Viele Flüchtlingslager in Griechenland sind hoffnungslos überfüllt. Dramatisch ist die Situation vor allem für Tausende Kinder, die dort ohne ihre Eltern ausharren. Der vorweihnachtliche Hilfsappell von Grünen-Chef Habeck hat aber wohl trotzdem keine Aussicht auf Erfolg.

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Aus den überfüllten griechischen Aufnahmelagern werden vorerst keine minderjährigen Flüchtlinge im Alleingang nach Deutschland geholt. Die Bundesregierung erteilte einer entsprechenden Forderung des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck eine Absage. "Wir suchen für die Zukunft nach einer europäischen Lösung", betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin. "Deutschland kann das nicht im Alleingang."

Merkel: Die Flüchtlingssituation sei nicht nur ein deutsches Problem

Dies entspricht dem Grundtenor, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits in der vergangenen Woche verkündet hatte. Bei der Regierungsbefragung im Bundestag sagte Merkel, die Situation auf den griechischen Insel sei nicht nur ein deutsches Problem. "Wenn Europa ein Europa der Werte ist, sind auch andere mit gefordert."

Habeck hatte sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" dafür stark gemacht, bis zu 4.000 Kinder von den Ägäis-Inseln zu holen. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sprach von einer "akuten Nothilfe" für unbegleitete Kinder und Jugendliche und kritisierte den Verweis der Bundesregierung auf eine europäische Lösung: "Wenn keiner sich bewegt, ist niemandem geholfen. Daher sollte Deutschland sich bewegen."

4.000 Minderjährige ohne Eltern

In den Aufnahmelagern im Osten der Ägäis sind nach Angaben der griechischen Regierung etwa 40.000 Menschen untergebracht, obwohl nur Platz für 7.500 Flüchtlinge ist. Die humanitäre Lage gilt als dramatisch. Unter den Betroffenen sollen auch mehr als 4.000 Minderjährige sein, die dort ohne ihre Eltern ausharren.

Habecks Hilfsappell ist allerdings kein neuer Vorstoß. Schon Anfang des Monats hatten die Landesinnenminister aus Niedersachsen, Berlin und Thüringen auf die humanitäre Notlage hingewiesen und ihre Hilfe bei der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen angeboten - und ihr Angebot in einem weiteren Brief vom 20. Dezember erneuert. Berlin bekräftigte am Montag ausdrücklich seine Bereitschaft, bis zu 70 unbegleitete Minderjährige in die Hauptstadt zu holen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will 50 Kinder und Jugendliche aufnehmen. Ähnliche Signale kommen auch aus Baden-Württemberg.

Doch die Länder sind nach Ansicht der Bundesregierung gar nicht am Zug. "Die Flüchtlingspolitik ist eine Sache des Bundes", betonte ein Sprecher von Innenminister Horst Seehofer (CSU). "Und dementsprechend werden auch alle Übernahmeentscheidungen oder Aufnahmeentscheidungen durch den Bund getroffen." Das heißt konkret: Erst wenn die Bundesregierung grundsätzlich über die Aufnahme von Flüchtlingen entschieden hat, werden die Betroffenen in einem zweiten Schritt auf die 16 Bundesländer verteilt.

215 Tage vergehen, bis ein Flüchtling umgesiedelt wird

Die EU ist sich der Probleme auf den griechischen Insel bewusst, sieht die Lösung aber vor allem in einer Beschleunigung der dortigen Asylverfahren. Nach Angaben von Experten des Europäischen Rechnungshofs vergingen im vergangenen Jahr anstelle von wenigen Tagen im Durchschnitt noch immer 215 Tage von der Antragstellung bis zur Entscheidung in erster Instanz. Ein im November veröffentlichter Bericht nennt unter anderem Personalmangel als Grund.

Der Abschluss der Asylverfahren ist jedoch in der Regel die Voraussetzung für die Umsiedlung von Schutzbedürftigen auf das griechische Festland oder in andere EU-Staaten. Sollte diese Regelung aufgegeben werden, könnte der Anreiz für in der Türkei lebende Migranten wieder größer werden, sich mit Hilfe von Schlepperbanden auf den Weg auf die griechischen Inseln zu machen. Der Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei soll Migranten jedoch genau davon abhalten.

Erdogan drängt Europa

Erst am Sonntag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, mehr als 80 000 Menschen aus der syrischen Provinz Idlib seien auf dem Weg in die Türkei, was auch Griechenland und Europa zu spüren bekommen würden. Seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland hat die Türkei rund 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Erdogan drängt deshalb seit Monaten auf zwei Dinge: mehr Hilfe und Geld aus Europa für die Flüchtlinge, die schon im Land sind.

Griechenlands Regierung rief die Türkei unterdessen auf, den Flüchtlingspakt mit der EU einzuhalten und die Migration nicht zu instrumentalisieren. Wenn die Türkei mehr Unterstützung für die Unterbringung fordere, sei Athen dafür offen, hieß es am Montag aus griechischen Regierungskreisen.

Die jüngsten vorweihnachtlichen Hilfsangebote aus Deutschland sind bei Fachleuten vor Ort jedoch umstritten. Das sei wohl gut gemeint, aber zu kurz gegriffen, sagte ein Flüchtlingshelfer hinter vorgehaltener Hand. Das Wichtigste sei ein tragfähiges Programm zur Verteilung der Flüchtlinge in der EU. (ash/dpa)

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