weiteren Unruhen

Dass Kalbitz‘ vorläufiger Rauswurf zu weiteren Unruhen in der AfD führen wird, sieht Funke als unvermeidlich an. Er sieht darin auch Potenzial für eine weiter nachlassende Attraktivität der Rechtspartei.

Kalbitz hatte schon am Samstag juristische Schritte gegen seien Entfernung aus der Partei angekündigt, während der radikalnationalistische Teil der Partei und vor allem Mitglieder der ostdeutschen Landesverbände sich mit ihm solidarisch erklärten. Von "Verrat an der Partei" sprach auch der Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke, von der Gefahr einer "Spaltung der Partei" war die Rede.

Falls Kalbitz beispielsweise eine einstweilige Verfügung gegen die Stornierung seiner Parteimitgliedschaft erwirken könne, würden die anschließenden parteiinterne Querelen und Raufereien viel Zeit in Anspruch nehmen, betonte Funke. "Wir haben es inzwischen mit einem vergifteten Machtkampf der Gruppe Meuthen gegen Höcke und Kalbitz zu tun. Er wird mit allen juristischen und politischen Bandagen geführt. Das kann Monate dauern", vermutet Funke.

Corona wird dann möglicherweise in der Politik nur noch eine untergeordnete Rolle spielen – doch die AfD würde immer noch kaum Zeit haben, sich um die wirklichen Probleme der Menschen zu kümmern.

Prof. Hajo Funke ist emeritierter Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. 2018 hat der im VSA Verlag das Buch "Gäriger Haufen" über die AfD veröffentlicht. Demnächst erscheint von ihm, ebenfalls bei VSA: "Die Höcke-AfD. Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen Flügel-Partei".
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