Das Bundeskabinett muss Kriegspolitik betreiben. Dabei haben fast alle Minister persönlich den Wehrdienst verweigert. Nun ist auch bekannt geworden, wie ungewöhnlich Kanzler Olaf Scholz seine Verweigerung einst begründete. Einzig Christian Lindner war bei der Bundeswehr und ist sogar Major der Reserve.

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Die Ampelregierung steht ganz unter dem Druck des Ukraine-Krieges. Militär- und Sicherheitspolitik überlagert derzeit alle Entscheidungen. Der Bundeswehr wird ein historisches Sondervermögen von 100 Milliarden Euro beschieden, Waffen werden direkt ins Kriegsgebiet geliefert. Umso verblüffender ist die Tatsache, dass von allen Kabinettsmitgliedern nur eines selbst bei der Bundeswehr war. Die Zahl der Wehrdienstverweigerer ist dagegen außergewöhnlich hoch in dieser Regierung.

Scholz und Habeck wollten nicht zur Bundeswehr

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verweigerte in den Achtzigern den Wehrdienst. In dem Podcast "Deutschland 3000" mit Eva Schulz hat Scholz nun verraten, dass er sich bei der damaligen Begründung seiner Verweigerung auch noch einen Scherz erlaubt habe. Neben den Kriegserfahrungen seiner Eltern und seiner Bewunderung für Martin Luther King habe er darin auch behauptet, er habe alle Bücher von Karl May gelesen, und die jeweiligen Helden hätten niemals jemanden getötet. Das habe ihn moralisch sehr geprägt. "Irgendwie", sagte er, "bin ich mit dem Witz durchgekommen". Scholz absolvierte schließlich 1984 einen Zivildienst in einem Pflegeheim.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) wollte ebenfalls nicht zur Bundeswehr und machte nach dem Abitur seinen Zivildienst beim damaligen Hamburger Spastikerverein (heute Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein). Habeck bekennt freimütig: "Ich hatte, ehrlich gesagt, damals keine besondere Lust auf den Zivildienst. Aber ich hatte noch weniger Lust, zur Bundeswehr zu gehen." Habeck beschreibt seinen Zivildienst so: "Zusammen mit zwei anderen betreute ich in Hamburg-Bergedorf acht Menschen, die schwerst- und mehrfachbehindert zugleich waren. Ich habe damals Körper eingecremt, wie ich nie wieder welche gesehen habe. Und ich habe so viel Körperexkremente abgewischt und abgeduscht, dass ich mir fünf Jahre später, als ich Vater wurde und wieder Windeln wechseln musste, vorkam wie im Paradies."

Zahl der Reservisten soll steigen - Besuch auf einem Truppenübungsplatz

Schwitzen in voller Montur: Die Anzahl der Reservisten bei der Bundeswehr soll steigen. Dieses Ziel wurde schon vor Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine ausgegeben. Ein Besuch auf einem Truppenübungsplatz. (Teaserbild: dpa / Sebastian Gollnow/dpa)

Auch weitere Politiker leisteten lieber Zivildienst - oder nichts von beidem

Arbeitsminister Hubertus Heil leistete seinen Zivildienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Peine ab. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte den Zivildienst nach dem Abitur im "hausmeisterlichen Dienst" in einem Altenwohn- und Pflegeheim in Gelsenkirchen absolviert. Mehr als 20 Jahre nach seinem Zivildienst hat Buschmann seine Wehrdienstverweigerung allerdings zurückgezogen und an einer Wehrübung an der Infanterieschule in Hammelburg teilgenommen. Dadurch wurde er Reservist. Zu seiner Wehrdienstverweigerung sagt er: "Ich halte das im Nachhinein nicht für falsch. Ich sehe heute halt nur bestimmte Dinge anders."

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat weder Wehr- noch Zivildienst geleistet. Dem "Spiegel" erklärte er: "Ich habe nie Wehr- oder Zivildienst geleistet. Die deutsche Staatsbürgerschaft habe ich 1981 unter anderem deshalb angenommen, um nicht in der Türkei Wehrdienst leisten zu müssen. Auch in Deutschland bin ich nie gemustert worden." 2019 absolvierte Özdemir allerdings ein Fünf-Tage-Praktikum am Bundeswehrstandort Munster.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) war ebenfalls nicht bei der Bundeswehr. Er hat sich beim Arbeiter-Samariter-Bund über mehrere Jahre beim Katastrophenschutz verpflichtet – mit regelmäßigen Lehrgängen über die Wochenenden - und war deswegen von Wehr- oder Zivildienst befreit. Auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) haben keinen Wehrdienst abgeleistet.

Selbst im Verteidigungsministerium ist der Führungskreis weitgehend ungedient. Weder die Ministerin Christine Lambrecht noch die Staatssekretärinnen Margaretha Sudhof, Siemtje Möller oder Thomas Hitschler waren bei der Bundeswehr. Auf der Parlamentsseite sieht es so aus: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Hellmich, hat ebenso wenig gedient wie die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni. Einzig Marcus Faber, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP, hat seinen Grundwehrdienst bei den Panzerpionieren in der Elb-Havel-Kaserne in Havelberg absolviert.

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Nur Christian Lindner war bei der Bundeswehr

Das einzige Kabinettsmitglied mit echter Bundeswehrerfahrung ist Finanzminister Christian Lindner (FDP). Während des Studiums war Lindner Reserveoffizier bei der Luftwaffe. 2002 wurde er zum Oberleutnant der Reserve befördert. Als Reservist nahm er rund vier Jahre lang an Wehrübungen beim Luftwaffenführungskommando in Köln-Wahn teil. Im Jahr 2008 wurde er Verbindungsoffizier zum Landeskommando Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Im September 2011 folgte die Beförderung zum Hauptmann der Reserve. Heute führt er den Dienstgrad Major der Reserve.

Lindner fühlt sich in der Regierung darum auch als ein Anwalt von Bundeswehrinteressen. Er gilt als der Architekt der 100-Milliarden-Euro-Aufrüstung per Sondervermögen. Sein Ziel sei es "jetzt, aus der Bundeswehr eine der modernsten Armeen der Welt zu machen". Ausgerechnet das Kabinett aus lauter Zivis unterstützt ihn nun dabei.

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