• Mit Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz stehen die Kanzlerkandidaten von Grünen, CDU/CSU und SPD fest.
  • In aktuellen Umfragen liegt die SPD hinter den beiden Konkurrenten deutlich zurück.
  • Wahlkampfexperte Georg Brockmeyer erklärt, wie die Sozialdemokraten den Rückstand aufholen könnten.
Ein Interview

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Herr Brockmeyer, gegen wen hätten Sie an der Stelle von SPD und Grünen lieber Wahlkampf gemacht: Armin Laschet oder Markus Söder?

Georg Brockmeyer: Nach dem ganzen Hauen und Stechen geht Laschet sicherlich geschwächt in den Wahlkampf und ich denke, er ist auf den ersten Blick der angenehmere Gegner. Unterschätzen sollte man ihn trotzdem nicht. Diesen Fehler hat die SPD im Landtagswahlkampf 2017 in Nordrhein-Westfalen gemacht – das hat sie nicht nur das Amt des Ministerpräsidenten, sondern auch die Regierungsbeteiligung gekostet.

Auch CSU-Chef Markus Söder dürfte die Wehrhaftigkeit und den Willen Armin Laschets unterschätzt haben.

Da haben Sie wohl recht. Und damit das der deutschen Sozialdemokratie nicht auch passiert, muss sie sich mit der eigenen Identität beschäftigen.

Wie meinen Sie das?

Ich spreche von der Sozialdemokratisierung der CDU. Wenn man sich an den Wahlkampf von 2005 erinnert, war Angela Merkel damals noch konservativ bis neoliberal unterwegs. Heute ist sie eher eine sozialdemokratische Kanzlerin mit CDU-Parteibuch. Merkel hat es über die Jahre geschafft, Positionen der SPD zu übernehmen, damit die CDU massiv zu verändern und die SPD in der öffentlichen Wahrnehmung fast überflüssig erscheinen zu lassen. Laschet steht für eine Fortsetzung von Merkels Politik, er ist nicht zufällig CDU-Parteivorsitzender geworden. Er ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil von Friedrich Merz.

Was bedeutet das für die SPD?

Erstmal ist es ein großes Problem, denn der Merkel-CDU hatte die SPD schon bei den vergangenen Bundestagswahlen wenig entgegenzusetzen. Auch deshalb gibt es in der SPD nicht wenige, die sagen: Wäre es doch Söder geworden, da hätten wir uns klar abgrenzen können.

Mit einem Kanzlerkandidaten Markus Söder wäre der Wahlkampf polarisierender geworden?

Davon bin ich überzeugt. Wobei die Art, wie Söder Politik macht, für seine Gegner sehr gefährlich sein kann. Er ist im besten Wortsinn situationselastisch: Was heute gilt, kann morgen ganz anders sein - aber er verkauft jede neue Position trotzdem so, als hätte er nie eine andere gehabt. Das dürfte die CDU in diesem Wahlkampf noch einige Male zu spüren bekommen.

Zurück zur SPD: Sollte Sie den geschwächten Kandidaten Laschet in ihrer Kampagne frontal angreifen?

Natürlich kann die Sozialdemokratie im Moment noch einmal herausstellen, was für eine Bierzeltschlägerei es gebraucht hat, bis die Union überhaupt einen Kanzlerkandidaten gefunden hatte. Darüber hinaus aber sollte sie Laschet gar nicht so sehr in den Fokus nehmen. Das würde ihn nur größer machen, als er es aktuell ist. Der Union ist am besten mit ihren Versäumnissen beizukommen.

Woran denken Sie?

Gerade ist der Mietendeckel quasi gescheitert. Das in vielen Gegenden Deutschlands unfassbar teure Wohnen ist definitiv ein zentrales Wahlkampfthema. Olaf Scholz hat hier eine hohe Glaubwürdigkeit, weil er als Erster Bürgermeister Hamburgs viel in der Richtung bewegt hat. Dazu kommt als Kampagnenthema die mangelhafte Digitalisierung Deutschlands, die ist ja gerade im Bildungsbereich in der Corona-Pandemie eindeutig geworden. Als SPD würde ich der Union ab jetzt einen Gesetzesvorschlag nach dem anderen hinknallen und sie vor mir hertreiben. Die SPD braucht klare und zugespitzte Botschaften, denn die fehlen der Union und auch Armin Laschet.

Ist Laschet für die SPD dennoch gefährlich, da mit ihm eine schwarz-grüne Koalition nach der Wahl wahrscheinlicher geworden ist?

Naja, der Machtpolitiker Söder hätte bei Bedarf sicher auch einen Weg gefunden, die Differenzen mit den Grünen zu überbrücken. Um den Platz im Kanzleramt behalten zu können, macht die Union fast alles.

Dann anders gefragt: SPD-Politiker betonen gern die inhaltliche Nähe zu den Grünen. Sollte die Partei das auch im Wahlkampf tun, um zum Beispiel den Weg für eine Ampelkoalition gemeinsam mit der FDP zu ebnen?

Aus vielen Wahlkämpfen und Umfragen habe ich eines gelernt: Die Menschen wählen Parteien und deren Kandidaten, aber keine Koalitionen. Allzu sehr die Nähe zu den Grünen betonen sollte die SPD daher im Wahlkampf nicht, sondern sich auf ihre eigenen Botschaften konzentrieren. Und zuallererst sollte sie den eigenen Kanzlerkandidaten wieder aufs Parkett bringen.

Um Olaf Scholz war es zuletzt tatsächlich sehr ruhig.

Eben. In den letzten Wochen ist neben den Söder-Laschet-Festspielen der Union und der Präsentation von Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen kaum über Themen gesprochen worden und schon gar nicht über Scholz. Die SPD muss die Wähler nun daran erinnern, dass sie einen Kanzlerkandidaten mit einer Menge Regierungserfahrung hat. Wenn sie es zudem schafft, klare Kante gegen die Union zu zeigen, kann das ein erfolgreicher Wahlkampf werden. Ein Kuschelkurs mit den Grünen hilft der SPD nicht.

Der Experte: Georg Brockmeyer, 46, war unter anderem Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der SPD Niedersachsen, bevor er seinen beruflichen Schwerpunkt nach Österreich verlegte. Der Sozialdemokratie blieb der gebürtige Freiburger dort treu. Zuerst arbeitete er als Leiter Kommunikation in der Bundesgeschäftsstelle der SPÖ, seit Juni 2019 ist er Landesgeschäftsführer der Partei in Oberösterreich.
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