Der FC Bayern München verpasst den Einzug in das Champions-League-Finale denkbar unglücklich. Die Niederlage von Madrid ließe sich mit einem Fehler von Manuel Neuer und einer unglücklichen Schiedsrichter-Entscheidung begründen. Doch in Wahrheit steckt mehr dahinter.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Oliver Jensen sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Manuel Neuer wirkte gefasst, als er sich nach dem bitteren Ausscheiden im Halbfinale der Champions League bei Real Madrid den Fragen stellte. Und doch war unübersehbar, wie sehr ihn die Niederlage schmerzt. "Dass man so in der Schlussphase ausscheidet, ist extrem bitter. Wir waren schon mit einem Schritt in London, haben uns im Finale gesehen. Da fehlen einem echt die Worte", sagte er gegenüber dem das Halbfinal-Rückspiel übertragenden Streaming-Dienst DAZN.

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Joselu nutzt Manuel Neuers Fehler

Dem Torwart unterlief der entscheidende Fehler. Der FC Bayern führte bis zur 88. Minute mit 1:0, ehe Neuer den harmlos wirkenden Schuss von Vinicius Junior nicht festhalten konnte. Der eingewechselte Joselu traf dadurch zum 1:1.

"Ausgerechnet Manu, der bis dahin überragend gehalten hat, macht einen Fehler, den er in 100 Jahren nicht macht", bedauerte Tuchel. "Wenn es jemanden gibt, der das nicht verdient hat, dann Manu."

"Ich habe den Ball anders erwartet."

Bayern-Torwart Manuel Neuer erklärt seinen Fauxpas bei Real Madrid

Neuer selbst sagte über seinen Fehlgriff: "Das ist extrem bitter für mich. Ich muss sagen, dass ich den Ball anders erwartet habe - eher Richtung Brustkorb. Er ist dann einen Tick höher gegangen." Dadurch konnte er den Ball nicht richtig greifen. "Dieses 1:1 ist brutal", so Neuer.

Der FC Bayern war danach geschockt und ließ dem Gegner zu viel Raum, sodass erneut Joselu in der Nachspielzeit zum Endstand von 2:1 traf. Nach dem 2:2 vom Hinspiel war dies für Madrid gleichbedeutend mit dem Finaleinzug. Thomas Müller sagte danach: "Die Enttäuschung, der Stachel sitzt - auch wenn wir alles auf dem Platz gelassen und viel investiert haben. Es ist hart."

Alphonso Davies trifft im 40. Champions-League-Spiel erstmals

Der FC Bayern hatte früh im Spiel den ersten Rückschlag zu verkraften. Bereits nach 28 Minuten musste Serge Gnabry verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Seinen Part auf dem linken Flügel übernahm Alphonso Davies, der eigentlich ein Linksverteidiger ist.
Doch ausgerechnet er entwickelte auf dem linken Flügel viel Zug zum Tor, hatte bereits kurz nach der Halbzeit eine Großchance und traf in der 68. Minute mit einer starken Einzelaktion zum 1:0. Verrückt: Dies war sein erstes Champions-League-Tor im 40. Spiel. Es hätte der Treffer zum Finale sein können, hätte der Fehler von Neuer nicht die späte Niederlage eingeleitet.

Besonders bitter: In der Nachspielzeit wurde ein vielversprechender Angriff des FC Bayern vorschnell wegen Abseits abgepfiffen - offenbar eine Fehlentscheidung. Als Matthijs de Ligt den Ball ins Tor schoss, war das Spiel bereits unterbrochen.

"Das war eine riesige Fehlentscheidung."

DAZN-Experte Michael Ballack zum vermeintlichen Ausgleichstor des FC Bayern

DAZN-Experte Michael Ballack kritisierte den Unparteiischen: "Er muss die Aktion laufen lassen und kann das danach überprüfen lassen. Das war eine riesige Fehlentscheidung." Sein Fazit zum Sieg von Real lautete daher: "Es ist nicht unverdient, aber höchst umstritten."

De Ligt war ebenfalls fassungslos, als er die Szene noch einmal zu sehen bekam. "Ich kann das nicht verstehen. Wir haben die Regel, dass man erst einmal weiterspielen lässt, auch wenn es Abseits ist. Das ist nicht klar Abseits, also musst du durchspielen lassen." Offenbar war dem Unparteiischen bewusst, einen Fehler gemacht zu haben. "Er hat dann auch Entschuldigung gesagt", verriet De Ligt. Tuchel nannte die Entscheidung "ein Desaster".

Toni Kroos lässt keinen Zweifel an Reals verdientem Sieg

Doch es wäre zu einfach, die Niederlage lediglich auf einen unglücklichen Spielverlauf zurückzuführen. Real-Mittelfeldspieler Toni Kroos sagte völlig zu Recht: "Wir waren auf jeden Fall die deutlich bessere Mannschaft. Im Hinspiel war es ausgeglichen, vielleicht mit kleinen Vorteilen Richtung München. Aber ich glaube, heute waren wir über 90 Minuten die bessere Mannschaft."

Die Zahlen unterstützen diese These: Madrid hatte 57 Prozent Ballbesitz und ein Torschussverhältnis von 19:8. Ballack sagte über die Leistung des FC Bayern: "Sie haben vorne nicht so frisch gewirkt. Das ging bei Leroy Sané los, der früh im Spiel mit seiner Körpersprache anfing zu hadern. Man merkt, dass er auch nicht 100-prozentig fit ist. Harry Kane hatte auch Probleme, ins Spiel zu finden. Somit hing alles an Jamal Musiala, der für Lösungen sorgen musste."

Michael Ballack erwartete mehr von Laimer und Pavlović

Die dahinter positionierten defensiven Mittelfeldspieler Konrad Laimer und Aleksandar Pavlović hätten zwar "ihre Sache in ihrem Rahmen ordentlich gemacht. Aber es kam relativ wenig nach vorne. Von den Außen kam auch nicht viel. Daher war das in der ersten Halbzeit überschaubar. In der zweiten Halbzeit waren sie besser im Spiel."

DAZN-Experte Michael Ballack bei Laura Wontorra in Madrid
Experte Michael Ballack (l.) und Moderatorin Laura Wontorra (r.) analysieren am Abend des 8. Mai 2024 das Champions-League-Aus des FC Bayern München bei Real Madrid für den Streamingdienst DAZN. © IMAGO/Eibner/Jörg Nieberga

Durch die Niederlage ist nun sicher, dass der FC Bayern die erste titellose Saison seit 2011/12 durchlebt. Ballack weiß: "Wenn Du beim FC Bayern ohne Titel bleibst, folgt meistens eine ordentliche und laute Analyse, bei der jeder mitdiskutieren will."

Umso wichtiger sei es, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden - nicht nur bei der Auswahl des zukünftigen Trainers. "Sie müssen auch an den Kader ran", fordert Ballack. "Wir haben heute gesehen, dass nicht alle Spieler auf dem Platz fit waren. Sie hatten unheimlich viele Verletzte. Es sind tendenziell immer wieder dieselben Spieler, die Probleme haben. Da muss man sich hinterfragen und vielleicht eine Veränderung herbeiführen."

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Zu der These von Ballack passt, dass auch Tuchel nach Spielende mit der Personalsituation haderte: "Wir sind mit vier offensiven Spielern (Sane, Gnabry, Musiala, Kane, Anm. d. Red.) gestartet und am Ende müssen wir viermal wechseln und alle Offensivspieler müssen vom Feld. Das ist einfach zu viel."

Der Frust, der sich offenbar über die gesamte verletzungsgeplagte Saison angestaut hat, brach regelrecht aus Tuchel heraus: "Wir haben keinen einzigen Wechsel, den wir aktiv vornehmen. Wir reagieren auf Verletzungen, die ganze Saison schon. Wir sind nur am Reagieren, wir sind nie am Agieren mit unseren Wechseln. Wir können nie das Spiel verändern, so wie wir das wollen. Das ist dann einfach zu viel." Und es sind Gründe dafür, dass der FC Bayern auf eine enttäuschende Saison 2023/2024 zurückblicken wird.

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