Die Partie zwischen dem BVB und Bayern München bringt der Unparteiische Manuel Gräfe mit großer Souveränität und Gelassenheit über die Bühne. In allen spielentscheidenden Szenen liegt er richtig, was alles andere als selbstverständlich ist. Ein Loblied auf jemanden, der sich auf Augenhöhe mit den Stars befindet.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Der beste Schiedsrichter, so will es jedenfalls eine alte Fußballweisheit, ist derjenige, den man während des Spiels gar nicht richtig sieht, weil er kaum einmal in Erscheinung tritt. Da ist zumindest etwas dran, auch wenn der Unparteiische es gar nicht vermeiden kann, dass es auf dem Platz zu strittigen Situationen kommt, bei denen er es beim besten Willen nicht allen Beteiligten recht machen kann.

In jedem Fall kann man wohl sagen: Wenn nach dem Spiel selbst der Verlierer nicht über den Referee meckert, dürfte dieser viel richtig gemacht haben. So wie Manuel Gräfe im Topspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München (3:2) am Samstagabend.

Schon zum sechsten Mal durfte der Sportwissenschaftler diese Begegnung in der Bundesliga oder dem DFB-Pokal leiten. Bei der Schiedsrichterkommission des DFB weiß man genau, was man an ihm hat und welch starke Persönlichkeit er ist.

Der 45-jährige Berliner, der seit 2004 in der Bundesliga pfeift, kennt Klubs und Spieler ganz genau. Die Markenzeichen des 1,96 Meter großen Schiedsrichters sind seine bewusst zurückhaltende Gestik und seine schier unerschütterliche Ruhe, die er auf die Akteure zu übertragen versucht.

In Dortmund ist Gräfe angemessen großzügig. Er lässt viel laufen und greift nur bei klaren Vergehen ein. Diese Vorgabe nehmen beide Mannschaften gerne an. Als Robert Lewandowski nach elf Minuten im Zweikampf mit Julian Weigl im Strafraum des BVB zu Boden geht, ist der Unparteiische günstig positioniert und lässt zu Recht weiterspielen.

Dem protestierenden Bayern-Stürmer zeigt er in der nächsten Unterbrechung an, warum es keinen Elfmeter gegeben hat: Der Kontakt war minimal und nicht der Grund für Lewandowskis Sturz.

Richtungsweisende erste Gelbe Karten

Auch nach 27 Minuten, die Bayern führen mittlerweile mit 1:0, bleibt Gräfes Pfeife berechtigterweise stumm: Im eigenen Strafraum berührt Dan-Axel Zagadou den Ball zwar kurz mit dem Arm, doch der ist am Körper angelegt. Außerdem ist der Dortmunder Verteidiger unmittelbar zuvor von Lewandowski ein wenig geschubst worden, was erst zu dem Handspiel geführt hat.

Sehr gut ist zwei Minuten später auch der Einstieg des Referees in die persönlichen Strafen. Der ist besonders wichtig, weil von ihm oft eine Signalwirkung für das gesamte Spiel ausgeht.

Julian Weigl bringt nach einem Ballverlust im Mittelfeld rücksichtslos Javi Martínez zu Fall, Gräfe wartet kurz ab und lässt dann den Vorteil laufen, weil sich für die Münchner eine gute Angriffsmöglichkeit ergibt. Die Gelbe Karte zeigt er in der nächsten Spielunterbrechung.

Der gleiche Ablauf ergibt sich in der 36. Minute, als Manuel Akanji etwas zu spät kommt und Lewandowski abräumt: Die Bayern erarbeiten sich trotzdem den Vorteil, Gräfe zögert deshalb die Verwarnung hinaus, bis der Ball aus dem Spiel ist.

Zwei Minuten danach hätte mit Mats Hummels auch ein Münchner die Gelbe Karte sehen müssen. Doch als der Nationalspieler kurz vor dem eigenen Strafraum bei einer Grätsche das Sprunggelenk von Mario Götze trifft, belässt es Gräfe bei einem Freistoß. Kurz darauf übersieht er bei einem Luftduell ein Foulspiel von Akanji an Martínez.

Es sind zwei der sehr wenigen Fehler des Unparteiischen. Dafür liegen Manuel Gräfe und seine Assistenten nach der Pause in allen spielrelevanten Szenen mit ihren Entscheidungen richtig, obwohl diese alles andere als leicht zu treffen sind.

Alle Schlüsselszenen richtig beurteilt

So wie zum Beispiel kurz nach dem Wiederanpfiff, als der Münchner Torwart Manuel Neuer bei einem Pass in den Strafraum auf Marco Reus einen kurzen Moment mit dem Hinauslaufen zögert, dadurch den Ball, den Reus an ihm vorbeilegt, im Fallen mit den Händen knapp verfehlt und den Dortmunder Kapitän schließlich zu Fall bringt.

Gräfe zeigt richtigerweise sofort auf den Elfmeterpunkt, Reus nutzt die Chance zum 1:1. Auch dass Neuer keine Karte sieht, ist korrekt. Denn eine "Notbremse" liegt nicht vor, sondern lediglich die Verhinderung eines aussichtsreichen Angriffs.

Diese wird, wenn sie im Strafraum geschieht und der Ball dabei gespielt werden konnte und sollte, seit der Saison 2017/18 nicht mehr mit einer Verwarnung bestraft.

Anschließend werden Gräfe und sein Team immer wieder mit dem Thema Abseits zu tun haben, vor allem bei den drei Toren, die noch fallen. Stets liegen die Unparteiischen dabei richtig.

Als die Gäste erneut durch Lewandowski in Führung gehen, befindet sich Vorlagengeber Kimmich beim Zuspiel von Serge Gnabry nicht im Abseits, auch wenn nur der Dortmunder Torwart Marwin Hitz der Torlinie näher ist als er.

Denn Zagadou, der kurz zuvor bei einem Zweikampf mit Thomas Müller hinter diese Linie geraten ist, wird als Verteidiger in dieser Situation laut den Regeln gewertet, als stünde er auf der Torlinie. Damit ist das Tor regulär.

Auch beim Dortmunder Ausgleich zum 2:2 geht alles mit rechten Dingen zu. Paco Alcácer ist bei Reus‘ Torschuss zwar im Abseits, doch greift er weder ins Spiel ein noch behindert er die Sicht von Manuel Neuer auf den Ball.

Souverän, sicher und akzeptiert

Ebenfalls korrekt verhält sich der Schiedsrichter-Assistent vor dem Siegtreffer des BVB, als er beim Pass von Axel Witsel auf Alcácer, der ganz allein auf Manuel Neuer zulaufen kann und den Ball schließlich in dessen Gehäuse unterbringt, nicht die Fahne hebt.

Zwei weiteren Toren, beide durch Robert Lewandowski für die Bayern erzielt, wird wegen Abseits die Anerkennung versagt. Auch hier machen die Referees alles richtig.

Gleich sechsmal sind sie also nach der Halbzeitpause gefordert, ein mögliches Abseits im Zusammenhang mit einer Torerzielung oder ein potenziell Elfmeter-würdiges Strafraumvergehen zu beurteilen. Sechsmal hat die Entscheidung gestimmt.

Sicherlich: Der Video-Assistent hätte in all diesen Fällen bei einem Fehler eingreifen können. Aber er musste es gar nicht, weil Manuel Gräfe und seine Helfer an den Seitenlinien diese kniffligen Situationen mit großer Sicherheit auch ohne seine Unterstützung richtig lösten.

Das Gespann ist ausgezeichnet aufeinander abgestimmt gewesen und hat ein intensives Spiel mit zahlreichen Herausforderungen vorzüglich gemeistert. Manuel Gräfe hat mit großer Ruhe amtiert und absolute Souveränität ausgestrahlt.

Das ist ihm auch deshalb so gut gelungen, weil er sich nicht nur wegen seiner Körpergröße auf Augenhöhe mit den Superstars befindet. Bei ihm akzeptieren diese auch mal eine fragwürdige oder falsche Entscheidung ohne nennenswerten Protest.

Das Spitzenspiel, das seinen Namen von der ersten bis zur letzten Minute verdiente, hatte auch einen Spitzenschiedsrichter. Und das war gut so.

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