Zweieinhalb Jahre nach seinem Abschied meldet sich der erfolgreichste deutsche Fußballer in der Nationalmannschaft zurück: Auf Wunsch des Bundestrainers Julian Nagelsmann spielt Toni Kroos wieder für Deutschland. Kann der 34-Jährige der DFB-Elf tatsächlich helfen? Was würde das für andere Spieler bedeuten?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Victoria Kunzmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach 106 Länderspielen und 17 Toren im Deutschland-Trikot war für Toni Kroos im Sommer 2021 Schluss. Bis jetzt. Toni Kroos ist zurück in der Nationalmannschaft und soll ein Erfolgsfaktor bei der Heim-EM 2024 werden. Fast drei Jahre war der Mittelfeldroutinier raus, hat sich ganz auf die Karriere bei Real Madrid konzentriert, doch Julian Nagelsmann überzeugte ihn – den Weltmeister und fünffachen Champions-League-Sieger – wieder einzusteigen. "Er wird uns guttun mit seiner Erfahrung und Routine", sagte der Bundestrainer dem "Spiegel".

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Kroos’ Rückkehr bedeutet aber auch, dass andere Spieler im ohnehin schon überbesetzten Mittelfeld weichen müssten. Kann der 34-Jährige dem DFB-Team tatsächlich helfen? Und wie?

Stammspieler und Ballverteiler: Kroos ist mehr als "Erfahrung und Routine"

Toni Kroos soll eine bestimmte Funktion im Mittelfeld des DFB-Teams erfüllen: Nagelsmann sieht ihn als "Verbindungsspieler" vor, wie er dem "Spiegel" sagte. Damit meint er, dass Kroos derjenige ist, der nach der Abwehr die Pässe annimmt und verteilt. Einer, der seine Position hält, der anspielbar ist für die Verteidigung und für die offensiveren Spieler vor ihm. Zuletzt hatte keine der etablierten Kräfte restlos überzeugen können. Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan, Leon Goretzka – sie alle drängen mehr nach vorn. Der taktische Plan des Bundestrainers soll mit dem Real-Star also besser aufgehen.

Auch Innenverteidigerkollege Antonio Rüdiger verwies auf Kroos‘ sportliche Qualität: "Es ist eine Heim-EM, wir wollen die besten Spieler dabeihaben, und ich sehe ihn als einen unserer besten Deutschen, weil er im Moment auch einer der besten Spieler von Real Madrid ist." Kroos ist noch immer Stammspieler bei Real Madrid, glänzte in der aktuellen Saison bereits mit sieben Vorlagen in der Liga, ist etablierter Stabilisator und Ballverteiler vor der Viererkette.

Krisenerprobt und unerschrocken: Einer für alle Lebenslagen

Hinzu kommen die von Nagelsmann als Begründung angesprochenen Soft Skills "Erfahrung und Routine", die den ehemaligen Profi von Bayer Leverkusen und Bayern München auszeichnen – intern und extern. Kroos ist, etwa durch die WM 2018, die EM 2021 und Rückschläge in seinen Vereinen, krisenerprobt, weiß, wie schwierige Situationen, Niederlagenserien und Umbrüche in der Vergangenheit gemeistert worden sind. Vor allem seine eher ruhige Art kann auf die Mannschaft übergehen.

Darüber hinaus ist der gebürtige Greifswalder ein Globetrotter, der in über hundert Länderspielen und zehn Jahren im Ausland bei Real Madrid mit Spielern aus vielen Nationen bereits auf dem Platz stand – im selben oder im gegnerischen Team. Ein Trumpf, den die Routiniers Thomas Müller und Manuel Neuer etwa nicht mitbringen, da sie nie im Ausland gespielt haben.

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Kontra Kroos: Goretzka, Kimmich, Gündogan – wer leidet unter der Rückkehr?

Wenn einer zum Team dazustößt, muss ein anderer weichen – so einfach die mathematische Gleichung, die nicht nur für den Fußball gilt. Hier aber wird spannend sein, wer weichen muss. Der Bundestrainer kündigte schon jetzt im "Spiegel"-Interview personelle Veränderungen zur EM an: "Es wird bestimmt der eine oder andere nicht nominiert werden, von dem viele denken, der sei sicher dabei." Als einer der Streichkandidaten wird schon jetzt Leon Goretzka gehandelt, der seinen Stammplatz nach Leistungsschwankungen im DFB-Team und beim FC Bayern räumte.

Auch Ilkay Gündogan, der zuletzt immer auf der Sechs spielte, könnte durch Kroos‘ Rückkehr weichen und weiter vorn eingesetzt werden. Joshua Kimmich, der sich selbst am liebsten im defensiven oder zentralen Mittelfeld sieht, wird dagegen nach hinten rücken, das kündigte Nagelsmann bereits an ("Er hätte auch rechts hinten gespielt, wenn Kroos nicht zurückgekehrt wäre."). Für Unruhe könnten die personellen Veränderungen allemal führen.

Ein Arbeiter neben Kroos: Wie Nagelsmann spielen könnte

In den vergangenen Länderspielen gegen Österreich, Mexiko und die Türkei setzte der DFB-Coach mal auf ein 4-2-3-1, mal auf ein 4-4-2. In beiden Systemen bräuchte Kroos einen eher defensiv agierenden Nebenmann auf der Sechs, der die Bälle vor der Abwehr und vor Kontern sichert, während Kroos den Aufbau nach vorn einleiten kann.

Ilkay Gündogan, der bei Barcelona ebenfalls eher im zentralen Mittelfeld spielt, ist dafür eher ungeeignet. Auch Joshua Kimmich und Leon Goretzka bieten sich nicht an. Von der physischen Stärke passend wären eher BVB-Kapitän Emre Can und Leverkusens Robert Andrich. Auch Pascal Groß spielte zuletzt häufiger auf dieser Position, für ihn hatte Nagelsmann zuletzt auch ein Sonderlob übrig.

Rückt Ilkay Gündogan weiter nach vorn (im 4-4-2 zum Beispiel neben Jamal Musiala, im 4-2-3-1 könnten es Musiala und Florian Wirtz sein), müsste ein anderer offensiver Mittelfeldspieler weichen. Davon könnten zum Beispiel Thomas Müller, Leroy Sané oder Kai Havertz betroffen sein – je nach System.

Fest steht: Nicht nur ins Mittelfeld kommt Bewegung

Die Rückkehr von Toni Kroos bedeutet weitere Rotation im Mittelfeld. Noch kann sich keiner sicher sein, einen Stammplatz bei der EM zu erhalten. Bundestrainer Nagelsmann forderte im "Spiegel"-Interview "mehr Mentalität", defensive Absicherung und Spieler, die ackern und arbeiten. Das betrifft alle Spieler.

Der alte, neue Nationalspieler Toni Kroos ist im Januar 34 geworden. Der Bundestrainer setzt auf ihn statt auf (mehr) Jugend und Talentförderung – und auf Absicherung statt Risiko. Damit das mit der erfolgreichen Heim-EM doch noch was wird.


Quellen:

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