• Die aktuelle Umstellung auf Winterzeit nennen viele Menschen die "gute": Nicht nur, weil es die Normalzeit ist, sondern weil wir eine Stunde "geschenkt" bekommen.
  • Doch wozu überhaupt noch das Umstellen?
  • Das Ende der Zeitumstellung fordern viele Menschen - so wie die europäische Initiative BetterTimes und Forschende aus aller Welt.

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Die Wissenschaft der Chronobiologie erforscht die inneren Uhren und den Schlaf-Wach-Rhythmus der Menschen. Jetzt schlagen mehrere Vertreter dieses Fachs eine neue Einteilung der Zeitzonen in Europa vor:

Chronobiologin: Uhr sollte möglichst gut mit Lauf der Sonne übereinstimmen

"Im Laufe der Evolution haben wir und alle lebenden Organismen ihre biologische Uhr an den Tag-Nacht-Zyklus angepasst“, sagt Anna Wirz-Justice, emeritierte Chronobiologie-Professorin an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Deshalb sei es auch das gesündeste für uns, wenn die Uhrzeit, in der wir leben, möglichst gut mit dem Lauf der Sonne – der Sonnenzeit – übereinstimme. Und das ist dann der Fall, wenn der höchste Sonnenstand ungefähr um 12 Uhr mittags erreicht ist.

Genau dieser Zustand herrscht in Mitteleuropa nach der Zeitumstellung am 30. Oktober, weshalb es der überwiegenden Mehrheit der Menschen in der darauf folgenden Normalzeit besser gehen dürfte als während der Sommerzeit. Das allgemeine Herzinfarktrisiko sinkt einer Studie zufolge in den Tagen danach sogar, weil die meisten Menschen etwas mehr schlafen als gewohnt.

Umstellung auf Sommerzeit Ende März: Mehr Unfälle und Herzinfarkte

Sehr viel schlimmer als das kommende Wochenende ist deshalb auch die Umstellung von der Normalzeit zur Sommerzeit, die am letzten Wochenende im März stattfindet. Danach steigt die Zahl der Verkehrs- und Arbeitsunfälle sowie der Arztbesuche und Herzinfarkte. Das hat eine Vielzahl von Studien gezeigt. Doch nicht nur das Vorstellen der Uhren im Frühjahr ist eine Gesundheitsgefahr. Sehr viel schädlicher ist der Umstand, dass wir danach sieben Monate lang in der falschen Zeitzone leben.

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Denn anders als nach einer Fernreise quer zum Globus dient die Uhren-Umstellung Ende März nicht dazu, die Uhrzeit an die Sonnenzeit anzupassen. Ganz im Gegenteil bleiben beide Zeiten danach dauerhaft voneinander getrennt – bis zur nun wieder bevorstehenden "guten" Uhren-Umstellung Ende Oktober. Für die überwiegende Mehrheit der Menschen bedeutet das ab März eine zusätzliche Gesundheitsgefahr: Ihr biologischer Rhythmus, ihr Schlaf-Wach-Zyklus, aber auch die rhythmische Aktivität nahezu aller ihrer Organe, passen während dieser Zeit nicht mehr so gut zu den sozialen Rhythmen – etwa den Arbeits- und Schulzeiten.

Betroffen sind letztlich alle, die an Arbeitstagen einen Wecker zum Aufstehen benötigen. Und das sind etwa 80 Prozent der Bevölkerung von Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Sie schlafen oft zu wenig, ihr Risiko für Stoffwechselkrankheiten ist erhöht.

Laut Wissenschaft noch schlimmer als sieben Monate Sommerzeit: Dauerhafte Sommerzeit

Wirz-Justice ist sich deshalb mit den meisten Kollegen und Kolleginnen – allen voran dem bekannten Münchner Chronobiologie-Professor Till Roenneberg – einig, wenn sie sagt, eine ganzjährige Sommerzeit wäre für die Gesundheit der Menschen noch schlechter als die jetzige Situation, bei der sich Sommer- und Normalzeit abwechseln. "Die wissenschaftliche Literatur spricht gegen die Umstellung zweimal jährlich", sagt die Baslerin. Aber sie spreche "noch mehr gegen eine dauerhafte Sommerzeit". Nicht ohne Grund habe Russland das Experiment einer ganzjährigen Sommerzeit vor einigen Jahren schon nach vier Jahren beendet und sei zur ganzjährigen Normalzeit gewechselt.

Nahezu alle Vertreter der Chronobiologie empfehlen seit Jahren, zur ganzjährigen Normalzeit zurückzukehren. "Das Hauptargument für natürliche Zeitzonen ist, dass falsch eingestellte Uhren, die nicht die richtige Tageszeit widerspiegeln, bei der Mehrheit der Leute zu Schlafdefizit und sozialem Jetlag führen", sagt Wirz-Justice.

Je stärker dieser soziale Jetlag – also "der Grad der Abweichung zwischen der Körperuhr und der sozialen Uhr" – sei, desto stärker sei die Beeinträchtigung der Gesundheit. Das ginge sogar so weit, dass man auch innerhalb einer Zeitzone einen "Gradienten von Ost nach West" messen könne. Weil im Westen die Sonne später aufgehe, herrsche dort der größere soziale Jetlag. Gleichzeitig sei dort auch das Risiko beispielsweise für Krebserkrankungen und Winterdepressionen erhöht.

Die wenigen anderen Menschen, die chronobiologisch gesehen eher zu den so genannten Lerchen zählen und umgangssprachlich Frühaufsteher heißen, können sich zwar gut an die Sommerzeit gewöhnen, sie haben aber auch keine gesundheitlichen Nachteile, würde die Normalzeit so wie früher das gesamte Jahr über gelten.

EU wollte Zeitumstellung schon 2019 abschaffen

Es gab schon immer gute Argumente, warum die Uhren-Umstellung schädlich ist. Und es gibt von Jahr zu Jahr neue Studien, die dieser Sicht wachsende Evidenz verleihen. Energie wurde, anders als ursprünglich erhofft, durch die Sommerzeit so gut wie nie gespart. Im Gegenteil scheint ihretwegen sogar noch mehr geheizt zu werden, weil es draußen kälter ist, wenn die Menschen morgens aufstehen. Gerade in der aktuellen Energiekrise kann das nicht gewollt sein.

Bereits im Jahr 2019 hatte das Europäische Parlament einem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt, nach dem die Zeitumstellung beendet werden sollte. Allerdings konnten sich die Mitgliedstaaten nicht einigen, in welcher Zeitzone sie danach dauerhaft leben wollen. Und es kam die Coronapandemie. Deshalb ist bis heute nichts passiert.

Jetzt kommt aber neue Bewegung in die Sache. Die Internationale Allianz für natürliche Zeit – BetterTimes – ist ein Zusammenschluss von chronobiologisch orientierten Organisationen aus Portugal, Spanien, Schweden, Frankreich, Niederlande, Belgien und Deutschland, die sich seit einigen Jahren für "das Recht auf ein Leben im Einklang mit der inneren Uhr einsetzen". Sie haben sich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt beraten lassen.

Und im Jahr 2021 haben sie gemeinsam die Barcelona Deklaration zur Zeitpolitik unterzeichnet. Darin heißt es unter anderem: "Wir werden die Debatte in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und bei den zuständigen politischen Entscheidungsträgern über die Abschaffung der saisonalen Zeitumstellung vorantreiben und dabei Gesundheit und Wohlbefinden als Hauptkriterien etablieren, unter Wahrung der individuellen Freiheit."

Vorschlag im Detail: Zeitzonen nach chronobiologischen Aspekten

Als Konsequenz schlagen Initiative und Forschende nun das Ende der Sommerzeit vor. Doch damit nicht genug: Sie empfehlen zudem, gleichzeitig die Zeitzonen innerhalb Europas streng nach den Kriterien der Chronobiologie einzuteilen. Das heißt, alle Länder sollten jene Zeitzone wählen, die der Sonnenzeit am nächsten kommt.

Deutsche und Österreicher lebten dann ganzjährig in der Mitteleuropäischen Zeit, was der jetzigen Normalzeit ("Winterzeit") entspricht. Gen Osten würde diese Zeitzone auch noch Griechenland beinhalten, das verglichen mit heute also ganzjährig bei seiner Sommerzeit bliebe. Die Osteuropäische Zeitzone reichte von Finnland über das Baltikum, Bulgarien und Rumänien bis nach Zypern.

Die Benelux-Staaten, Frankreich und Spanien rückten hingegen in die Westeuropäische Zeitzone, ihre Uhren tickten dann eine Stunde später als in Deutschland. Dadurch würden die Menschen mehrheitlich nicht mehr zu so späten Uhrzeiten zu Abend essen, sie fänden nachts mehr Schlaf als heute und die Arbeitszeiten passten besser zu den biologischen Leistungshochs.

Portugal und Irland, die noch eine Zeitzone weiter nach Westen rücken würden, auf der einen Seite sowie die Länder in der Osteuropäischen Zeitzone auf der anderen Seite, machen in diesem Modell die jeweiligen Extreme aus. Insgesamt gäbe es in der EU nicht mehr wie heute drei, sondern vier verschiedene Zeitzonen.

Und was macht die Schweiz?

Und was sollte dann die Schweiz machen, die ja nicht zur EU gehört? Auch hier hat Wirz-Justice eine klare Position: "Die Schweiz ist keine 'Zeitinsel', also ist die Mitteleuropäische Zeit naheliegend", sagt die Chronobiologin. "In den Grenzgebieten zu Frankreich müssten flexiblere Arbeitszeiten geschaffen werden, um den Unterschied von einer Stunde auszugleichen."

Ohnehin wären flexiblere Arbeitszeiten ein Segen, sagt Wirz-Justice, weil die Menschen chronobiologisch nun mal recht unterschiedlich seien. Nicht zuletzt während der Coronapandemie, als viele im Homeoffice waren, hätten wir gelernt, wie gut es uns tut, die Arbeitszeiten besser an unseren biologischen Rhythmus anzupassen: "Wir sollen nicht die Sonne regulieren wollen, sondern die Arbeitszeiten deregulieren, damit zum Beispiel die Menschen, die das wollen, im Sommer abends früher Feierabend machen können."

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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