Schaut man in einer ruhigen Minute auf das Jahr 2023 des FC Bayern zurück, muss man sich schon mal kurz am Kopf kratzen. Die Münchner erlebten mit dem erzwungenen Abgang der gesamten sportlichen Leitung, einer emotionalen Last-Minute-Meisterschaft und dem 100-Millionen-Transfer von Harry Kane ein Jahr für die Geschichtsbücher.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es spricht für die Stabilität des Klubs, dass er nach einem ziemlich wilden Jahr und gewaltigen personellen Umbrüchen Ende 2023 ziemlich gefestigt dasteht und durchaus optimistisch in die Zukunft schauen kann.

Mehr News zum FC Bayern München

Der FC Bayern hat im abgelaufenen Jahr seinen Trainer gewechselt, seinen Vorstandsvorsitzenden und Sportvorstand freigestellt, einen emotionalen Titel gewonnen, den wohl größten Transfer der Vereinsgeschichte gestemmt, die Rückkehr von Uli Hoeneß ins Tagesgeschäft bestaunt und im DFB-Pokal gegen den 1. FC Saarbrücken die wohl peinlichste Niederlage seit rund 30 Jahren kassiert. Ganz schön viel für so ein Jahr. Und wenn man am Ende draufschaut, auch viel zu viel FC Hollywood.

Weitere Fußball-News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klicken Sie auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.

Der Tiefpunkt: Die Nagelsmann-Entlassung

Nach einer völlig unnötigen 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen Mitte März, mit der die Münchner die Tabellenführung in der Bundesliga abgaben, verloren Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic die Nerven. Julian Nagelsmann, der nicht mal zwei Jahre zuvor für viel Geld als langfristige Dauerlösung auf der Trainerposition geholt wurde, musste gehen und Thomas Tuchel übernahm. Nun ist ein Trainerwechsel von Nagelsmann zum anerkannten Weltklassetrainer Tuchel sportlich kaum zu kritisieren, doch die Umstände des Wechsels offenbarten tiefergehende Probleme in der Führung des Rekordmeisters, die schlussendlich wohl auch das Ende der Ära Kahn/Salihamidzic beim FC Bayern einläuteten.

Die Verhandlungen mit Tuchel und das beschlossene Aus für Nagelsmann sickerten durch, bevor Nagelsmann vollständig informiert war. Der FC Bayern war tagelang in der Defensive. Die vorgetragenen Gründe für den Trainerwechsel diffus und sportlich kaum nachvollziehbar. Die Münchner gaben im März ein richtig schlechtes Bild ab.

Zumal die schwankenden Leistungen der Mannschaft, die vor allem Nagelsmann angelastet wurden, auch unter Tuchel weitergingen. Frühes Aus im DFB-Pokal gegen Freiburg, Schluss in der Champions League gegen den späteren Sieger Manchester City und in der Bundesliga servierte man Borussia Dortmund die erste Meisterschaft seit elf Jahren praktisch auf dem Silbertablett. Dass es am Ende in der Liga doch nochmal anders kam, passte dann irgendwie ins Bild eines wilden Jahres.

Der Höhepunkt: Musialas Schuss ins Glück

Eigentlich war die Geschichte geschrieben. Borussia Dortmund verspielt am letzten Spieltag zu Hause gegen Mainz 05 die sicher geglaubte Meisterschaft aus eigener Kraft und Bayern schafft es nicht, diesen Matchball zu verwandeln. Bis zur 89. Minute des 34. Spieltags in Köln sah es tatsächlich so aus.

Dann drehte sich Musiala am gegnerischen Strafraum schlangenartig um seinen Gegenspieler herum, wie nur er es kann und traf aus 17 Metern ins rechte untere Eck zum siegbringenden 2:1. Ekstase. Es war die emotionalste Münchner Meisterschaft seit über 20 Jahren. Der ganz große Höhepunkt des Jahres 2023, der in der Rückschau vieles Negative überdeckt und dem Verein richtig gutgetan hat.

Der Trainerwechsel hatte so doch noch einen Sinn gehabt und selbst die absurde Situation, dass der Klub nur wenige Minuten nach Schlusspfiff in Köln das Aus von CEO Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic verkündete, konnte diesem besonderen Moment wenig anhaben.

Der Weltstar: Harry Kane gibt dem Klub neues Ansehen

Es ist kaum zu unterschätzen, wie wichtig die Verpflichtung von Harry Kane für die Entwicklung des Klubs ist. Mit Kane (30) kam der Kapitän der englischen Nationalmannschaft für rund 100 Millionen Euro nach München. Das ist in Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters nicht ohne Risiko, doch inzwischen ist klar, dass das zwischenzeitlich eingerichtete Münchner Transferkomitee um Ehrenpräsident Uli Hoeneß und dem neuen Vorstandschef Jan-Christian Dreesen richtig gehandelt hat.

Kane gab dem Klub vom ersten Tag an eine neue Seriosität und Professionalität. Das gilt auf dem Platz genau wie neben dem Platz. 21 Bundesligatore in 15 Spielen übertreffen selbst die optimistischsten Prognosen. Schon jetzt ist Kane verlängerter Arm von Thomas Tuchel auf dem Feld. Die Mannschaft richtet sich an ihm auf und nach außen ist der Brite mit seiner Mischung aus Höflichkeit, Bescheidenheit und Entschlossenheit ein optimaler Repräsentant des Klubs.

Kane war die beste Entscheidung der Bayern in diesem Jahr.

Die Hoffnungsträger: Tel, Krätzig und Pavlovic als Mutmacher

Seit Jahren versuchen die Bayern wieder verstärkt, Talente aus der eigenen Jugend in den Profikader zu integrieren. Mit der Verpflichtung von Sportdirektor Christoph Freund hat diese Aufgabe noch einmal eine höhere Priorität gewonnen. Lahm, Schweinsteiger, Alaba, Badstuber, Müller, Musiala heißen die positiven Beispiele der vergangenen Jahre. Danach wurde es dünn. Es ist das ständige Dilemma für einen Bayern-Coach, der einerseits immer und sofort erfolgreich sein muss und andererseits jungen Spielern Zeit zum Lernen geben müsste, um sie weiterzuentwickeln.

Es könnte sein, dass das Jahr 2023 in dieser Frage einmal als großer Schritt nach vorne gelten könnte. Denn mit Mathys Tel (18), Aleksander Pavlovic (19) und Frans Krätzig (20) spielte sich ein junges Trio in diesem Jahr so richtig in den Vordergrund. Tel, für den die Münchner bereits in jungen Jahren viel Geld bezahlten, ist sicherlich am weitesten und hat schon wichtige Tore geschossen. Doch gerade Pavlovic, der seit der U7 im Verein kickt und in München geboren ist, überraschte in seinen drei starken Startelf-Auftritten und wichtigen Minuten im Spitzenspiel in Dortmund viele Beobachter.

Gut möglich, dass der FC Bayern seine Pläne für das nun anstehende Wintertransferfenster noch einmal überdenkt und der vielversprechenden Jugend weiter eine Chance gibt.

Für 2024 ist der Auftrag klar: mehr Konstanz auf dem Platz. Weniger FC Hollywood. Das braucht es auch für ein erfolgreicheres Jahr 2024, denn mit Bayer Leverkusen ist auch national in der Bundesliga ein Konkurrent erwachsen, der mehr als ernst zu nehmen ist. Unnötige Nebenkriegsschauplätze sind schon deshalb in München nicht erlaubt.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.