Der deutschen Nationalmannschaft gelingt dank einiger gravierender Anpassungen ein kleiner Befreiungsschlag. Das nimmt etwas Druck vom Kessel – die Probleme dürften allein damit aber noch nicht gelöst sein.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Frankreich war zu Gast, die beste Mannschaft der letzten Jahre, der Vizeweltmeister, durchsetzt mit reiner Weltklasse auf allen Positionen. Und doch fanden nur 60.486 Zuschauer ins Dortmunder Westfalenstadion – vor ein paar Jahren noch undenkbar bei einer Partie zwischen Deutschland und Frankreich in Deutschlands mächtigstem Stadion. Aber die letzten Wochen, Monate, Jahre haben eben Spuren hinterlassen.

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Immerhin: Die deutsche Nationalmannschaft hat ihre Fans in Dortmund und jene zu Hause auf dem Sofa wieder ein bisschen glücklich gemacht. Nach den zuletzt gruseligen Leistungen und entsprechenden Ergebnissen durfte sich die deutsche Fußballseele beim 2:1 gegen die Franzosen gestreichelt fühlen. Von allen Problemen und Zweifeln befreit ist sie deshalb aber noch lange nicht.

Völler: "Es tut einfach gut"

Auch deshalb blieben die Verantwortlichen vergleichsweise sachlich und nüchtern in der Analyse der 90 Minuten, die so viel mehr waren als "nur" ein Testspiel. "Es tut einfach gut", sagte Rudi Völler, der sich 19 Jahre nach seinem letzten Spiel als Bundestrainer just in dieser Funktion erneut auf der Bank wiederfand.

"Rudi Nationale" und seine von der U-20-Nationalmannschaft entliehenen Mitstreiter Hannes Wolf und Sandro Wagner wählten einen eher pragmatischen Ansatz gegen "eine Weltklassemannschaft", wie Völler nicht müde wurde zu betonen. Deutschland verteidigte mit klaren zwei Viererketten und deutlich tiefer, als man das in den letzten Partien gewohnt war.

Und nicht nur das stand im krassen Gegensatz zu den vielen Experimenten und Versuchsanordnungen unter Ex-Bundestrainer Hansi Flick, der es zuletzt sogar mit völlig neuen Inhalten und Abläufen versucht hatte. Neun Monate und nur noch eine Handvoll Spiele vor dem Auftakt in die Heim-EM im nächsten Sommer und angesichts der angespannten Lage im Fußballland wollte Völler davon aber nichts mehr wissen.

Guter Ansatz, schönes Führungstor

Gegen Frankreich mit seinen herausragenden Fußballern war das bestimmt ein vernünftiger Ansatz, die frühe Führung spielte der DFB-Auswahl da natürlich auch in die Karten. Beim Spielzug, den Thomas Müller mit einem strammen Volleyschuss veredelte, zeigte sich die ganze Bandbreite deutscher Tugenden.

Ilkay Gündogan eroberte den Ball mit einer Doppelgrätsche und spitzelte ihn im Liegen weiter, Emre Can löste sich mit Geschick und Glück aus dem Druck. Florian Wirtz und Leroy Sane behaupteten den Ball in Unterzahl am rechten Flügel, wieder über Gündogan erfolgte die Verlagerung auf die linke Seite. Ein Doppelpass von Benjamin Henrichs und Serge Gnabry, und schon war die Mannschaft im Rücken der gegnerischen Abwehr.

Dieser Angriff, von der Balleroberung bis zum Abschluss, war eine perfekte Symbiose aus Aggressivität, Leidenschaft, Spielwitz und Überzeugung – alles Attribute, die man in den letzten Partien meist vergeblich suchte.

Mehr Balance und Struktur im deutschen Spiel

Zur Wahrheit gehörte dann aber auch: Es sollte für sehr lange Zeit die einzige gelungene Offensivaktion der deutschen Mannschaft bleiben. Das kompakte Zentrum erwehrte sich der französischen Angriffe, Deutschland wollte bewusst deutlich weniger Ballbesitz als gewohnt und versuchte sich stattdessen an einer geordneten und konzentrierten Defensivarbeit.

"Wir wollten vor allen Dingen eine Struktur haben, die relativ einfach ist. Das haben wir versucht die letzten Tage; haben versucht, die wichtigsten Punkte herauszusuchen", sagte Torhüter Marc-Andre ter Stegen. Der war wenige Tage zuvor noch von seinen Vorderleuten im Stich gelassen worden, verhinderte gegen Japan mit etlichen tollen Paraden ein noch schlimmeres Debakel – und blieb gegen die deutlich höher eingeschätzten Franzosen nun fast ohne Beschäftigung.

Ein Indiz dafür, dass die Arbeit gegen den Ball besser war und das deutsche Spiel mehr Balance und – wie man so schön sagt – Statik hatte als in den Partien zuletzt. Das goutierten dann auch die deutschen Fans, die einen Anflug von EM-Euphorie versprühten und selbst kleinste Aktionen wie einen gelungenen Zweikampf mit lautem Beifall bedachten.

Müller mahnt: "Nicht überbewerten"

Nach drei Niederlagen in Folge und dem Chaos der letzten Tage war das Erfolgserlebnis gegen den Vizeweltmeister von überragender Bedeutung, auch wenn man sich mit Frankreich "nur" zu einem Testspiel traf. "Am Ende haben wir es am Platz gut umgesetzt, waren fleißig und haben uns dann auch in den richtigen Momenten belohnt. So macht es natürlich Spaß, wenn du gegen Frankreich gewinnst", sagte Torschütze Thomas Müller.

Müller ist lange genug dabei um zu wissen, dass ein klarer Blick auf die Dinge nun von größter Bedeutung ist. Und dass ein einziger Sieg noch lange keine Trendwende bedeutet. "Das brauchen wir natürlich nicht überbewerten. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber es war natürlich ein kleiner emotionaler Befreiungsschlag."

Den haben sich die Spieler verdient und harren nun bei ihren Klubmannschaften wieder der Dinge, die da bald passieren sollen. Die Debatten um die Neubesetzung des Trainerpostens werden in den kommenden Tagen nur noch lauter und aufgeregter, bis zur Amerika-Reise der Mannschaft im Oktober will der DFB eine Lösung präsentieren.

Rudi Völler wird diese Lösung nicht sein, das hat Völler selbst am Dienstagabend noch einmal bekräftigt.

Verwendete Quellen:

  • kicker.de: Völler: "Es tut einfach gut"
  • kicker.de: "Kleiner, emotionaler Befreiungsschlag": Müller hält nach "verrückten Tagen" den Ball flach
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