• Die Bundesliga geht in eine ungewöhnlich lange Winterpause und die umstrittene WM in Katar naht.
  • Dazu äußert sich der ehemalige Top-Torhüter Timo Hildebrand im Interview.
  • Außerdem spricht der Ex-Nationaltorhüter über den Kader, die deutschen Torhüter und vergleicht die Stimmung in der Mannschaft bei der EM 2004 mit der WM 2006.
Ein Interview

Herr Hildebrand, Bundestrainer Hansi Flick hat seinen Kader für die anstehende WM in Katar bekannt gegeben. Sind Sie mit der Auswahl der Torhüter Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp zufrieden?

Timo Hildebrand: Auf jeden Fall. Viel besser kann man auf der Torhüterposition nicht aufgestellt sein.

Wie sehen Sie die Personalie Neuer? Ist er weiter die klare Nummer eins? Machen Sie sich Sorgen wegen seiner erst kürzlich auskurierten Schulterverletzung?

Ich weiß nicht, wie schwerwiegend die Verletzung ist oder ob er noch Probleme hat. Ich glaube, Manuel Neuer ist erfahren genug, um gut damit umzugehen und alles dafür zu tun, dass er spielbereit ist. Wir brauchen uns aber keine Sorgen zu machen. Ter Stegen spielt eine gute Runde, und auch Trapp ist schon seit längerer Zeit richtig gut in Form.

Wen sehen Sie als Nummer zwei hinter Neuer?

Ter Stegen und Trapp bewegen sich meiner Meinung nach auf Augenhöhe. Ter Stegen war aber immer der, der nach Neuer kam. Deswegen glaube ich, dass er ein bisschen die Nase vorn hat. Den dritten Platz teilen sich dann eher Trapp und Bernd Leno.

Vor der Kader-Bekanntgabe wurde spekuliert, dass Flick vier Torhüter mitnehmen könnte. Wer hätte der vierte Torwart sein sollen?

Ich muss kurz überlegen, wen es sonst noch gäbe. Da fällt es einem schon schwer. Wenn ein vierter Torhüter mitgenommen worden wäre, dann wahrscheinlich Leno, auch wenn er eine problematische Situation im Verein hat.

Wie sehen Sie den restlichen Kader? Fehlt Ihnen jemand?

Eigentlich gar nicht. Ich glaube und hoffe, dass es eine ausgewogene Mischung ist. Klar, Mats Hummels tut einer Mannschaft mit seiner Erfahrung immer gut, auch wenn er vielleicht nicht von Anfang an gespielt hätte. Er hat aber mittlerweile schon sehr viele internationale Spiele – auch mit dem DFB-Team – auf dem Buckel, sodass er immer hätte helfen können. Auch bei so einem Turnier. Aber man muss akzeptieren, was der Bundestrainer entscheidet. Er hat sich für den Jüngeren entschieden.

Hätten Sie auf einen der Nominierten auch verzichten können?

Den jungen Armel Bella-Kotchap aus Southampton hatte ich zum Beispiel gar nicht auf dem Schirm. Ich denke, dass wir eine gute Mannschaft haben und dass es auch eher über den Teamgeist und das Mannschaftsgefüge geht, als über überragende Einzelspieler. Ich bin selbst gespannt, was da passiert.

Timo Hildebrand: Bei der EM 2004 waren "relativ viele Egos" dabei

Sie selbst standen bei der EM 2004 und bei der Heim-WM 2006 im DFB-Kader. Zu einem Einsatz kamen Sie dabei nicht. Wie kann man sich das Klima in einer Mannschaft vorstellen, bei der von 26 Spielern einige wissen, dass sie wenig oder gar nicht spielen werden? Wirkt sich das auf die Stimmung aus?

Die beiden Turniere, bei denen ich dabei war, kann man ganz gut gegenüberstellen: mit dem Teamgeist, der funktioniert, im Jahr 2006 und einem Teamgeist im Jahr 2004, wo relativ viele Egos dabei waren, die sich dem Ziel vielleicht nicht so untergeordnet haben. Vielleicht war die Mannschaft 2004, wo wir auch schon in der Vorrunde ausgeschieden sind, schon zu alt. Man sieht eben, was alles möglich ist, wenn ein Team ein gutes Mannschaftsgefüge hat. Ich habe das in der Nationalmannschaft zum ersten Mal erlebt, als nach der EM 2004 Jürgen Klinsmann das Ruder übernommen hat. Da hat jeder seine Rolle angenommen, auch wenn er nur fünf Minuten oder sogar überhaupt nicht gespielt hat. Das ist elementar für eine Mannschaft. 2004 hatten wir hingegen relativ viele alte Spieler, ohne denen zu nahe treten zu wollen. Da war zum Beispiel noch Fredi Bobic im Kader oder auch Jens Jeremies und Dietmar Hamann. Und dann gab es eben ein paar junge Wilde wie mich, Kevin Kuranyi oder Philipp Lahm. Da war das Mannschaftsgefüge nicht so homogen wie 2006.

Wie umstritten die WM wegen Ihrer Austragung in Katar ist, wurde und wird weiterhin intensiv diskutiert. Wie wären Sie als aktiver Spieler mit der Situation umgegangen?

Als aktiver Spieler ist es sehr schwierig. Du willst einfach Fußball spielen und Weltmeister werden und dich darauf konzentrieren. Und das Einzige, worüber gesprochen wird, sind die Umstände dieser WM. Und das zurecht. Als Spieler aber glaube ich, nervt es auch ein bisschen, dass der Fokus woanders gesetzt ist. Deswegen glaube ich, dass die aktuellen Spieler versuchen, dass so gut wie möglich auszublenden.

Hildebrand: "Wie die Vergabe der WM gelaufen ist, ist ein Witz"

Wie gehen Sie heute damit um? Überwiegt die Freude auf ein Fußball-Turnier oder das flaue Gefühl im Magen?

Die ganzen Fakten liegen ja auf dem Tisch. Wir als Gesellschaft und auch die Fußballspieler dürfen diese Umstände nicht akzeptieren, unter denen diese WM vergeben wurde. Aber sie findet nun mal jetzt statt. Wenn wir das aber alles akzeptieren und sagen "Wir können es eh nicht ändern", dann haben wir schon verloren und geben uns solchen Systemen einfach hin. Deswegen bin ich froh, dass es so laut ist und so heiß diskutiert wird. Allein, wie die Vergabe der WM gelaufen ist, ist ein Witz. Das Eröffnungsspiel ist Katar gegen Ecuador. Ich wüsste nicht, warum das jemand anschauen sollte.

Gibt es bei Ihnen Pläne, in Zukunft wieder einen aktiveren Part im Fußballgeschäft zu übernehmen?

Mein Lebensmittelpunkt ist Stuttgart und mein Herzensverein ist der VfB Stuttgart. Ich stehe immer wieder in Kontakt mit den Verantwortlichen und tausche mich auch aus. Es gibt derzeit aber keinen konkreten Auftrag für mich. Ich habe demnächst aber einen Termin mit Cacau, der der Spielführer der Legenden des VfB Stuttgart ist. Ich kann mir schon vorstellen, da ein bisschen wieder anzudocken, aber mein Leben spielt sich hauptsächlich außerhalb des Fußballs ab und das ist auch völlig okay für mich.

Zur Person: Timo Hildebrand (43) ist ehemaliger deutscher Nationaltorwart. Für den FC Schalke 04, die TSG Hoffenheim und vor allem den VfB Stuttgart absolvierte er 301 Bundesligaspiele. 2007 wurde er mit Stuttgart Deutscher Meister. Für die deutsche Nationalmannschaft stand er siebenmal zwischen den Pfosten. 2021 eröffnete Hildebrand sein eigenes veganes Restaurant "Vhy" in Stuttgart. Erst kürzlich zog mit dem Marktstand "Vhy Gold" der erste Ableger in die Stuttgarter Markthalle ein.

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