• Nach aktuellen Umfragen ist eine rechnerische Mehrheit für ein Bündnis aus Grünen, SPD und Linke nach der Bundestagswahl denkbar.
  • Im Entwurf des Linke-Wahlprogramms zeigen sich viele Gemeinsamkeiten mit Grünen und SPD - aber auch mächtige Unterschiede.
  • Die Linke hat dennoch großes Interesse an einer Zusammenarbeit, auch die SPD schließt Gespräche nicht aus.
Eine Analyse

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2005 wäre es möglich gewesen, aber da wollte von vornherein niemand. 2013 gab es wieder eine Mehrheit, aber da wollte die SPD nicht - und bereute das bereits zwei Monate nach der Bundestagswahl so sehr, dass die damalige Generalsekretärin Andrea Nahles erklärte, man werde künftig auch im Bund "keine Koalition außer mit Rechtspopulisten und rechtsextremen Parteien" mehr ausschließen. Und 2021?

Könnte nach der Bundestagswahl im September wieder einmal eine Regierungskoalition aus Grünen, SPD und Linke rechnerisch möglich werden; zumindest dann, wenn die Grünen ihr Umfragehoch in Wählerstimmen ummünzen können und SPD und Linke aus ihren jeweiligen Umfragetiefs halbwegs herausfinden.

Es stellt sich also die Frage: Passt es diesmal überhaupt? Oder vielmehr: Können sich SPD und Grüne vorstellen, diesmal zur Linke zu passen? Um das herauszufinden, werden beide Parteien den Entwurf des Linke-Wahlprogramms genau prüfen. Dort zeigen sich tatsächlich viele Schnittmengen für ein Dreierbündnis - aber auch ein paar mächtig hohe Hürden.

Was die Linke in ihrem Wahlprogramm verspricht

Die Linke will die Gewerkschaften stärken, Tarifverträge allgemeinverbindlich machen und den Mindestlohn auf 13 Euro anheben. Um Arbeit gerechter zu verteilen, schlägt die Partei eine 30-Stunden-Arbeitswoche vor, "mit vollem Lohn- und notwendigem Personalausgleich".

Hartz IV soll durch eine Mindestsicherung von 1200 Euro ersetzt und zudem eine Grundsicherung für Kinder eingeführt werden. Um Altersarmut vorzubeugen, will die Linke das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben. Außerdem soll das Renteneintrittsalter nach dem Willen der Partei wieder sinken. Um das zu finanzieren, sollen in Zukunft auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in die gesetzliche Rente einzahlen.

Neben einer weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nimmt die Linke außerdem den Bereich Gesundheit in den Fokus. So sollen 200 000 Pflegekräfte zusätzlich in Krankenhäusern und Pflegeheimen angestellt und die Gehälter in der Pflege angehoben werden.

Bezahlt werden sollen die Versprechen durch höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen sowie eine Vermögenssteuer. Zudem soll der Etat der Bundeswehr um zehn Prozent gekürzt und sämtliche Auslandseinsätze der Truppe beendet werden. Darüberhinaus will die Linke nicht nur Waffenexporte verbieten, sondern auch Waffenfabriken auf deutschem Boden.

Hennig-Wellsow: Viele Gemeinsamkeiten mit Grünen und SPD

"Es hat kein deutscher Soldat mit einer Waffe in der Hand etwas im Ausland zu suchen", sagt Linke-Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Diese strikte Haltung teilt sie mit ihrer Co-Vorsitzenden Janine Wissler - in möglichen Sondierungs- oder gar Koalitionsgesprächen mit Grünen und SPD wäre sie ein zentraler Streitpunkt.

Hennig-Wellsow betont daher vorerst lieber die Gemeinsamkeiten: "In sozialen Fragen liegen wir mit der SPD sehr nahe beieinander, etwa wenn es um die Rechte von Arbeitnehmerinnen geht oder die Notwendigkeit einer Mindestlohnerhöhung." Auch bei den Themen Bildung oder Digitalisierung sehe man vieles ähnlich wie Grüne und Sozialdemokraten. „Die entscheidenden Fragen", findet Hennig-Wellsow, "stellen wir doch alle drei: die soziale, die ökologische und die nach der Umverteilung von Reichtum.“

Deshalb will Susanne Hennig-Wellsow - die selbst Erfahrung mit der Arbeit in einer Koalition aus Linke, SPD und Grünen aus dem Thüringer Landtag hat - die Zeit bis zur Bundestagwahl damit verbringen, grün-rot-rote Verhandlungen vorzubereiten. Zeit dafür hat sie, auf die Spitzenkandidatur ihrer Partei hat Hennig-Wellsow bereits verzichtet. Der Schritt kam nicht überraschend, nachdem sie bei öffentlichen Auftritten Wissenlücken zu den geltenden Spitzensteuersätzen sowie Auslandseinsätzen der Bundeswehr offenbart hatte und dafür auch aus der eigenen Partei kritisiert worden war.

SPD schließt Gespräche nicht aus

Die Annährungssaat der Linke fällt dennoch zumindest bei der SPD nicht auf völlig trockenen Boden. Parteichefin Saskia Esken hatte ein Bündnis bereits als "möglich und denkbar" bezeichnet, und Generalsekretär Lars Klingbeil sagt: "Ich habe wahrgenommen, dass es bei der Linken unter der neuen Parteiführung offensichtlich eine Mehrheit gibt, die Interesse an einer Regierungsbeteiligung hat."

Trotzdem gibt es laut Klingbeil viele Hürden für eine Zusammenarbeit. Neben Differenzen in der Wirtschafts- und insbesondere der Außenpolitik betrifft das auch Positionen, die die Linke gegenüber einigen internationalen Bündnissen einnimmt. "Die bei Linke-Politikern und -Anhängern populäre Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO etwa ist mit der SPD nicht zu machen", zieht Klingbeil eine deutliche rote Linie.

Aller Kritik zum Trotz macht die SPD die Tür für Gespräche einen Spalt breit auf. "Pflege, Bildung, Gesundheit, Arbeit, Soziales und die Zukunft nach Corona: Der Wahlkampf wird sehr stark geprägt sein von Themen, bei denen es auch Überschneidungen zwischen den Positionen von SPD und Linke gibt", sagt Klingbeil.

Und die Grünen? Was hält die Partei um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock von den Linke-Avancen? Eine spannende Frage, über die trotz mehrerer Anfragen leider kein Mitglied aus Grünen-Parteivorstand oder -Bundestagsfraktion mit unserer Redaktion sprechen wollte. Eine mögliche Interpretation: Die Partei will die Wähler, die sie Union und SPD in der politischen Mitte abspenstig gemacht hat, nicht durch allzu linke Koalitionsaussagen vergraulen.

Womöglich warten die Grünen aber auch ab, bis die Spitzenkandidatur der Linke in wenigen Tagen geklärt ist. Nach Hennig-Wellsows Verzicht scheint die zweite Parteichefin, Janine Wissler, für das geplante Spitzenduo gesetzt zu sein. Und weil es bei der Linke gleich zweierlei Proporz zu berücksichtigen gibt - Ost und West, linker und moderater Parteiflügel - könnte die aus Hessen stammende Partei-Linke Wissler gemeinsam mit dem in seinen Ansichten gemäßigteren Dietmar Bartsch in den Wahlkampf ziehen. Der stammt nicht nur aus Mecklenburg-Vorpommern. Als Linke-Fraktionsvorsitzender im Bundestag pflegt er auch gute Kontakte zur SPD.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Linke-Co-Vorsitzender Susanne Hennig-Wellsow
  • Gespräch mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil
  • Entwurf des Linke-Bundestagswahlprogramms


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