• Über Jahrzehnte dominierten deutsche Biathleten ihren Sport, mittlerweile aber hat der Deutsche Ski-Verband den Anschluss an die Weltspitze verloren.
  • Was ist da passiert und droht nun bei den Olympischen Spielen ein sportliches Fiasko?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzung des Autors einfließt. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Das Selbstverständnis deutscher Biathleten lässt sich am besten in drei Farben erklären: in Gold, Silber und Bronze. Das ist die Währung, die im deutschen Biathlon-Sport zählt. Und jahrzentelang - von Peter Angerer für die Bundesrepublik und Frank-Peter Roetsch für die DDR über Mark Kirchner, Fritz Fischer, Frank Luck, Ricco Groß und Sven Fischer bei den Männern und Uschi Disl, Magdalena Neuner, Kati Wilhelm und Laura Dahlmeier bei den Damen - dominierten deutsche Athletinnen und Athleten den Weltcup und die Großereignisse dazwischen.

Im ewigen Medaillenspiegel bei Weltmeisterschaften liegt Deutschland nur hauchdünn hinter Norwegen, beide haben bisher 84 Goldmedaillen errungen. Im ewigen Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen sind nur die Russen noch eine Nuance besser. Nimmt man beide Großereignisse zusammen, ist Deutschland die erfolgreichste Biathlon-Nation der Welt. 266 Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen: So viele hat kein anderer Verband bisher gesammelt.

Deutschland läuft im Biathlon zu oft nur noch hinterher

Aber nicht erst seit diesem Winter ist etwas anders im deutschen Biathlon. Und bei den Olympischen Spielen, die in ein paar Wochen starten, dürfte sich der schleichende Trend auch auf der ganz großen Bühne bemerkbar machen. Deutschland hat den Anschluss zur Weltspitze verloren, das muss man nach einem bisher enttäuschenden Winter wohl so konstatieren.

Aktuell hat der Deutsche Ski-Verband große Mühe, drei Starterinnen und Starter im Gesamtweltcup in den Top 20 zu platzieren. Bei den Herren schaffen das derzeit Johannes Kühn, Philipp Nawrath und Benedikt Doll, bei den Damen sind Denise Herrmann, Vanessa Voigt und Franziska Preuß vertreten. In den Top Ten sucht man deutscher Athletinnen und Athleten aber vergeblich. Ganz zu schweigen von der absoluten Spitze.

Norwegen, Frankreich, Russland, Schweden und das aufstrebende Belarus: Das sind die Top-Nationen des Winters. Die deutsche Armada läuft da im Moment nur noch hinterher. Top-Resultate sind mittlerweile nicht mehr die Regel, sondern eine Ausnahme. Nur noch vereinzelte Lichtblicke in einer düsteren Gegenwart und Zukunft, in die der DSV mit seinen Skijägern schaut? Das sportliche Unheil jedenfalls kam nicht über Nacht, sondern hatte sich lange angekündigt.

Ein schleichender Abstieg

2017 bei der WM in Hochfilzen war Deutschland noch die dominierende Nation, holte insgesamt sieben Goldmedaillen, ein Jahr später bei Olympia in Pyeongchang drei Gold-, eine Silber- und drei Bronzemedaillen - dank einer überragenden Laura Dahlmeier bei den Damen und einem großen Pool an Spitzenläufern bei den Herren.

Dahlmeier trat danach in jungen Jahren zurück, seitdem klafft im Frauen-Team eine Lücke. Bei den Männern war auf Arnd Peiffer bei Großereignissen immer Verlass, er und Denise Herrmann waren für die beiden letzten WM-Siege 2019 in Östersund verantwortlich.

Aus insgesamt acht Medaillen 2017 wurden in den Jahren danach jeweils sieben (Pyeongchang, Östersund), in Antholz 2020 blieb Deutschland dann erstmals ohne Goldmedaille, holte noch vier zweite Plätze und ein Mal Bronze. Und im letzten Jahr auf der Pokljuka sackte das Team dann komplett ab.

Nur die Frauen-Staffel und Peiffer hübschten eine verheerende Bilanz mit zwei Silbermedaillen noch etwas auf. Danach gab auch Peiffer seinen Rücktritt bekannt. Und in diesem Winter, mit Olympia als Höhepunkt der Saison, droht das nächste Fiasko für den DSV.

Probleme im Nachwuchs- und Übergangsbereich

Der Verband hat den nötigen Umbruch verschlafen, so scheint es. Und läuft und schießt nun hinterher. Schon im letzten Winter klagte Wilhelm in der Tageszeitung "Freies Wort" (kostenpflichtiger Artikel) über den fehlenden Nachschub aus der zweiten Reihe und dem Jugendbereich.

"Ich sehe noch niemanden, der die Lücke schließen kann", sagte sie damals in Anbetracht der anstehenden Rücktritte von Peiffer und Simon Schempp, die mittlerweile beide vollzogen sind. "Auch von weiter unten, also im Juniorenbereich, kündigt sich keiner an. Das war früher ganz anders", sagte Wilhelm weiter.

Die heutige TV-Expertin sah damals einen grundsätzlichen Fehler in der Nachwuchsförderung beim DSV. "Das finale Ziel muss der Seniorenbereich sein. Nicht im Juniorenbereich müssen die Sportler schon ihre Grenzen erreicht haben. Hier muss ein Umdenken stattfinden. In den Stützpunkten liegt der Fokus vielleicht zu sehr auf dem Moment als auf der Langfristigkeit."

Im DSV wurden die Probleme auch als solche identifiziert - nur dauert das Gegensteuern nun eben ein paar Jahre und geht nicht von heute auf morgen. Deshalb wird Olympia vielleicht eine Art Übergangsereignis.

"Es gibt schon Defizite in unserer Mannschaft. Man muss die Situation bei den Frauen und Männern unterscheiden. Bei den Frauen haben wir mit Franziska Preuß und Denise Herrmann zwei Top-Athletinnen. Bei ihnen rechne ich mit Top-Leistungen. Dahinter ist die Lücke aus meiner Sicht etwas zu groß. Mit der Staffel können sie aber Medaillen gewinnen und auch ganz oben stehen." Das sagte Peiffer in einem Sport1-Interview.

"Richtig ist, dass wir nicht mehr so viele Nachwuchsathleten haben. Mit denen müssen wir sorgfältig umgehen. Früher konnten wir förmlich aussieben, jetzt müssen wir den Nachwuchs aufbauen und um junge Athleten werben. Aber das ist ja kein reines Biathlon-Problem bei uns in Deutschland."

Die Corona-Lage erschwerte für den DSV mit seinen beschränkten Trainingsbedingungen in den letzten beiden Jahren die Lage. Im Vergleich etwa zu den Norwegern oder Schweden, die klimatisch andere Bedingungen vorfinden und teilweise Monate länger auf Schnee trainieren konnten, war das auch ein Faktor.

Auch Hoffnungsträger Herrmann und Preuß mit Problemen

Die fehlenden Stützen, die Nachwuchsprobleme, die eingeschränkten Trainingsbedingungen kulminieren in dieser Saison und bescheren dem DSV Ergebnisse, die es seit Ewigkeiten nicht mehr gab. Platzierungen um Rang 50 oder noch schlechter, verpasste Massenstarts, massive Probleme an den Schießständen, unerklärliche Einbrüche in der Loipe und Verletzungssorgen: Das ist der Biathlon-Winter aus deutscher Sicht bisher.

Johannes Kühn fast schon sensationeller Sieg im Sprint in Hochfilzen war das bisherige Highlight einer schwierigen Saison. Ansonsten schaffte es nur noch Denise Herrmann mit einem dritten Platz in Östersund aufs Treppchen. Nach 22 Rennen in den Einzeln und der Staffel ist das die magere Ausbeute des DSV, der bei den Männern erst vier Läufer überhaupt in den Top Ten platzieren konnte. Bei den Damen ist die Breite in der Spitze etwas mehr gegeben, die unterschiedlichen Probleme bei den Hoffnungsträgerinnen Herrmann und Franziska Preuß sind aber auch hier nicht zu übersehen.

Herrmann verabschiedete sich zuletzt vorzeitig vom Weltcup in Annecy, ließ das letzte Rennen aus und verzog sich stattdessen vor Weihnachten ins Lauftrainingslager. Preuß stürzte in Frankreich so unglücklich auf einer Treppe, dass sie die letzten Rennen verpasste und seitdem ausfällt. Die Vorbereitung auf Olympia dürfte damit nachhaltig gestört sein.

Dem deutschen Biathlon drohen deshalb Spiele ohne Medaille. Aktuell jedenfalls wäre ein Platz auf dem Treppchen eine ziemliche Überraschung, auch in den Staffeln. Dafür ist die Leistungsdichte bei den Norwegern, Franzosen, Schweden, Russen, Belarusen zu groß. Deutschland kommt erst dahinter, auf Augenhöhe mit Nationen wie Italien, Tschechien, Österreich und der Ukraine - und hat damit nur Außenseiterchancen.

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Verwendete Quellen:

  • insüdthueringen.de: Biathlon-WM: Kati Wilhelm spricht Klartext: "Das war früher ganz anders"
  • sport1.de: Peiffer warnt: "Sonst wie auf Schalke"
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