• Oliver Bierhoffs Rücktritt von allen Ämtern setzt den DFB gehörig unter Druck.
  • Die Zeit drängt - und sehr wahrscheinlich muss mehr als nur eine Lösung her.
  • Bierhoffs Sonderrolle im Verband wird nun zum Problem.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein letztes Mal hat Oliver Bierhoff ein feines Gespür für die Situation bewiesen und am Montag selbstbestimmt seinen Rücktritt von allen Ämtern beim Deutschen Fußball-Bund kommunizieren lassen. Am Mittwoch steht ja das von Präsident Bernd Neuendorf öffentlich eingeforderte Großreinemachen an, eine erste Analyse des WM-Desasters in all seinen Facetten.

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Seine vollständige Amtsenthebung war ein sehr realistisches Szenario, zumal in Beisitzer Hans-Joachim Watzke ein besonders scharfer Kritiker zugegen gewesen wäre. Oder zumindest eine Teilentmachtung, wie "Sport1" erfahren haben will.

Demnach wäre der 54-Jährige statt wie bisher als Geschäftsführer beim DFB sowohl für die Akademie als auch für die Nationalmannschaften dann nur noch für die Akademie zuständig gewesen. Diesen Vorschlag soll Bierhoff aber abgelehnt und einen kompletten Schlussstrich gezogen haben.

Flick: "Die Nationalmannschaft hat Bierhoff viel zu verdanken"

Damit ist der DFB bis auf Weiteres in sportlichen Belangen quasi führungslos und könnte in den kommenden Tagen noch einen weiteren schmerzhaften Abgang verkraften müssen. Der Rücktritt seines "ersten Ansprechpartners und Freundes" habe Hansi Flick überrascht, womöglich sogar geschockt.

"Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann", wurde Flick in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme zitiert. Bierhoff habe "fachlich wie menschlich Maßstäbe gesetzt", der deutsche Fußball "und insbesondere die Nationalmannschaft haben ihm unglaublich viel zu verdanken".

Das Verhältnis zwischen beiden sei von "unschätzbar hohem Vertrauen" geprägt gewesen. "Dieses Vertrauen ist und bleibt im Fußball das höchste Gut", so Flick weiter - der eine ähnlich innige Beziehung nun zu einem oder mehreren anderen Mitstreitern wird aufbauen müssen. Sofern er dazu überhaupt bereit ist. Bierhoffs Nachfolgeregelung dürfte den Verband jedenfalls eine ganze Weile beschäftigen.

Gefährliche Machtfülle

Bierhoff Machtfülle im Deutschen Fußball-Bund war zuletzt ebenso legendär wie gefährlich. Als Geschäftsführer Nationalmannschaften oblagen ihm die A-Nationalmannschaften der Herren und Frauen sowie alle U-Mannschaften. Das alleine ist an sich schon ein Fulltime-Job, zumal Bierhoff auch in den Details - speziell bei der Herren-Nationalmannschaft - in der Regel die letzte Instanz war: In der Besetzung von Trainerteam und Betreuerstab, in der Organisation von Großturnieren, in der internen und externen Kommunikation.

Dazu kam der Bau des DFB Campus, das "Jahrhundertprojekt" des Verbands und der Umzug in die neu errichtete Keimzelle des deutschen Fußballs. Als Geschäftsführer Akademie war Bierhoff verantwortlich für die Aufgaben und Reformen im Hintergrund: Unter anderem auch für das "Projekt Zukunft", also die Reform der Nachwuchs- und Trainerausbildung in Deutschland.

Im Grunde hat Bierhoff, der einst "lediglich" als Teammanager der A-Nationalmannschaft begonnen hatte, zwei oder drei Jobs in einem vereint und trotzdem auch - was ihm zuletzt immer öfter auch vorgeworfen wurde - die Position des Sportdirektors vakant gelassen. Mit Bierhoffs Demission könnten also auf einen Schlag drei Posten frei oder nachbesetzt werden: Der des Geschäftsführer Nationalmannschaften, der des Geschäftsführers Akademie und der des Sportdirektors.

Die Suche nach einem Nachfolger dürfte demnach die Suche nach mehreren Nachfolgern werden. Die Idee, mehrere Stellen einer Person anzuvertrauen oder unbesetzt zu lassen, sollte angesichts der Dringlichkeit der anstehenden Aufgaben jedenfalls keine Option mehr sein.

Also wird sich der DFB, werden sich Neuendorf und Watzke und ihre Zuflüsterer, nach diversen Kandidaten umsehen müssen. Die wiederum ganz unterschiedliche Qualifikationen mit- und einbringen müssten.

Bald wieder ein Sportdirektor?

Erste Namen wurden schon am Montag gehandelt. Der "Kicker" verwies auf Fredi Bobic. Der ist zwar aktuell dabei, aus der Hertha wieder einen halbwegs seriösen Hauptstadtklub zu machen und eigentlich mittendrin in einem ausufernd großen Umstrukturierungsprozess. Aber wer weiß?

Bei den Berlinern geht es hinter den Kulissen wie eigentlich immer hoch her, der Verkauf der Windhorst-Anleihen an einen amerikanischen Investor könnte den Knoten lösen - oder aber alles noch viel schlimmer machen. So genau kann das derzeit niemand voraussehen. Dagegen scheint ein Job beim DFB und die Aussicht auf große Gestaltungsmöglichkeiten im Vorfeld einer Europameisterschaft im eigenen Land durchaus verlockend.

Erst neulich hatte Matthias Sammer in einer Talkrunde auf Lothar Matthäus als eine Art Sportdirektor verwiesen. "Ein Sportsystem ohne einen übergeordneten sportlichen Leiter - das ist das Bild des Deutschen Fußball-Bundes. Ich habe genug Fehler gemacht in meinem Leben. Aber den Fehler, diese Position abzuschaffen, auf die Idee musst du erstmal kommen", sagte Sammer bei "MagentaTV".

"Fakt ist, dass diese Person auch ein Stück weit verantwortlich ist für die großen Leitlinien", sagte Sammer. "Ein Sportdirektor gibt die großen Linien vor - und sie brauchen für meine Begriffe alle zwei Jahre ein Korrektiv, um an den kleinen Stellschrauben in die richtige Richtung zu drehen." Als einen möglichen Kandidaten brachte Sammer dann Matthäus ins Spiel.

Sammer bringt Matthäus ins Spiel

Sammer bekam schon bald Unterstützung von der "Bild"-Zeitung, die ebenfalls den Namen Matthäus fallen ließ, als es um die Bierhoff-Nachfolge ging. Matthäus selbst ist zwar seit über zehn Jahren raus aus dem operativen Geschäft, die speziell im Ausland hervorragenden Kontakte des Rekordnationalspielers sind aber nicht zu unterschätzen, seine Vita immer noch die eines der erfolgreichsten deutschen Spielers aller Zeiten und, nun ja: Zeit und Muße genug sollte der 61-Jährige auch haben.

Auch Sammer selbst ist quasi von Haus aus immer ein Kandidat für einen Posten beim DFB. Der 55-Jährige war selbst lange genug Sportdirektor, gilt als unbequem, offen und manchmal vielleicht sogar eine Spur zu ehrlich und konfrontativ.

Wo Sammer ist, ist Reibung. Das muss nicht immer funktionieren, als Berater bei Borussia Dortmund konnte Sammer in den letzten Jahren den sportlichen Schlingerkurs der Borussia auch nicht entscheidend korrigieren. Aber dass Sammer ein ausgewiesener Fachmann ist, der dazu das Innenleben des Verbands kennt mit all seinen Seilschaften und auch in der Kürze der Zeit einiges bewegen könnte, steht wohl außer Frage.

Lahm? Hitzlsperger? Kemme?

Eher aus der zweiten Reihe, dafür aber nicht weniger interessant, könnten auch Philipp Lahm oder Thomas Hitzlsperger ernsthafte Kandidaten sein oder werden. Lahm baut seine Karriere nach der aktiven Karriere seit Jahren Schritt für Schritt auf, ist als Chef des Organisationskomitees für die EM 2024 schon dicht dran am DFB, hat seit ein paar Monaten als Berater des VfB Stuttgart auch wieder mehr Tuchfühlung zum Tagesgeschäft und dürfte schon heute auf eine Anschlussberufung für die Zeit nach der EM im eigenen Land spekulieren. Oder vielleicht auch schon davor, in einer Art Doppelfunktion?

Hitzlsperger hat nach seinem freiwilligen Aus beim VfB Stuttgart genug Pause gehabt, zuletzt fiel und fällt der ehemalige Nationalspieler mit sehr wohl dosierten Einlassungen als TV-Experte bei der ARD auf: Klar genug in der kritischen Analyse, aber doch auch vorsichtig genug, sich etwaige Türen nicht durch unbedachte Äußerungen zuzuschlagen. Schon im Vorfeld der WM wurde Hitzlsperger vom Nationalteam eingeladen, um seine Expertise zu bestimmten Themen rund um das Turnier abzugeben.

Und wer weiß, vielleicht geht der DFB in der Bierhoff-Nachfolge ja sogar mal völlig neue Wege - und denkt über eine Frau nach? Tabea Kemme hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht mit schonungslosen und inhaltlich tiefgründigen Analysen, mit einer erfrischend authentischen Art und auch Fachwissen. Das wäre mal ein echtes Signal für einen Neuanfang…

Verwendete Quellen:

  • dfb.de: Oliver Bierhoff löst Vertrag mit dem DFB auf
  • dfb.de: Hansi Flick zur Vertragsauflösung von Oliver Bierhoff
  • reviersport.de: DFB-Sportdirektor: Sammer bringt Matthäus ins Spiel
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