Die Ausgangslage nach der Bundestagswahl 2017 ist klar: Eine Jamaika-Koalition ist nach dem vehementen Nein der SPD zu einer erneuten GroKo die einzige Alternative. Doch wie realistisch ist das? Bei welchen Themen gibt es zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen das größte Konfliktpotenzial? Ein Überblick.

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Die SPD bleibt stur: Nach dem desaströsen Wahlergebnis hatte die Partei umgehend angekündigt, in den kommenden vier Jahren in die Opposition zu gehen. Von dieser Haltung rücken die Sozialdemokraten nicht ab.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Eine Jamaika-Koalition - bestehend aus CDU, CSU, FDP und den Grünen - ist die einzige realistische Option im Bund.

Und die Zustimmung der Bürger für dieses Bündnis wächst: Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge halten mittlerweile 57 Prozent der Befragten diese Koalition für gut oder sehr gut - das sind 34 Prozentpunkte mehr als am Wahltag.

Wie realistisch ist eine Jamaika-Koalition?

Dennoch ist es alles andere als sicher, dass sich die vier Parteien am Ende wirklich auf einen Koalitionsvertrag einigen können.

Politologe Gero Neugebauer sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: "Ich kann mir die Jamaika-Koalition ziemlich schlecht vorstellen. Das hat aber weniger mit Personen zu tun als mit Positionen. Die scheinen mir in einigen Politikfeldern doch schlecht vereinbar."

Ähnlich äußert sich Michael Oswald, Politikwissenschaftler an der Universität Passau: "Das sind vier Parteien, die im Kern eigentlich nicht viel gemeinsam haben."

Christian Lindner legt Latte hoch

FDP-Chef Christian Lindner legt die Latte schon vor den Sondierungsgesprächen hoch: "Die Wahrheit ist, dass es zwar eine rechnerische Mehrheit gibt, die vier Parteien aber jeweils eigene Wähleraufträge hatten. Ob diese widerspruchsfrei und im Interesse des Landes verbunden werden können, steht in den Sternen", sagte er der "Welt".

"Jeder muss wissen, dass die Freien Demokraten nur in eine Koalition eintreten, wenn es Trendwenden in der deutschen Politik gibt." Diese betreffen vor allem die Themen Bildung, Digitalisierung, Einwanderungspolitik, Steuerentlastungen und die Euro-Zone.

CSU schielt schon auf die Bayernwahl

Die CSU hat zudem die Bayernwahl im kommenden Jahr im Blick. Nach der empfindlichen Wahl-Schlappe zeichnet sich zudem ein Machtkampf ab - und ein Rechtsruck.

Die Partei werde die Wahlschlappe zum Anlass nehmen, "eine härtere Gangart zu fordern", glaubt Parteienforscher Oskar Niedermeyer. Das wird vor allem die Themen Zuwanderung und innere Sicherheit betreffen. Vor diesem Hintergrund dürfte insbesondere ein Bündnis zwischen CSU und den Grünen "sehr, sehr schwierig" werden, sagte Niedermeyer direkt nach der Wahl.

Zudem stellt sich die Frage: Können die Grünen mit dem bürgerlichen Lager koalieren, ohne sich selbst zu verraten?

Wo es es besonders viel Konfliktpotenzial zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen gibt

Obergrenze - vor allem ein Problem zwischen CSU und Grünen

Die Bundestagswahl 2017 hatte viele Verlierer - darunter auch die CSU. Die Christsozialen fuhren mit 38,8 Prozent in Bayern das schlechteste Ergebnis seit 1949 ein.

Die Partei machte umgehend klar, dass sie keine Politik des "Weiter so" fahren werde - und strebt die Rückgewinnung konservativer Wähler an. "Für uns geht's vor allem um einen klaren Kurs Mitte-Rechts für die Zukunft", sagte CSU-Chef Horst Seehofer am Montag.

So besteht er beispielsweise auf einer Obergrenze für Flüchtlinge. "Wir werden darauf bestehen." Dem Ministerpräsidenten zufolge gelinge Integration nur, "wenn wir begrenzen. Das gilt auch für den Familiennachzug."

Dieser Punkt könnte in den Koalitionsverhandlungen ein großes Problem werden. CDU-Chefin Angela Merkel spricht sich weiterhin gegen eine Obergrenze aus und eckt damit bereits seit 2015 bei der CSU an.

Die Grünen machen das Thema Obergrenze gleich zur Bedingung für eine Koalition: "In einer Koalition mit uns wird es ebenso wie bei CDU und FDP keine Obergrenze für Flüchtlinge geben", sagte Grünen-Chefin Simone Peter der "Rheinischen Post"

Die Grünen wollen darüber hinaus sogar Flüchtlingskontingente und humanitäre Visa, um eine sichere Flucht zu ermöglichen und plädieren für einen erleichterten Familiennachzug.

Klimaschutz - Grüne mit Maximalforderungen

Auch beim Thema Klimaschutz gibt es Konfliktpotenzial. Die Grünen fordern ein klares Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor - ab dem Jahr 2030 sollen nach ihrer Vorstellung keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden.

Grünen-Chef Cem Özdemir ließ aber bereits durchblicken, dass 2030 als Enddatum für Benziner und Diesel nicht durchsetzbar sein könnte, da man nicht allein regiere.

Die CSU wiederum hatte vor der Wahl angekündigt, keinen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, in dem ein Enddatum für den Verbrennungsmotor festgehalten ist.

Und auch CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel hält nichts von einem festen Enddatum, auch wenn sie den Verbrennungsmotor allenfalls für eine Brückentechnologie hält.

Die Grünen fordern zudem, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abzuschalten sowie einen Komplettumstieg auf erneuerbare Energien bis 2030. Hier bremst die FDP und will auf fossile Energieträger vorerst nicht verzichten; schon gar nicht, wenn der Umstieg mit Hilfe von Subventionen funktionieren soll.

Steuerpolitik - FDP und Union auf einer Linie

Zunächst zu den Schnittmengen: Alle vier Parteien wollen untere und mittlere Einkommen entlasten und den Solidaritätszuschlag abschaffen. Die FDP will die Steuerzahler jährlich sogar um 30 Milliarden Euro entlasten, die Union diese immerhin um 15 Milliarden Euro.

Doch problematisch wird es, wenn es um Mehrbelastungen hoher Einkommen, Erbschaften und von Topvermögen geht.

Die CSU schließt jegliche Steuererhöhungen aus und gibt sich als Schutzmacht vor allem für vermögende Firmenerben.

Auch die FDP stellt sich gegen Steuererhöhungen - sei es auch nur für Besserverdienende.

Innere Sicherheit - hier ist die Union isoliert

Politikwissenschaftlier Niedermayer sieht im Punkt Innere Sicherheit weitere Probleme, die bei den Koalitionsverhandlungen auftreten könnten.

"Alle wollen zwar mehr Sicherheit, aber FDP und Grüne sperren sich gegen Vorratsdatenspeicherung, Schleierfahndung, gegen die Ausweitung der Videoüberwachung", sagt der Politik-Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.

In der Tat sind die Vorstellungen der Parteien in diesem Bereich sehr verschieden. Die Union befürwortet eine Anwendung und gleichzeitige Verschärfung der Vorratsdatenspeicherung, FDP und Grüne wollen diese hingegen abschaffen.

Das wird aber vor allem mit der CSU kaum zu machen sein, die nach dem Wahldebakel nach rechts rücken dürfte und bereits im Wahlkampf mit harten Parolen zum Thema Sicherheit auf sich aufmerksam gemacht hat.

Europapolitik - die FDP allein auf weiter Flur

Auf diesem Gebiet sorgt vor allem die FDP im Ausland für Unruhe. Die Liberalen könnten in einer neuen Regierung darauf dringen, bei den Euro-Regeln kompromissloser aufzutreten.

Verhandlungen mit Frankreich und anderen Euro-Partnern über eine Reform der Eurozone werden mit den Liberalen nicht einfacher.

So lehnt die FDP einen gemeinsamen Haushalt der Euro-Zone kategorisch ab.

Die EU-Verträge wollen die Liberalen ändern, damit für ein Land bei einem Euro-Austritt nicht automatisch die EU-Mitgliedschaft erlösche.

Gesundheit und Rente

Auch bei diesem Punkt droht eine Menge Konfliktpotenzial. Die Grünen fordern eine Bürgerversicherung.

Demnach sollen nach und nach immer mehr Bevölkerungsgruppen (Abgeordnete, Selbstständige, Freiberufler, Beamte) in die gesetzlichen Sicherungssysteme einzahlen.

CDU, CSU, und FDP sprechen sich klar dagegen diese Forderung aus.

Wie positionieren sich die Parteien?

Fest steht: Weder die Grünen noch die FDP haben vor den ersten Gesprächen den Eindruck gemacht, sie seien leicht zu haben - und treiben so den Preis in die Höhe für eine mögliche Koalition mit CDU und CSU.

Die Union wiederum stellte am Dienstag klar, dass nur sie die Triebfeder einer Jamaika-Koalition sein könne.

"Jamaika funktioniert nur, wenn die mit Abstand stärkste Kraft, die Union, das bestimmende Element ist und wenn die anderen Partner wissen, dass sie nicht die Bestimmer sein können", sagte der CDU-Vizevorsitzende Volker Bouffier, der in Hessen zusammen mit den Grünen regiert, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.

Grüne und FDP bekräftigten ihre Gesprächsbereitschaft, pochten aber zugleich auf ihre inhaltlichen Linien.

Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck, der das Jamaika-Modell aus Kiel kennt, nannte Sondierungsgespräche im Radiosender HR-Info "logisch, notwendig und irgendwie zwingend".

Sein Tipp für erfolgreiche Koalitionsverhandlungen: "Man muss nur bereit sein, tatsächlich bei sich selbst zu bleiben und jederzeit den Tisch zu verlassen."

Eine Aussage, die zeigt, wie komplex die Jamaika-Verhandlungen werden dürften.

Mit Material der dpa
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