Die USA-Reise der Nationalmannschaft war ein insgesamt gelungener Auftakt für Julian Nagelsmann. Der neue Bundestrainer tritt mit einem guten Gefühl die Heimreise an - aber auch mit einigen altbekannten Problemen im Gepäck.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am frühen Mittwochmorgen deutscher Zeit hat sich für die deutsche Nationalmannschaft ein Kreis geschlossen. Zumindest ein bisschen, denn das Wiedersehen mit der mexikanischen Auswahl beim 2:2 in Philadelphia war das erste seit der 0:1-Niederlage in der Gruppenphase der Weltmeisterschaft 2018 - wo die ganze Malaise des deutschen Fußballs einem breiten Publikum öffentlich wurde.

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Seitdem befindet sich die Nationalmannschaft auf der Suche nach sich selbst und alter Stärke. Joachim Löw hat das nicht mehr hinbekommen, Hansi Flick ist letztlich daran gescheitert. Und nun ist diese enorme Aufgabe Julian Nagelsmann anvertraut, der im kommenden Jahr dann bitteschön auch noch Europameister werden sollte.

Ganz so einfach wird das alles nicht, das hat die erste Betriebsfahrt des neuen Bundestrainers mit seiner Mannschaft gezeigt. Und Zeit ist für Nagelsmann ein ganz besonders knappes Gut, was jedem einzelnen Testspiel bis zur EM im eigenen Land überragenden Charakter verleiht.

Licht und Schatten

Deshalb ist wohl auch der eine oder andere Fan in der Nacht zum Mittwoch aus den Federn gekrochen, um auch das zweite Spiel Nagelsmanns als Bundestrainer gegen die Mexikaner nicht zu verpassen. Zu sehen waren da positive Elemente aus dem doch recht forschen und letztlich in weiten Strecken auch überzeugenden 3:1-Sieg gegen die USA ein paar Tage zuvor. Aber eben auch jene Fehler und Probleme, die schon die Vorgänger Löw und Flick massiv unter Druck setzten. Das gilt insbesondere für das Spiel gegen den Ball.

Gegen die USA und Mexiko folgten die Spiele sieben und acht in Folge, in der die Mannschaft mindestens ein Gegentor kassierte. In den letzten 20 Länderspielen gelang es nur zwei Mal, ohne Gegentreffer zu bleiben: Bei den Partien gegen Peru und den Oman. Das kann und wird für die allerhöchsten Ansprüche dieser Mannschaft nicht reichen.

Die Kommentare der Spieler und ihres Trainers nach den Partien gegen die USA und Mexiko glichen deshalb auch jenen aus der Vergangenheit. "Wir standen defensiv in den Aktionen teilweise nicht so gut, haben nicht gut verschoben, waren nicht aggressiv genug. Es hat ein bisschen die Intensität gefehlt", sagte etwa der neue Kapitän Ilkay Gündogan nach der Partie gegen Mexiko am ARD-Mikrofon.

Nicht abgezockt genug in entscheidenden Momenten

Die drei Gegentore in den beiden Spielen jedenfalls erinnerten in ihrer Entstehung und angesichts der überschaubaren deutschen Gegenwehr frappierend an Muster aus den Spielen vor Nagelsmann. Die deutsche Mannschaft agiert in diesen Phasen weder konsequent noch abgeklärt genug, gruppentaktische Fehler mischen sich mit individuellen und am Ende verfestigt sich das Gefühl, dass wirklich jederzeit ein Gegentor fallen könnte.

Exemplarisch nahm sich Gündogan das erste Gegentor gegen Mexiko heraus, als ein schnell ausgeführter Freistoß des mexikanischen Torhüters Guillermo Ochoa 90 Meter entfernt vom deutschen Tor nur drei Sekunden später zu einer Eins-gegen-Zwei-Unterzahl in der deutschen Innenverteidigung führte. Ein Unding auf diesem Spielniveau.

"Wir kassieren durch einen schnell ausgeführten Freistoß, wo man sich vielleicht mal clever davorstellen kann, ein Tor. Das sind so kleine Details im Spiel, wo man vielleicht noch abgezockter werden kann, werden muss, um dann ganz erfolgreich zu sein. In dieser Art und Weise das erste Gegentor zu kassieren, ist natürlich schon bitter", so Gündogan dazu.

Die Abwehr bereitet immer noch Sorgen

Nagelsmann hat mit seiner 4-2-2-2-Grundordnung und Variationen davon, etwa einem 4-2-3-1, schnell eine Struktur gefunden. Auch die grundsätzlichen Angriffsmuster sind gut zu erkennen, das Spiel durchs Zentrum, um dann über die Flügel aufzufächern und in Eins-gegen-Eins-Situationen Durchbrüche zu erzielen.

Aber für erfolgreichen Fußball muss auch die Defensivleistung stimmen. Und dafür muss der Bundestrainer noch etwas andere Abläufe entwickeln oder die guten Ansätze weiter forcieren. Aus dem personellen Reservoir jedenfalls kann er sich kaum neue Alternativen erhoffen. Die Besetzung der Innenverteidigung wird von zentraler Bedeutung werden und nach dem einen oder anderen fahrigen Auftritt in der Vergangenheit und nun auch unter Nagelsmann ist der erwartete Stammplatz für Antonio Rüdiger wohl alles andere als sicher.

Das Dortmunder Trio Mats Hummels, Niklas Süle und der für die USA-Reise nicht nominierte Nico Schlotterbeck scheinen Stand heute die Kontrahenten. Und wenn man bedenkt, dass Nagelsmann wenig Zeit bleibt und er auf große Experimente schon jetzt verzichtet hat, dürfte sich dieser Kreis an Kandidaten bis zum EM-Turnier auch kaum vergrößern.

Auf den Positionen links und rechts in der Viererkette ist die Varianz zwar größer - die Probleme aber mindestens vergleichbar groß. Diese Dauerbaustelle wird Nagelsmann in den nächsten Monaten nicht lösen können, also muss er improvisieren oder auf einen Leistungsschub seiner Spieler hoffen. Der erkrankte Joshua Kimmich sollte für den Posten rechts in der Viererkette auf jeden Fall auch in Betracht gezogen werden.

Nagelsmann: "Ich nehme ein sehr gutes Gefühl mit"

Schon die nächsten beiden Spiele gegen die Türkei in Berlin und gegen Österreich in Wien dürften Anhaltspunkte liefern, wie gut und wie schnell die Mannschaft zu lernen in der Lage ist. Nagelsmann ist dabei zumindest bester Dinge. "Die Mannschaft ist extrem willig, Dinge schnell umzusetzen. Ich habe noch nie eine Mannschaft trainiert, die Dinge so schnell umsetzt", lobte der Bundestrainer seine Spieler. "Normalerweise ist es ja eine Vorbereitung von vier bis fünf Wochen und dann klappt immer noch nicht alles, es dauert teilweise noch länger. Das war jetzt nicht der Fall."

Im Gegenteil, es stimmten Einsatzbereitschaft und Mentalität und auch die von Nagelsmann erwartete "Gier" innerhalb der Mannschaft und auf dem Platz. Und das ist als Basis für die kommenden Aufgaben und das ganz große Ziel im nächsten Sommer doch beruhigend.

So sieht es auch der Bundestrainer: "Wir wissen, dass wir Dinge besser machen können, als wir sie gemacht haben. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich eine große Überzeugung habe, dass es besser wird, dass wir erfolgreich sein werden. Ich nehme ein sehr gutes Gefühl aus diesen Tagen mit. Das ist das Entscheidende."

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