• China hat einen 12-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukraine-Kriegs vorgelegt.
  • Experten halten es für unrealistisch, dass sich Peking mit seinen Positionen als "ehrlicher Makler" positionieren kann.
  • Auch der Termin der Veröffentlichung lässt Zweifel an den Motiven der chinesischen Führung aufkommen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Papier war mit Spannung erwartet worden, am traurigen Jahrestag war es dann so weit: Rund ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges veröffentlichte das chinesische Außenministerium am Freitag eine Initiative zur Beilegung des Ukraine-Konflikts.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Unter dem Titel "Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise" formulierte China zwölf Punkte, in denen es unter anderem an die "Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Länder" appellierte. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, müsse strikt eingehalten werden.

In einem weiteren Punkt forderten die Chinesen eine "Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges". Kein Land dürfe die eigene Sicherheit auf Kosten eines anderen verfolgen, die Sicherheit einer Region solle nicht durch die Stärkung oder den Ausbau von Militärblöcken erreicht werden. Ein Postulat, das sich offenkundig gegen den Westen und die USA richtete.

China will "konstruktive Rolle" spielen

Zwar verspricht China in dem rund 800 Wörter umfassenden Konvolut, bei der Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine eine "konstruktive Rolle" einzunehmen. Worin diese jedoch konkret besteht und was sich China von solchen Gesprächen erhofft, bleibt unklar: Neben der Formel, alle Parteien sollten "rational bleiben und Zurückhaltung üben", enthält das Papier dazu wenig Konkretes. Einzig bei der Frage des Einsatzes von Atomwaffen wird China unmissverständlich: Diese dürften "nicht eingesetzt und Atomkriege nicht geführt werden“. Auch die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen sei abzulehnen.

Gemessen an den hohen Erwartungen, mit denen westliche Diplomaten auf das Papier gesetzt hatten, darf man die zwölf Punkte als Enttäuschung bezeichnen. Das liegt vor allem daran, dass der Plan wenig Neues enthält und wie schon seit Beginn des Krieges den USA unterstellt, den Konflikt angeheizt zu haben. Statt Russland als klaren Aggressor zu benennen, ist von einer "Kalten-Krieg-Mentalität" die Rede - eine Formel, die China seit Beginn des Krieges bemüht und von der manche gehofft hatten, sie könnte einer klaren Benennung des Verursachers weichen.

Auch das Bekenntnis zu Souveränität und territorialer Integrität wird in dem Papier eingeschränkt mit dem Verweis, dass die Sicherheit des einen Staates nicht auf Kosten des anderen gehen dürfte. Diese Formulierung könnte auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow so unterschreiben, ist sie denn kaum von der Position zu unterscheiden, mit der Russland seinen Krieg gegen die Ukraine öffentlich rechtfertigt.

Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel, glaubt vor diesem Hintergrund nicht, dass der chinesische Plan Russland und die Ukraine deutlich näher an ein Kriegsende bringen wird. Vielmehr handele es sich "weitgehend um die Wiederholung bekannter Prinzipien des Völkerrechts und der Diplomatie, an die sich China ohnehin nicht hält und die Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine massiv verletzt hat", so Krause. Zwar könnten die chinesischen Punkte ein Ausgangspunkt für Verhandlungen sein. "Aber man darf nicht vergessen, dass dieses Papier nach vorheriger Absprache mit Russland veröffentlicht wurde", erklärt der Experte.

Veröffentlichung des Plans zu brisantem Zeitpunkt

Als bedeutend schätzt Krause den Zeitpunkt der Veröffentlichung ein. Dieser fiel in eine Woche, in der die USA öffentlich berichteten, China stehe kurz davor, Waffen nach Russland zu schicken. Dass China zeitgleich mit seiner Friedensinitiative vorgeprescht sei, müsse daher kein Zufall sein. "Im besten Fall ist das Papier ein Versuch, sich in der westlichen Öffentlichkeit positiv zu positionieren", so Krause. "Im schlimmsten Fall ist es eine Vertuschungsaktion für geplante Waffenlieferungen Chinas an Russland." Dann sei das Positionspapier ein "Dokument des politischen Zynismus".

Was China mit seiner Initiative wirklich bezweckt, ist auch deshalb nicht ganz leicht zu dechiffrieren, weil Pekings grundsätzliche Haltung zum Krieg je nach Betrachtungsweise unterschiedlich interpretiert werden kann. Als gesichert gilt nur, dass eine vernichtende Niederlage Russlands für China problematisch wäre, weil es Peking einen seiner wichtigsten Verbündeten nehmen könnte, sollte Putin die Folgen einer Niederlage politisch nicht überleben.

Beide Länder verbindet, dass sie strategische Partner sind, wenn es darum geht, die Dominanz der westlichen Weltordnung zu beenden. Zudem scheint die Chemie zu stimmen: Die beiden Führer, Xi in Peking und Putin in Moskau, verstehen sich gut, in den letzten Jahren haben sie sich mehrfach besucht.

Dass Peking Moskau mehrfach demonstrativ den Rücken gestärkt hat, hat jedoch auch pragmatische Gründe. Neben stark vergünstigen Energielieferungen, von denen Peking profitiert, kann China mit Blick auf Taiwan auch davon profitieren, dass der Westen massives politisches und militärisches Kapital im Ukraine-Krieg investiert. Das Kalkül: Der Krieg bindet die Aufmerksamkeit des Westens und lenkt von China ab.

Gleichzeitig hat China auch durchblicken lassen, eher auf ein Ende des Krieges hinzuarbeiten als auf eine Endlosschleife. China bevorzuge "ein niedriges Spannungsniveau zwischen Moskau und Washington, weil ein völliger Abbruch der Beziehungen und Feindseligkeiten zwischen diesen beiden nuklearen Supermächten aus chinesischer Sicht gefährlich und daher unerwünscht sind", erklärt Xuewu Gu, Professor für International Relations an der Universität Bonn.

Hinzu komme, dass die Auswirkungen des Krieges eine Annäherung Chinas an Europa als mögliches Gegengewicht zu einer amerikanischen Übermacht unmöglich machten, den Ausbau der 'Neuen Seidenstraße' verlangsamten und das internationale Umfeld chinesischer Unternehmen zunehmend beeinflussen könnten.

China als Vertreter des globalen Südens

Für China, das sich als Schutzpatron zahlreicher Länder des globalen Südens versteht, kommt das Problem hinzu, dass die konjunkturellen Auswirkungen des Krieges nicht nur in europäischen Portemonnaies spürbar sind. Hohe Inflationsraten, Energieknappheit und Lieferschwierigkeiten sind längst über den Westen auf den gesamten Globus übergeschwappt und Kritik daran findet sich implizit auch in Chinas 12-Punkte-Plan wieder.

So fordert Peking, Getreideexporte aus der Ukraine zu erleichtern, Lieferketten zu stabilisieren oder einseitige Sanktionen fallen zu lassen - ein Vorschlag, der vor allem in afrikanischen Staaten sehr populär ist. "China will sich mit diesem Vorstoß auch als Interessenvertreter des globalen Südens präsentieren", so Björn Alpermann, Professor für Contemporary Chinese Studies an der Universität Würzburg.

All diese verschiedenen Interessen haben eines gemeinsam: China geht es bei seinem Vorstoß vermutlich weniger um die Ukraine als darum, im Großmachtkonflikt mit dem Westen zu punkten. Ob sich Peking in den kommenden Wochen tatsächlich in eine Position manövrieren kann, in der es einen Frieden mit der Ukraine moderieren kann, ist daher mehr als fraglich.

"China gehört zwar zu den Ländern, die noch einen gewissen Einfluss auf Moskau haben", so Politologe Alpermann. "Aber um von der Ukraine und dem Westen als ehrlicher Makler akzeptiert zu werden, steht es Russland zu nahe." Denkbar sei daher eine Vermittlung durch eine Gruppe verschiedener Länder, wie sie zuletzt Brasiliens Präsident Lula ins Spiel gebracht hatte. "Für echte Verhandlungen scheint es aber noch zu früh."

Über die Experten:
Professor Xuewu Gu Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen der Universität Bonn und Direktor des dortigen Center for Global Studies.
Professor Björn Alpermann ist Lehrstuhlinhaber für Contemporary Chinese Studies an der Universität Würzburg.
Professor Joachim Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK)

Verwendete Quellen:

  • Ministry of Foreign Affairs of the People's Republic of China: China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis
  • Politico: Why African states are reluctant to pick sides on Ukraine
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit den JTI-Standards der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.