• Die deutsche Nationalmannschaft hat mit ihrem neuen Bundestrainer Hansi Flick einen nahezu perfekten Start hingelegt.
  • Flick ging dabei einige Dinge anders an als sein Vorgänger Joachim Löw und darf sich bestätigt fühlen.
  • Seine Mannschaft wirkte deutlich frischer, energischer und spielfreudiger als zuletzt.

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Die größten Probleme der letzten elf Tage ereilte die deutsche Nationalmannschaft in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Da musste das Flugzeug mit dem DFB-Tross an Bord auf dem Weg von Reykjavik nach Frankfurt im schottischen Edinburgh eine Zwischenlandung einlegen.

Um 6 Uhr morgens twitterte der DFB von dem erzwungenen Stopp, rund zwei Stunden später gab es die erste Entwarnung. Die Weiter- und Rückreise war von dort aus individuell geplant.

Bis auf diesen unfreiwilligen Schreckmoment verlief die Zusammenkunft der Mannschaft mit ihrem neuen Trainer Hansi Flick aber ausgesprochen harmonisch, erfolgreich und auch richtungsweisend. Das Triple gegen Liechtenstein, Armenien und Island war ja nicht nur Flicks Auftaktprogramm als Bundestrainer, es ging dabei auch um wichtige Punkte im Rahmen der WM-Qualifikation. Neun Zähler hatte Flick deshalb und weil die Mannschaft zuvor gegen Nordmazedonien ja schon blamabel gestrauchelt war, gefordert. Und neun Zähler, sowie zwölf zu null Tore sammelte die Mannschaft dann auch ein.

Flicks Auftakt als Bundestrainer ist geglückt

Neben den erwartbaren Siegen gegen eher zweit- oder drittklassige Gegner war aber vor allen Dingen die Art und Weise entscheidend, mit der die Mannschaft aufgetreten ist. Nach den schwerfälligen letzten Jahren unter Flicks Vorgänger Joachim Löw und der herben Enttäuschung bei der Europameisterschaft vor wenigen Wochen haben sich die Fans vom Premiumprodukt des deutschen Fußballs ein gutes Stück entfremdet. Mit einem neuen Trainerteam, mit neuen Ansätzen und ein paar frischen Ideen wollte der DFB - endlich - gegensteuern. Und immerhin: Der Auftakt ist geglückt.

Hansi Flick hat keine Kulturrevolution ausgerufen, aber er hat an ein paar großen und kleinen Schrauben gedreht, um eine etwas andere Richtung einzuschlagen als sein Vorgänger. Die Veränderungen nahm er in allen Bereichen vor und manche davon waren schon bei den ersten Spielen und Trainingseinheiten sichtbar.

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1. Vieles wirkt wieder klarer

Flick versuchte in seinen Auftritten bei Pressekonferenzen oder vor den TV-Kameras erst gar nicht, Dinge komplizierter zu machen oder zu erklären, als sie sind. Diese öffentlich zur Schau gestellte Stringenz hat nun auch die Mannschaft erreicht und soll in den kommenden Monaten noch deutlicher sichtbar werden.

Auf eindeutig formulierte Fragen folgten klare Antworten. Mal blieben sie so einfach wie möglich, mal ging es auch taktisch in die Tiefe. Flick dosierte mit seiner unaufgeregten Art nach den guten Spielen gegen Armeien und Island die Euphorie, fand eine gute Einordnung gegen die zweitklassigen Gegner und sprach auch die Dinge an, die nicht so gut gelaufen waren. Denn auch davon gab es noch jede Menge. Gegen Liechtenstein waren es die fast schon traditionellen Probleme gegen einen enorm tiefstehenden Gegner, die Isländer bekamen ein paar Torchancen zu viel zugestanden.

In den letzten Löw-Jahren wurde vielleicht ein wenig zu verkopft gedacht, nun scheinen ein paar Dinge wieder etwas leichter von der Hand zu gehen. Wobei die richtigen Tests erst beim WM-Endturnier anstehen dürften - so sich die Mannschaft dafür qualifiziert. Bei nun vier Punkten Vorsprung und nur noch vier ausstehenden Spielen sollte das aber machbar sein.

2. Die Taktik und das Personal

Flick hat die Dreierkette auf dem Papier eingemottet, will in der Grundordnung auf alle Fälle in Varianten der Viererkette verteidigen lassen. In den Spielen selbst ergaben sich zwar genug Anordnungen im Dreieraufbau, wenn in der Regel der rechte Außenverteidiger höher ins Feld schob und damit die letzte Linie verstärkte, um den Gegner sowohl in der Breiter als auch in der Tiefe auseinander zu ziehen. Aber im Grundsatz variierte sich die Mannschaft zwischen 4-2-3-1 und 4-3-3-Formationen.

Das einzige "Experiment" leistetet sich Flick mit Jonas Hofmann auf der Position des rechten Außenverteidigers. Gegen die eher defensiv ausgerichteten Gegner war Hofmann mit seinem Offensivpotenzial aber eine gute Wahl, gab eine Art Schienenspieler, wie man sie vom 3-5-2 oder 3-4-3 kennt. Mit der erlangten Asymmetrie - Thilo Kehrer blieb auf seiner linken Seite teilweise deutlich tiefer und half im Aufbau - hatte Deutschland auf der rechten Seite mehr Anspielstationen und schaffte links Platz für Leroy Sané.

Der wiederum krabbelte in den letzten Tagen aus seinem kleinen Loch und sammelte bei der Nationalmannschaft kräftig Pluspunkte. Was auch der Tatsache geschuldet war, dass Sané im 4-2-3-1 auf seiner bevorzugten Position als klarer Flügelspieler auflaufen durfte. Flick vertraute auf Bewährtes und stellte neben Sané noch andere Spieler genau dort auf, wo sie auch in ihrem Klub eingesetzt werden.

Der neue Bundestrainer verzichtete auf zu viele Rochaden, sondern setzte die Spieler dort ein, wo sie am meisten Gewinn für die Mannschaft versprachen: Joshua Kimmich im zentralen defensiven Mittelfeld, Leon Goretzka daneben. Ilkay Gündogan auf der Acht oder wie gegen Island auf der Zehn - und nicht als zweiten Sechser. Auch Kehrer, zuletzt gar keine Option mehr im DFB-Team, fand sich in seiner Rolle als eine Art Außen-Innenverteidiger-Hybrid sichtlich wohl und machte auf sich aufmerksam.

Mit einem starken Bayern-Block, der Flicks Bayern-Ideen einfacher umsetzt, stellt sich der Kern der Mannschaft quasi von selbst auf. Das will und wird Flick auch in Zukunft nutzen, um drumherum die passenden Komplementärstücke zu finden.

3. Die Inhalte und der Konkurrenzkampf

Bis zur WM hat Flick nur sechs Abstellungsphasen zur Verfügung, die Zeit für Trainingseinheiten ist also knapp bemessen. Was tat der Bundestrainer also? Er setzte auch mal zwei Einheiten am Tag an. Bei Löw gab es dies nur sehr selten und in der Regel nur in der unmittelbaren Vorbereitung auf ein Endturnier.

Flick nutzte die kostbare Zeit aber so gut wie möglich aus und versprühte auf und neben dem Platz die perfekte Mischung aus Anspannung und Entspannung, auf Lockerheit und Ernsthaftigkeit. Flick forderte eine aktive und initiative Spielweise ein, seine Mannschaft soll höher und entschlossener attackieren, den Ball erobern und schneller zum Abschluss kommen. Und das funktionierte: Das deutsche Gegenpressing war in allen drei Partien auf einem konstant hohen Niveau angesiedelt, die Mannschaft versprühte dabei Energie und Entschlossenheit.

Die offensiven Standards waren gegen Liechtenstein noch schwach, dann aber deutlich verbessert. Das ist eine reine Übungssache - aber eben auch eine Frage der Gewichtung solcher Elemente durch das Trainerteam. Und dass bei der Nationalmannschaft nun endlich auch ein reiner Standard-Spezialist mit an Bord ist, lässt für die Zukunft doch hoffen.

Dass sich Flick für seine ersten Spiele gleich drei Debütanten dazu holte und einige U-21-Europameister, war auch ein Signal und unterstrich noch einmal eindrucksvoll, was er selbst bei seiner Präsentation vorgegeben hatte: Die besten Spieler des Landes bekommen ihre Chance, frühere Verdienste spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Jamal Musiala, Karim Adeyemi, Florian Wirtz, David Raum oder Nico Schlotterbeck werden den Druck hochhalten auf die Etablierten, Kehrer hat sich wieder angemeldet, Florian Neuhaus und Mo Dahoud - die dieses Mal gar nicht eingesetzt wurden - bleiben ebenso Optionen wie die Verletzten oder jene wie Mario Götze, die alsbald wieder im Kreis der Nationalmannschaft auftauchen könnten.

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