• Die mit der Landtagswahl am 15. Mai endende Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen war geprägt von Skandalen und Affären.
  • Immer wieder gab es Vorwürfe gegen die erst von Armin Laschet und anschließend von Hendrik Wüst (beide CDU) geführte schwarz-gelbe Landesregierung.
  • Zwei Ministerinnen der Koalition traten zurück, einem Minister wurde ein Teil seiner Zuständigkeiten entzogen, es gab mehrere Untersuchungsausschüsse.

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Kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die amtierende schwarz-gelbe Koalition aktuellen Umfragen zufolge keine Mehrheit mehr. Die CDU von Spitzenkandidat Hendrik Wüst, der erst seit Ende 2021 Ministerpräsident ist, lag zuletzt knapp vor der SPD. Wüsts Vorgänger Armin Laschet war unter anderem wegen seiner Corona- und Klimapolitik in der Kritik. Aber auch abseits davon kam es seit dem Start der Regierung 2017 immer wieder zu Skandalen, Affären und anderen Aufregern. Ein Überblick.

Mallorca-Affäre

Gut einen Monat vor der Wahl trat Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zurück. Sie war kurz nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 nach Mallorca gereist und feierte dort den Geburtstag ihres Mannes. Drei weitere Mitglieder der Landesregierung waren dabei: Bauministerin Ina Scharrenbach, Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner sowie die damalige Staatssekretärin und heutige Bundestagsabgeordnete Serap Güler (alle CDU).

Anfang Mai tagte der Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flut zum letzten Mal, auch dort war der Urlaub Thema. Kritik gab es in dem Zusammenhang auch an der SPD: Ein Mitarbeiter der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Fraktion soll versucht haben, den Instagram-Account der 16-jährigen Tochter Heinen-Essers auszuspähen, um an mögliche Fotos von der Reise zu kommen.

Stabsstelle Umweltkriminalität

Christina Schulze Föcking (CDU), Heinen-Essers Vorgängerin als Umweltministerin, musste ebenfalls in einem Untersuchungsausschuss aussagen. Dabei ging es um die kurz nach Amtsantritt von ihr angeordnete Auflösung einer Stabsstelle für Umweltkriminalität in ihrem Ministerium. Deren Struktur habe eine erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung "nicht in ausreichendem Maße gewährleistet", lautete eine Begründung.

Fachleute widersprachen dieser Einschätzung. Zudem hatte sich die Stelle unter anderem mit Vorwürfen gegen Schweinemastbetriebe beschäftigt: einer gehörte Schulze Föcking selbst, ein anderer dem damaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Röring, der auch Präsident des Bauernverbands war.

Der ehemaligen Leiter der Stabsstelle sagte aus, die Akte zum Fall Röring sei verschwunden, nachdem sich unter anderem ein Staatssekretär aus dem Umweltministerium Zugang zum Dokumentenbestand verschaffte habe. Später tauchten die Dokumente dem Investigativjournalisten Jürgen Döschner zufolge wieder auf. Thema bei der Stabsstelle waren auch illegale Quecksilber-Geschäfte eines Unternehmens, an dem Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner beteiligt war.

Hambacher Forst und RWE

Der Landesregierung wird schon länger vorgeworfen, eine zu große Nähe zu dem Energiekonzern RWE zu haben. Der WDR enthüllte, dass sie bei der Räumung des von Aktivistinnen und Aktivisten besetzten Hambacher Forst Brandschutz als Grund nur vorgeschoben hatte. Der damalige Ministerpräsident Armin Laschet hatte das geleugnet, Innenminister Herbert Reul (beide CDU) wiederum sich anders als behauptet mit RWE in diesem Zusammenhang ausgetauscht. Auf einem heimlich aufgenommenen Video sagte Laschet zudem, er habe den Wald räumen wollen und "brauche auch einen Vorwand, sonst kann man doch nicht tätig werden."

Ein Staatskanzlei-Sprecher behauptete auf Anfrage des WDR, der Politiker habe den Begriff "Vorwand" nur aufgreifen wollen, "ohne sich den Begriff zu eigen zu machen, um zu erläutern, dass es einer rechtssicheren Grundlage bedarf, um die Besetzung des Waldes zu beenden und damit den Wald vor illegalen Eingriffen zu schützen".

Auch der WDR geriet im Zusammenhang mit der Aufnahme in die Kritik, nachdem er einen Radiobeitrag darüber kurz nach Veröffentlichung zurückgezogen hatte. Als Begründung nannte der Sender rechtliche und journalistische Bedenken, die Beobachtern zufolge nicht nachvollziehbar waren. In einem Artikel dazu warf der "Spiegel" dem "WDR" vor, insgesamt zu unkritisch gegenüber Laschet zu sein. Die Rundfunkanstalt wies den Bericht als "unwahr" zurück.

Corona I: "Heinsberg-Studie" und Storymachine

Der Virologe Hendrick Streeck erhielt von der Landesregierung zu Beginn der Pandemie den Auftrag, die Lage im deutschlandweit besonders betroffenen Kreis Heinsberg nahe der niederländischen Grenze zu untersuchen. Die Öffentlichkeitsarbeit dafür übernahm die PR-Agentur "Storymachine" des früheren "Bild"-Chefredakteurs Kai Diekmann, was die Landesregierung anders als behauptet wusste.

Die dazugehörige "Werbekampagne" bezahlte unter anderem eine Möbelhauskette. Die wissenschaftlich kritikwürdige und Fehler enthaltende Studie benutzte Laschet als Argument für Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen. In der Folge durften neben anderen Einrichtungen auch Möbelhäuser relativ früh wieder öffnen.

Corona II: Van Laack und Maskenaffäre

Der als Influencer tätige Sohn von Ministerpräsident Laschet vermittelte der Landesregierung einen Vertrag mit dem Kleidungsunternehmen van Laack in Höhe von fast 40 Millionen Euro. Viele der bestellten Schutzkittel stellten sich als minderwertig heraus, wegen vergaberechtlicher Kritik wurde ein Teil des Geschäfts rückabgewickelt. Die Opposition warf der Landesregierung Vetternwirtschaft vor, Laschet erwiderte, sein Sohn habe keine Gegenleistung erhalten.

Kritik gab es auch im Zusammenhang mit der bundesweiten "Maskenaffäre": Die Tochter des früheren bayerischen Innen- und Finanzministers Gerold Tandler (CSU) hatte einer kleinen Schweizer Firma Großaufträge für Corona-Schutzkleidung vermittelt - an den Bund, aber auch an Bayern und Nordrhein-Westfalen. Dafür erhielten sie und ein Partner eine Provision in Höhe von rund 50 Millionen Euro; zustande kam der Kontakt über Monika Hohlmeier, Europaabgeordnete für die CSU und Tochter von Franz Josef Strauß, ehemals Ministerpräsident von Bayern.

Corona III: Tönnies und schlechte Arbeitsbedingungen

Beim umstrittenen Fleischproduzenten Tönnies kam es Mitte 2020 zu einem großen Corona-Ausbruch. Eine "t-online"-Recherche zeigte, dass ein Gottesdienst mitverantwortlich dafür war. "Dort trafen sich Mitarbeiter des Fleischverarbeiters Westcrown, wo es zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche Infektionen gab, mit Mitarbeitern von Tönnies", so das Portal. Mangelhafter Arbeitsschutz an dem betroffenen Konzernstandort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenarbeiteten, war demnach ein zusätzlicher Faktor.

Laschet bestritt einen Zusammenhang mit Corona-Lockerungen und machte ohne Beweis dafür Beschäftigte aus Bulgarien und Rumänien für den Ausbruch verantwortlich. Wegen der Zustände bei Tönnies beschloss der Bundestag ein Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit in der Fleischindustrie, wobei Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigen davon ausgenommen sind.

Kindesmissbrauch

Einer der fünf Untersuchungsausschüsse der auslaufenden Legislaturperiode beschäftigte sich mit dem "Vorgehen der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie der Ermittlungsbehörden und Jugendämter im Fall des Verdachts des vielfachen sexualisierten Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde". Es ging um jahrelang verübte Verbrechen in Hunderten Fällen, die 2019 bekannt wurden und staatliches Versagen im Umgang damit offenbarten.

Als Reaktion auf diesen und andere Missbrauchsskandale verabschiedete der Landtag Anfang April einstimmig ein Kinderschutzgesetz, das unter anderem einheitliche Mindeststandards für Jugendämter bei Fällen von Kindeswohlgefährdungen festlegt.

Mutmaßliche Lobbynähe

Nach zwei Monaten im Amt musste Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) 2017 seine Zuständigkeit für den Bereich Medien wegen eines Interessenkonflikts abgeben. Er war zu dem Zeitpunkt Miteigentümer der großen Funke-Mediengruppe und somit selbst Verleger. Inzwischen ist bekannt, dass er seine Anteile verkauft, offiziell besitzt er sie aber noch bis Anfang 2024. Zehn Jahre zuvor, als die CDU in der Opposition war, hatte die Mediengruppe darüber hinaus 15.000 Euro an verschiedene Lokalverbände der Partei gespendet.

Viele Spenden erhielt sie - ebenso wie die FDP - zwischen 2000 und 2017 auch von der Maschinenbau-Firma Trumpf und der dahinterstehenden Familie Leibinger. Die Vorstandsvorsitzende Nicola Leibinger-Kammüller war später Mitglied im "Expertenrat Corona" des Landes, dem die Transparenzorganisation "Lobbycontrol" einseitige Empfehlungen mit Fokus auf unternehmerische Interessen vorwarf. Die Ernennung von Leibinger-Kammüller sei zudem "politisch zumindest ungeschickt": "Es signalisiert, dass die Gewährung von Einflusschancen von anderen Kriterien abhängen könnte als von fachlicher Kompetenz oder repräsentativer Befugnis."

Umstritten war auch die Vergabe eines Digitalprojekts für Schulen an eine FDP-Großspenderin. Für Bildung als Ministerin zuständig ist Yvonne Gebauer (FDP), den entsprechenden Auftrag unterzeichnete ein FDP-Staatssekretär. Nach Kritik von vielen Seiten ließ Gebauer den Vertrag 2019 auslaufen. Fragen warf des Weiteren die Ernennung der Managerin Ina Brandes zur Verkehrsministerin auf, nachdem ihr Vorgänger Hendrik Wüst Ministerpräsident geworden war. Brandes war bis dahin für einen Planungskonzern tätig, der unter anderem in NRW Verkehrsprojekte umsetzte und auch Aufträge der niedersächsischen Gemeinde erhielt, deren Bürgermeister ihr Mann bis zu seinem Tod im März 2022 war.

Polizei- und Versammlungsgesetz

Eine Recherche des Onlinemagazins Krautreporter zeigte im März, dass ein durch ein neues Polizeigesetz 2018 eingeführter "längerfristiger Gewahrsam" vor allem Klimaaktivistinnen und –aktivisten trifft. Offiziell begründete die Landesregierung die Gesetzesänderung, die solche umstrittenen Maßnahmen ermöglichte, damals mit dem Kampf gegen Terrorismus. Scharfe Kritik üben Bürgerrechtsorganisationen und Opposition auch am seit Anfang 2022 geltenden Versammlungsgesetz, das die schwarz-gelbe Koalition im Dezember verabschiedete.

Die Nichtregierungsorganisation Amnesty International nahm es sogar als Negativbeispiel in seinen internationalen Jahresbericht zur Lage der Menschenrechte auf. Demnach schränke die Neuregelung das Recht auf Versammlungsfreiheit ein, "indem es eine Reihe von Verwaltungsanforderungen verhängte und die staatlichen Überwachungs- und Kontrollbefugnisse unangemessen ausweitete (...)."

Der Fall Amad A.

Neben Untersuchungsausschüssen zur Flutkatastrophe, zur Stabsstelle Umweltkriminalität, zum Kindesmissbrauch in Lügde sowie zum aus der Zeit der Vorgängerregierung stammenden Fall Anis Amri gab es auch einen "zu den Umständen der Verwechslung, der Inhaftierung, des Todes und des Umgangs mit der Familie des Amad A.". Letzterer war unschuldig in Kleve im Gefängnis und kam bei einem mutmaßlich von ihm selbst gelegten Brand in seiner Zelle 2018 ums Leben.

Laut des mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD verabschiedeten Ausschuss-Abschlussberichts von Anfang April war die Verwechslung des Syrers mit einem per Haftbefehl gesuchten und ihm nicht ähnlich sehenden Mann aus Mali das Ergebnis "einer Vielzahl von individuellen Fehlern von Bediensteten der mit der Causa Amad A. befassten Behörden und Justizvollzugsanstalten".

Die Obleute von SPD und Grünen im Ausschuss wiesen das Fazit des Berichts in einem Sondervotum zurück. Sie sahen vielmehr "ein unvergleichliches kollektives und systematisches Versagen der Strafverfolgungs- und Vollstreckungsbehörden in NRW" beziehungsweise sprachen von einem "unfassbaren und blamablem Rechtsstaatsversagen".

Anmerkung: Alle Beteiligten weisen Vorwürfe unrechtmäßigen oder unlauteren Handelns zurück.

Verwendete Quellen:

  • Bundesregierung.de: Mehr Schutz für Arbeitnehmer
  • Abgeordnetenwatch.de: Warum ein digitales Schulprojekt in NRW seit Monaten auf Eis liegt
  • Lobbycontrol.de: Expertenräte in der Coronakrise
  • Deutschlandfunk.de: Der Streit um einen gelöschten Bericht
  • Westdeutsche Zeitung: Innenminister Reul entschuldigt sich - Ich habe doch mit RWE gesprochen
  • T-Online.de: Das Ende des Teflon-Kandidaten
  • Spiegel.de: Maskenhändler im Goldrausch; Laschets Problem mit Quecksilber und Schweinen
  • Sueddeutsche.de: Tandler-Tochter kommt vorerst nicht in den Untersuchungsausschuss
  • RND.de (Redaktionsnetzwerk Deutschland): Ende der Werkverträge: Was hat sich in der Fleischindustrie geändert?
  • WDR.de: Neue NRW-Verkehrsministerin: Wer ist Ina Brandes?
  • Krautreporter.de: Klima-Aktivisten landen zehnmal so oft in Gewahrsam wie religiös motivierte Gefährder
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