Soll Deutschland sich für die Austragung von Olympischen Spielen bewerben? Der Deutsche Olympische Sportbund will in diesem Jahr ein Konzept dazu erarbeiten. Auch Sportpolitiker und Athletinnen sprechen sich dafür aus – allerdings unter bestimmten Voraussetzungen.

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München hat im vergangenen August ein kleines Sommermärchen erlebt. Rund 4.700 Athletinnen und Athleten konkurrierten dort bei den "European Championships" um Europameistertitel in zwölf Disziplinen. 50 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen war der Olympiapark wieder Austragungsort eines sportlichen Großereignisses. Und nicht nur in der bayerischen Landeshauptstadt fragten sich Athleten, Funktionäre und Publikum: Wäre es mal wieder Zeit für Olympia in Deutschland?

Nancy Faeser: Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen

In diesem Jahr könnten dazu erste Entscheidungen fallen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat bei seiner Mitgliederversammlung im vergangenen Dezember eine sogenannte Road Map auf den Weg gebracht, eine Wegbeschreibung für einen möglichen Bewerbungsprozess. 2023 sollen demnach bundesweite Diskussionsforen mit Befürwortern, Kritikern und Interessenvertretern aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft stattfinden. Sie sollen über die zentralen Fragen sprechen: Soll es eine deutsche Olympia-Bewerbung geben? Und wenn ja: Wo, wann und wie?

Unterstützung für diesen Kurs kommt von Deutschlands oberster Sportpolitikerin: An diesem Donnerstag diskutiert der Bundestag über den 15. Sportbericht der Bundesregierung. Die auch für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schreibt in ihrem Vorwort über die "Road Map" des DOSB: "Dieses Vorhaben begrüße ich. Damit begeben wir uns auf den Weg zu einer Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland."

Bereits am 15. März hatte die Ministerin bei einer Befragung im Bundestag gesagt: "Ich finde, dass wir in diesem Zusammenhang mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Wir sind ein Land, das die Menschenrechtseinhaltung bei Sportgroßveranstaltungen exemplarisch darstellen kann."

Fünf gescheiterte Anläufe in den vergangenen 20 Jahren

Die deutschen Bemühungen für Olympia waren in den vergangenen 20 Jahren allerdings eine Serie von Misserfolgen. 1993 wollte Berlin die Sommerspiele 2000 in die frischvereinigte Hauptstadt holen, landete aber auf Platz vier der Bewerberstädte. Leipzig schaffte es 2004 mit seiner Bewerbung für Olympia 2012 nicht einmal in die Finalrunde.

Relativ knapp scheiterte 2011 München im Rennen um Winter-Olympia 2018. Eine weitere Münchener Olympia-Bewerbung für die Winterspiele 2022 platzte dagegen 2013 wegen des negativen Votums der Bürgerinnen und Bürger bei einem Volksentscheid. 2015 sagte auch die Bevölkerung Hamburgs mehrheitlich Nein zu einer Bewerbung der Hansestadt für die Sommerspiele.

Die Spiele der "Jugend der Welt", die jahrzehntelang für Völkerverständigung, fairen Wettkampf und Frieden standen, haben ein Imageproblem: Korruption im Internationalen Olympischen Komitee, gedopte Athletinnen und Athleten – und nicht zuletzt die immer größere Materialschlacht und fragwürdige Nachhaltigkeit in Zeiten des Klimawandels.

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Gesa Krause: "Austragungsland steht für viele, viele Jahre im Fokus"

Auf der anderen Seite könnte eine Großveranstaltung auch einen dringend erwarteten Schub für den deutschen Spitzensport geben. Die Olympischen Spiele in Sydney, Peking und London beispielsweise haben die sportlichen Erfolge der Austragungsländer auch über das Event hinaus beflügelt.

Die Leichtathletin Gesa Krause jedenfalls war enttäuscht, als Hamburg seine Bewerbung zurückziehen musste. "Logischerweise ist so eine Austragung mit Kosten verbunden, aber ich glaube, der Mehrwert für das Land ist viel größer", sagt Krause im Gespräch mit unserer Redaktion, die über 3.000 Meter Hindernis zwei Europameister-Titel und zwei Bronze-Medaillen bei Weltmeisterschaften geholt hat. "Ich habe das Gefühl, wir Deutschen entfernen uns gerade von diesem Leistungssport-Thema, was ich sehr schade finde."

Abgesehen vom Fußball gehe das Bewusstsein für den Leistungssport gerade verloren, fürchtet Krause. "Ich fände es wünschenswert, wenn es in meinem Leben noch einmal Olympische Spiele in Deutschland geben würde. Bei einer Austragung steht ein Land für viele, viele Jahre im Fokus und damit kann man nur gewinnen."

Frank Ullrich (SPD): "Spiele können gesellschaftlichen Stellenwert des Sports erhöhen"

Die Ampel-Parteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag grundsätzlich zum Ziel gesetzt, Sportgroßveranstaltungen in Deutschland zu unterstützen. Ein ausgesprochener Olympia-Befürworter ist der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag: Der frühere Biathlet Frank Ullrich (SPD) hat als Athlet oder Trainer selbst an zwölf Olympischen Spielen und Jugendspielen teilgenommen, 1980 holte er in Lake Placid Gold im Sprint.

"Ich halte es für absolut sinnvoll, sich zu bewerben", sagt Ullrich gegenüber unserer Redaktion. "Spiele im eigenen Land können den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports erhöhen, eine neue Sportgeneration von der Basis bis zur Spitze beflügeln und wichtige Impulsgeber für eine nachhaltige Sportstättenentwicklung sein."

Philipp Hartewig, sportpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sieht in Olympischen und Paralympischen Spielen ebenfalls großes Potenzial für die Stärkung der Strukturen, für Sportstätten und Nachwuchsförderung. "Deutschland könnte auch mit gutem Beispiel insbesondere in den Bereichen Nachhaltigkeit, Integrität und Bürgerbeteiligung vorangehen", teilt der Abgeordnete auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Olympia in Deutschland? Ja, aber ...

Das generelle Ziel einer Olympiabewerbung findet auch Stephan Mayer (CSU), sportpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, richtig. Da die Ausrichter der Sommerspiele bis 2032 und der Winterspiele bis 2026 bereits feststehen, komme eine kurzfristige Bewerbung aber nicht in Betracht. "Die Sportpolitik ist generell gut beraten, sich die erforderliche Zeit für eine Bewerbung zu nehmen. Vor allem muss die Bevölkerung mitgenommen werden", sagte Mayer zu unserer Redaktion. "Eine Bewerbung ohne die Unterstützung oder gar gegen den Willen der Menschen ist aussichtslos."

Insgesamt herrscht in der Sportpolitik weitgehender Konsens: Eine Austragung der Spiele in Deutschland wäre generell wünschenswert – aber sie müsste die Menschen vor Ort mitnehmen und zudem die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Nachhaltigkeitsstandards einhalten.

"Die Fehler der letzten Bewerbungen dürfen sich nicht wiederholen", sagt Tina Winklmann, sportpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, gegenüber unserer Redaktion. "Es braucht für einen Erfolg ein soziales und nachhaltiges Konzept, das weggeht von der Gigantomanie der letzten Spiele und einen bleibenden Infrastrukturgewinn für die Menschen vor Ort schafft." Ein Weg dahin sei die nachhaltige Nutzung bestehender Sportstätten. "Man muss auch über Spiele in mehreren Regionen nachdenken, um den olympischen Gedanken ins ganze Land zu tragen und darüber hinaus ein Mehr für den Breiten- und den Spitzensport zu schaffen", sagt die Grünen-Politikerin.

Auch andere Politiker unterstützen das Konzept, Spiele nicht nur in einer Stadt auszutragen, sondern sie auf bestehende Stadien im ganzen Land zu verteilen. Frank Ullrich jedenfalls würde eine solche überregionale Bewerbung für den Zeitraum 2030 bis 2040 bevorzugen. "Viele unserer Bundesländer verfügen über eine gute Sportstätteninfrastruktur", sagt er. Ob das Internationale Olympische Komitee aber solche landesweiten Spiele etwa unter dem Titel "Deutschland 2036" attraktiv findet? Das ist eine andere Frage.

Karla Borger: Bewerbung darf keine Nebelkerze sein

Dem Deutschlandfunk zufolge gab es bereits Gespräche des DOSB mit möglichen Ausrichtern wie Hamburg, München, der Rhein-Ruhr-Region oder auch einer Privatinitiative in Thüringen. Vor überzogenen Erwartungen warnt allerdings Karla Borger, Präsidentin von Athleten Deutschland, der unabhängigen Vertretung von Kaderathletinnen und -athleten. "In die Bewerbungsphase und die Ausrichtungen fließt viel Geld und Aufmerksamkeit. Dem stehen viele Herausforderungen und Investitionsbedarfe im deutschen Sportsystem gegenüber", sagt die Beachvolleyball-Nationalspielerin unserer Redaktion.

Es gebe einen Investitionsstau in Milliardenhöhe bei der Sanierung von Sportstätten, massive Nachwuchsprobleme im Spitzensport und einen unzureichenden Schutz von Athletinnen und Athleten vor Gewalt oder Missbrauch. "Ich habe Sorge, dass eine Olympiabewerbung diese Defizite im System in den Hintergrund rücken lässt und wie eine Nebelkerze wirken könnte", so Borger. "Ich bin deshalb der Meinung: Der DOSB sollte das Thema Olympiabewerbung nur angehen, wenn er sich sicher ist, alles auf einmal zu schaffen. Das ist eine Mammutaufgabe."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Gesa Krause
  • Stellungnahmen von Karla Borger, Philipp Hartewig, Stephan Mayer, Frank Ullrich und Tina Winklmann
  • bundestag.de: Abgeordnete beraten 15. Sportbericht der Bundes­regierung
  • dlf.de: DOSB plant neue Bewerbung - Olympische Spiele sollen nach Deutschland kommen
  • Pressemitteilung DOSB: DOSB-Präsidium für 4 Jahre gewählt und wegweisende Beschlüsse für den Sport getroffen
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