Bei der EM 1980 stand er im Finale gegen Deutschland zwischen den Pfosten, bei der WM 1986 traf er im Halbfinale auf die Argentinier um Superstar Diego Maradona, mit dem er nach dem Spiel das Trikot tauschte. Jean-Marie Pfaff absolvierte 64 Länderspiele für Belgien, gilt als Legende des Weltfußballs. Auch in Deutschland hat der 70-Jährige seine Spuren hinterlassen, da er von 1982 bis 1988 das Tor des FC Bayern hütete.

Ein Interview

Unsere Redaktion hat mit dem Ex-Profi über die EM-Chancen Belgiens und Deutschlands, über sein Fußballmuseum in Beveren sowie über Maradona, Pelé und Beckenbauer, mit denen Pfaff freundschaftlichen verbunden war, gesprochen.

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Herr Pfaff, in einem knappen halben Jahr startet in Deutschland die Europameisterschaft 2024. Wie schätzen Sie die Gruppe E ein, in der Ihr Heimatland Belgien auf die Slowakei, Rumänien und auf einen noch nicht ermittelten Playoff-Sieger trifft?

Jean-Marie Pfaff: Belgien geht als Favorit in diese Gruppe und sollte aus meiner Sicht sicher in die nächste Runde kommen. Klar, du kannst bei einem Turnier immer mal einen schlechten Tag erwischen und eine nicht einkalkulierte Niederlage kassieren, aber wenn alles normal läuft, sollten die Belgier am Ende klar die Nummer eins sein.

Belgien als ewiger Geheimfavorit

Die "Roten Teufel" haben sich einen Ruf als ewiger Geheimfavorit erarbeitet, warten aber nach wie vor auf den ganz großen Wurf. Wird er ihnen endlich gelingen?

Das ist eine gute Frage. Ganz Belgien hofft darauf, dass es unserer Mannschaft endlich einmal gelingt, einen großen Titel zu gewinnen. In den letzten Jahren waren wir immer einer der Favoriten und am Ende kam nie etwas dabei heraus. Wir haben uns zu oft auf solche Spieler wie Kevin De Bruyne verlassen. Aber so funktioniert das nicht. Du musst eine Einheit auf dem Platz sein, einer alleine gewinnt nichts. Sehen Sie, zu meiner Zeit, bei der EM 1980 oder der WM 1986 waren wir nie eine Mannschaft mit großen Stars. Aber wir waren eine Einheit, wir haben alle zusammen gehalten. Wir waren der berühmte verschworene Haufen. Das hat uns stark gemacht und deswegen haben wir es 1980 ins Finale und 1986 ins Halbfinale geschafft. Das ganze Land hat uns dafür gefeiert. Wenn es die Belgier hinbekommen, einen starken Teamgeist zu entwickeln, wenn alle für den anderen rennen und kämpfen, dann kann es klappen mit dem ersehnten Titel.

De Bruyne, Lukaku und Co. sind inzwischen 30 Jahre oder älter: Hat diese Generation die Chance auf den Titel vielleicht schon verstreichen lassen oder ist der Titelhunger jetzt sogar noch größer als früher?

Es wird Zeit für sie. Allzu lange werden sie nicht mehr spielen können. Wahrscheinlich haben sie in diesem Jahr noch die Chance und eventuell noch bei der WM in zwei Jahren. Sollte es aber bei der Europameisterschaft wieder nicht gut laufen, dann werden wir bei der WM 2026 sicher eine ganz andere belgische Mannschaft sehen. Ich hoffe sehr, dass die Spieler jetzt alles daran setzen, bei der EM weit zu kommen.

Im belgischen Fußball kommt ja auch einiges nach: Jérémy Doku von Manchester City oder Loïs Openda von RB Leipzig, um zwei Durchstarter zu nennen. Wächst da vielleicht gerade eine noch goldenere Generation heran, als es die De-Bruyne-Generation war?

Ja, es stimmt, wir haben einige gute Spieler, die sich mehr und mehr einen Namen machen. Vor allem Openda fällt mir bei RB Leipzig immer wieder positiv auf. Er ist dort Stammspieler und zeigt von Woche zu Woche seine Qualitäten. Solche Spieler, die heutzutage alle bei Topvereinen spielen und ausgebildet werden, sind die Basis für die belgische Mannschaft der nächsten Jahre. Deswegen wird Belgien auch in der Zukunft immer wieder eine Mannschaft haben, die um Titel spielen kann.

In den 1980er-Jahren haben wir die Basis für das gelegt, was heute ist. Wir haben in Italien 1980 mit einer besseren Amateurmannschaft gespielt, nur zwei Profis waren im Kader. Und trotzdem haben wir es bis ins Finale geschafft. Das hat viele junge Menschen animiert, Fußball zu spielen. Wenn wir heute von goldenen Generationen sprechen, dann waren wir damals die diamantene Generation, die den Fußball in Belgien so richtig ins Rollen gebracht hat.

"Ganz Belgien hofft auf eine gute EM und den Titel"

Jean-Marie Pfaff

Der belgische Trainer ist im EM-Land kein Unbekannter. Viele waren überrascht, als Domenico Tedesco vor rund einem Jahr das Amt der Nationalmannschaft übernommen hatte. Sie auch?

Ja, ich war auch überrascht. Mit Tedesco hatten bei uns nur die wenigsten gerechnet. Ich kannte ihn aus der Bundesliga, wusste, dass er einige Erfolge vorweisen konnte, aber auch Krisen durchlebt hatte. Solange er mit der belgischen Mannschaft Erfolg hat, wird ihn das Land lieben. Aber er hat auch eine gute Portion Druck. Ganz Belgien hofft auf eine gute EM und den Titel. Daran wird er sich messen lassen müssen.

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Deutschland tut sich aktuell ziemlich schwer. Trauen Sie der Mannschaft von Julian Nagelsmann dennoch ein starkes Heimturnier zu, vielleicht sogar den Titel?

Deutschland ist ja als eine Mannschaft bekannt, die sich im Laufe eines Turniers immer steigern kann. Zuletzt hat das zwar nicht ganz funktioniert, aber ich gehe davon aus, dass die EM im eigenen Land noch einmal einen Schub zusätzlicher Motivation freisetzt – bei allen: bei Spielern, Trainern und Fans. Du hast als Gastgeber die große Chance, mit einem einzigen Spiel die Stimmung im Land zu beeinflussen. Gewinnst du das Eröffnungsspiel (am 14.06. in München gegen Schottland, Anm. d. Red.), so hast du sofort eine Euphorie im Land und die Fans stehen hinter dir wie eine Eins. Natürlich waren die letzten Spiele der deutschen Mannschaft alles andere als überzeugend, aber je näher es an das Turnier herangeht, um so mehr bist du als Spieler darauf fokussiert und willst einfach nur noch spielen. Deutschland wird durch den Heimvorteil ein gutes Turnier spielen, da bin ich ganz sicher. Ob es für den Titel reicht, muss man aber abwarten. Dazu gehört ja auch immer eine Menge Glück und andere Länder bringen auch gute Mannschaften an den Start.

Hierzulande gab es zuletzt viel Häme. Ist der Respekt vor dem DFB-Team in Ihrer Heimat größer?

In Belgien haben die Menschen großen Respekt vor der deutschen Mannschaft. Die großen Spieler wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller sind bei uns heute noch Helden. Wir haben immer mit Respekt und ein bisschen Neid auf den deutschen Fußball geschaut. Ich habe früher ein Sportgeschäft geführt und da die Fußballschuhe von Franz Beckenbauer verkauft und die Trikots der deutschen Nationalmannschaft. Die wollte in den 70er-Jahren und Anfang der 80er-Jahre jeder haben. Niemand hätte in diesem Jahr etwas dagegen, wenn die deutsche Mannschaft das Finale erreicht, dann aber bitte gegen Belgien verliert (lacht).

England und Frankreich als Favoriten

Wir sprechen über Deutschland und Belgien, doch viele haben vor allem Frankreich und diesmal England auf dem Zettel. Werden wir eventuell einen neuen Europameister erleben?

Das ist gut möglich. Frankreich und England haben überragende Mannschaften, die natürlich zum Favoritenkreis dazu zählen. Kylian Mbappé bei den Franzosen oder Harry Kane bei England, die alleine können eine Partie entscheiden. Aber man darf natürlich auch die Italiener nie unterschätzen. Dann rechne ich noch Deutschland, Spanien und Belgien zum erweiterten Favoritenkreis. Und auch den Niederländern und Kroaten kann man immer einiges zutrauen. Es wird auf jeden Fall eine tolle EM, da bin ich ganz sicher.

Werden Sie bei der EM in Deutschland dabei sein? Welche Spiele und Stadien interessieren Sie?

Das kann gut sein, dass ich mir das ein oder andere Spiel im Stadion ansehe. Aufgrund der günstigen Anreise kann es sein, dass ich mir das ein oder andere Spiel in Köln anschaue. Belgien trägt ja das zweite Gruppenspiel gegen Rumänien (am 22.06.; Anm. d. Red.) in Köln aus. Aber auch in München bin ich immer gerne, da habe ich noch viele Freunde und Bekannte, die man immer wieder gerne besucht.

Kürzlich waren Sie in Deutschland – allerdings aus einem traurigen Anlass. Wie haben Sie die Trauerfeier zu Ehren des verstorbenen Franz Beckenbauer erlebt?

Das hat Franz verdient, dass so viele Menschen von ihm Abschied nehmen. Ohne Franz Beckenbauer wäre der FC Bayern nicht der Verein, der er heute ist. Auch der deutsche Fußball insgesamt hat ihm eine Menge zu verdanken. Es war eine sehr emotionale Feier, ich bin sehr dankbar, dass ich dabei sein konnte.

Wie werden Sie den "Kaiser" in Erinnerung behalten und welchen persönlichen Moment mit ihm werden Sie nie vergessen?

Franz war ein guter Freund, wir sind uns immer wieder über den Weg gelaufen. Als ich beim FC Bayern spielte, sind wir einmal gemeinsam von Hamburg nach Frankfurt geflogen. Auf dem Flug haben wir uns über Torhüter und das Torwarttraining unterhalten. Er war damals Teamchef bei der Nationalmannschaft. Ich habe ihm empfohlen, einen Torwarttrainer zu holen und dass dies aus meiner Sicht nur Sepp Maier sein kann. Kurz darauf hat Franz tatsächlich den Sepp zum DFB geholt. Franz kam zu meinem Abschiedsspiel 1991 und hat damals extra für mich noch einmal die Fußballschuhe geschnürt. Als ich ihn angerufen habe und fragte, ob er kommen würde, sagte er sofort zu. Ich wollte ihm dann eine schriftliche Vereinbarung zusenden. "Ah geh', sag' mir, wann mein Flug geht und ich komme", winkte er ab. So war er, der Franz. In den letzten Jahren habe ich ihn immer wieder mal im Stadion getroffen. Er stand dann immer oberhalb der Tribüne und wenn er mich sah, kam dann immer nur ein "Ja, Servus, bist du auch mal wieder da?". Ich werde Franz nie vergessen.

"Pelé, Maradona und Beckenbauer haben den Fußball in den letzten 50, 60 Jahren geprägt"

Jean-Marie Pfaff

In den vergangenen Jahren haben sich viele Legenden von der Bühne des Lebens verabschiedet. Stimmt Sie das schwermütig, dass die Pelés, Maradonas und Beckenbauers nicht mehr unter uns sind?

Solche Spieler kommen niemals wieder. Pelé, Maradona und Beckenbauer haben den Fußball in den letzten 50, 60 Jahren geprägt, waren Vorbilder für Klein und Groß. Der Fußball wäre heute ein ganz anderer, hätte es diese Spieler nicht gegeben. Ich bin stolz, dass ich mit allen drei Genannten freundschaftlich verbunden war.

Stimmt es, dass Sie zu Diego Maradona ein freundschaftliches Verhältnis pflegten? In ihrem Pop-up-Museum in Beveren wird das Trikot des Argentiniers ausgestellt, dass dieser im WM-Halbfinale 1986 gegen Belgien mit Ihnen im Tor getragen hatte …

Ja, das stimmt. Diego und ich haben nach dem WM-Halbfinale 1986 zwischen Belgien und Deutschland die Trikots getauscht. Viele aus der belgischen Mannschaft wollten damals sein Trikot haben, aber ich hatte mit ihm schon vor dem Spiel ausgemacht, dass wir tauschen. Auch in den Jahren danach haben wir uns immer wieder mal getroffen und sind gute Freunde geblieben bis zu seinem viel zu frühen Tod. Heute hängt sein Trikot in meinem Museum in Beveren und fast alle Besucher wollen sich damit fotografieren. Diego war einer der größten Spieler, die es auf der Welt jemals gab. 1986 war er in der Form seines Lebens. Hätte er damals nicht gegen uns gespielt, wären wir ins Finale gekommen – da bin ich ganz sicher.

Fußballmuseum in Beveren

Was gibt es in Ihrem Museum darüber hinaus zu bewundern und worauf liegt heute darüber hinaus Ihr Fokus?

In meinem Museum können die Besucher viele Objekte bestaunen, die ich im Laufe meiner Karriere angesammelt habe. Ob Pokale, Trainingsanzüge, Trikots, Wimpel, Fotos – ich habe alles aufgehoben. Auf großen TC-Bildschirmen laufen Videos aus meiner aktiven Zeit. Nicht jeder, der mein Museum besucht, hat mich auch spielen sehen. Die Menschen können darüber hinaus auch vieles von mir und meiner Familie erfahren. Das Museum läuft seit Juli und sollte ursprünglich nur bis Dezember geöffnet werden. Da es aber ein so großer Erfolg wurde, haben wir in Absprache mit der Stadt bis Ende Mai verlängert. Ich bin fast jeden Tag vor Ort und führe die Besucher durch die Ausstellung. Da kommen natürlich viele Belgier, aber auch Bayern-Fans reisen extra aus Deutschland an. Letztens waren sogar Fans aus Mexiko da.

Ansonsten halte ich Vorträge zum Thema "Nummer eins werden, Nummer eins bleiben", in denen ich über meine Karriere spreche und auch darüber, wie man es trotz nicht immer einfacher Umstände bis ganz nach oben bringen kann. Gerne würde ich noch eine Akademie für Torhüter und Torwarttrainer aufbauen, in der Trainer das richtige Training für Torhüter erlernen können und junge Torhüter ausgebildet werden. Dazu habe ich meine wöchentliche Kolumne und als Opa nehme ich mir auch Zeit für meine sechs Enkelkinder und meine Familie.

Wenn Sie noch einmal als Trainer, Sportlicher Leiter oder in einer anderen Funktion ins Fußballgeschäft zurückkehren würden: Für welchen Verein wären Sie gerne tätig?

Klare Sache, für den FC Bayern. Ich habe sechs Jahre dort gespielt und meine größten Erfolge in München gefeiert. Ich habe dem Verein, Uli Hoeneß und allen anderen Verantwortlichen eine Menge zu verdanken. München ist für mich und meine Familie zur zweiten Heimat geworden. Wir kommen immer wieder gerne dorthin zurück. Ich bin stolz darauf, dass ich so lange Zeit das Bayern-Trikot tragen durfte und dass sich immer noch so viele Fans aus München bei mir melden. Die Fans haben mich von Anfang an unterstützt und mich nie hängen gelassen. So etwas vergisst man nie. Leider hat sich nie die Möglichkeit einer nochmaligen Zusammenarbeit mit dem FC Bayern ergeben. Aber ich glaube, der Verein hat auch so eine sehr gute Entwicklung genommen (lacht).

Haben Sie noch einen guten Draht zum deutschen Rekordmeister?

Ich komme immer wieder gerne in die Allianz Arena und schaue mir ein Spiel an. Da bleibt es auch nicht aus, dass man auf ehemalige Weggefährten trifft und über die alten Zeiten spricht. Besonders gefreut hat es mich, dass mir zahlreiche ehemalige Mitspieler und Vereins-Verantwortliche zu meinem 70. Geburtstag im Dezember gratuliert haben. Das zeigt einem, dass man beim FC Bayern nie in Vergessenheit gerät.

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