Andrea Nahles gibt auf. Nach tagelangem Machtkampf tritt die SPD-Partei- und Fraktionschefin zurück. Sie ruft zu einem geordneten Übergang auf. Die Reaktionen auf den Schritt reichen von Bedauern bis hin zu Erleichterung.

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SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles tritt von ihren Spitzenämtern zurück, auch ihr Bundestagsmandat will sie zu einem späteren Zeitpunkt niederlegen. "Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist", schrieb Nahles am Sonntag an alle SPD-Mitglieder.

Gemischte Reaktionen in der SPD

Ihr angekündigter Rücktritt löste gemischte Gefühle aus. So bedauerte Vizekanzler Olaf Scholz den Schritt: "Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken", sagte der Finanzminister am Sonntag. In schwierigen Zeiten habe sie die Verantwortung übernommen und den Erneuerungsprozess in der Partei begonnen. "Die SPD befindet sich nicht erst seit der Europawahl in einer schwierigen Lage – wichtig ist daher, dass wir zusammenbleiben und die nächsten Schritte gemeinsam gehen", erklärte der stellvertretende SPD-Vorsitzende.

Nahles-Kritiker Florian Post findet den Rücktritt der Parteichefin hingegen "richtig und konsequent". "Das war die letzte Möglichkeit, den Riss und die Spaltung wieder zu kitten." Post hatte Nahles in den vergangenen Tagen scharf kritisiert. In der Fraktion sei nun bis zur für Dienstag anberaumten Neuwahl Zeit, dass sich Kandidaten melden. Er gehe davon aus, dass mögliche Bewerber bereits an exponierter Stelle in der Fraktion gestanden hätten und den Abgeordneten deshalb bekannt seien.

SPD-Vize Ralf Stegner warnte hingegen vor personellen "Schnellschüssen". Zugleich verdiene die Entscheidung von Nahles "allergrößten Respekt", vor allem, da sie "immer wieder Verantwortung für ihre Partei übernommen hat". Der Umgangsstil der letzten Tage sei nicht vom "sozialdemokratischen Grundwert der Solidarität" geprägt gewesen, deswegen müssten nun alle notwendigen programmatischen, organisatorischen und personellen Weichenstellungen sorgfältig, gemeinsam und transparent auf den Weg gebracht werden. Es dürfe kein "Handeln aus der Ich-Perspektive" geben.

Indes hat Ex-SPD-Parteichef Sigmar Gabriel eine "Entgiftung" seiner Partei gefordert: "Solange die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden", sagte Gabriel am Sonntag der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Er betonte: "Die SPD braucht eine Entgiftung." Auch künftig dürfe in der SPD hart über inhaltliche Differenzen gestritten werden, erklärte Gabriel. "Das gab es immer, und das ist auch nötig in einer Partei." Nötig sei aber ein ehrliches Interesse an Menschen und ein freundlicher und solidarischer Umgang "nach innen und außen". Auch Gabriel hatte vor kurzem angekündigt, er wolle sich aus dem Bundestag zurückziehen und bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten.

Koalitionspartner CDU steht weiter zu Regierungsauftrag

Währenddessen hat die CDU-Führung nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles die eigene Partei zu Besonnenheit aufgerufen. Alle in der CDU sollten die eigene Bereitschaft verdeutlichen, weiter dem Regierungsauftrag gerecht zu werden, hieß es am Sonntag in der CDU-Führung.

Die CDU-Spitze wollte sich noch vor Beginn der Spitzenklausur am späten Nachmittag über das weitere Vorgehen beraten. Dazu dürfte es zunächst Telefonkonferenzen geben.

Reaktionen aus der Opposition

Auch aus der Opposition gibt es erste Reaktionen: Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck setzen auf eine schnelle Nachfolgeregelung in der SPD. "Respekt, dass Andrea Nahles hier eine klare Entscheidung trifft", teilten Baerbock und Habeck am Sonntag mit. "Wir hoffen, dass die SPD rasch ihre Personalfragen klärt und sich dann mit neuer Kraft auf ihre Aufgaben konzentrieren kann."

Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, hält die Vorgänge bei den Sozialdemokraten für "brutal". "Hochachtung vor Andrea Nahles", teilte Bartsch am Sonntag mit. "So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir darüber alle einfach nur nach."

FDP-Chef Christian Lindner sieht durch Nahles' Rücktritt auch die Bundesregierung ins Wanken geraten. Ihr Rücktritt beantworte keine Kursfrage der SPD, sondern beschere Deutschland nur eine instabile Regierung, schrieb Lindner am Sonntag auf Twitter. Zugleich zollte er Nahles Respekt. "Sie ist eine ehrliche und kompetente Politikerin. Der Umgang mit Nahles sollte alle in Politik und Medien zum Nachdenken bringen", mahnte der FDP-Vorsitzende.

Die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, sieht die große Koalition gar vor dem Zerfall. "Nicht nur die SPD befindet sich in Auflösung, auch die GroKo wandelt nur noch als Untoter über die politische Bühne", sagte Weidel am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. "Tag für Tag fallen mehr und mehr Glieder von ihr ab."

Nahles war nach Europawahl stark unter Druck geraten

Nahles war nach dem Desaster der SPD bei der Europawahl vor einer Woche stark unter Druck geraten. Daraufhin hatte sie angekündigt, in der Fraktion mit einer vorgezogenen Vorsitzenden-Neuwahl die Machtfrage zu stellen. Bei einer Sonderfraktionssitzung am vergangenen Mittwoch war deutlich geworden, dass sie für diesen Schritt wenig Rückhalt hatte. Nun hat sie sich zum Rückzug aus ihren Ämtern entschieden.

Als mögliche Kandidaten für eine Nachfolge von Nahles an der Spitze der Fraktion waren zuletzt unter anderem Ex-SPD-Chef Martin Schulz und der Chef der NRW-Landesgruppe, Achim Post, genannt worden. Auch Olaf Scholz werden Ambitionen als möglicher Nachfolger nachgesagt. (mgb/dpa)

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