• Das Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der EM bedeutet auch Joachim Löws letztes Spiel als Bundestrainer.
  • Löw hätte einen anderen Abgang verdient gehabt - letztlich hat er sich das Debakel aber auch selbst eingebrockt.
Eine Analyse

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Am Ende war da nur noch bleierne Schwere. Und Stille. Gut, die englischen Fans im Hintergrund feierten die größte Party seit Jahrzehnten und auch die Stadionregie in Wembley sorgte für jede Menge Krach. Die Protagonisten des deutschen Niedergangs aber formulierten ihre Meinung so, wie sie zuvor das Spiel gegen England bestritten hatten: Zaghaft, zurückhaltend und wie so oft bei Interviews nach einem Spiel auch inhaltsleer.

"Das war eine riesige Chance für uns, gegen eine starke Mannschaft weiterzukommen. Diese Chance haben wir verpasst. Deshalb ist die Enttäuschung auch riesengroß", sagte Manuel Neuer.

"Wir hätten uns natürlich auch etwas anderes erhofft. Deswegen tut es mir auch leid, dass die große Begeisterung, die zuhause auch vorhanden war, jetzt mit so einem Spiel dahin ist. So unmittelbar nach dem Spiel über alles zu reden, ist natürlich schwierig, weil die Enttäuschung natürlich schon überwiegt", sagte Joachim Löw.

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Löw moniert das Problem - welches er selbst erschuf

Die deutsche Nationalmannschaft ist aus der Europameisterschaft ausgeschieden und mit ihr der Bundestrainer nach 15 Jahren aus seinem Amt. Offiziell hat Joachim Löw zwar noch einen Tag, aber mit dem Scheitern im Achtelfinale endet nun dessen Amtszeit. Noch ein Rückflug nach Nürnberg, eine Nacht im Home Ground in Herzogenaurach, die Verabschiedung von den Spielern, der Auszug. Das war's.

Und ebenso unscheinbar wie sich Löw verabschieden wird, ließ er seine Mannschaft gegen den Erzrivalen agieren. Da war kein Feuer oder jene Begeisterung, die der eine oder andere Spieler vor der Partie noch vollmundig geäußert hatte. Nicht mal die Atmosphäre vor 45.000 Fans konnte etwas entfachen oder die Aussicht auf das Viertelfinale samt absolut machbaren Gegnern auf dem Weg zurück an selbe Stelle: ins Finale nach Wembley.

"Wir haben uns mehr erhofft, der Glaube war absolut da. In solchen Spielen ist es entscheidend, dass man die wenigen Chancen, die man hat, auch konsequent nutzt. Wir hatten zwei Großchancen durch Timo Werner und Thomas Müller. Wir haben leider keine Tore gemacht und deswegen tut es uns leid, dass wir jetzt aus dem Turnier raus sind", sagte Löw dann noch und diese Sätze musste man tatsächlich zwei Mal hören oder lesen, um sie einzuordnen.

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Kein Risiko, kein Tempo, nichts

Löw hatte die Wahl der Waffen und entschied sich für die vorsichtige, defensive, destruktive Variante. Dass sich die Partie gegen ebenfalls zaudernde, abwartende Engländer zu einem mühseligen Spiel ohne herausgespielte Torchancen auf beiden Seiten entwickelte, dafür waren einzig und allein Löw und sein Gegenüber Gareth Southgate verantwortlich, die ihre Mannschaften nach ihrem Diktat hatten machen lassen. Nur hat Southgate als Sieger des Spiels alle Argumente auf seiner Seite. Und Löw nicht.

Die Möglichkeit, sich mehr als zwei Chancen pro Partie herauszuspielen, ist jeder Mannschaft gegeben. Nur muss man das auch wollen. Aber Deutschland wollte nicht. 67 Mal passten sich die Matthias Ginter und Antonio Rüdiger mit Mats Hummels die Bälle zu. Da war kein Risiko, keine Vertikalität, keine Tempoverschärfung. Und da war - mal wieder - ein unzureichendes Positionsspiel gegen eine Mannschaft, die einfach die deutsche Anordnung spiegelte und somit Überzahlsituationen ohne große Bewegungen des Gegners erst gar nicht zuließ.

Und weil sich die Deutschen nur in völlig ungefährlichen Räumen einigermaßen flüssig bewegten und im tiefen Aufbau teilweise mit drei Spielern in Überzahl agierten, den Übergang ins Angriffsdrittel dann aber regelmäßig verpatzten, gab es nur zwei Torchancen gegen eine zwar ordentliche, aber keinesfalls sattelfeste englische Abwehrreihe. Und das schmerzt im Nachhinein mindestens so sehr wie das Ausscheiden als solches: dass mit mehr Mut und Verve alles möglich gewesen wäre.

Löws eigenwillige Einschätzung

Es habe in gewissen Situationen an "Reife und Erfahrung gefehlt", sagte Löw auf der Pressekonferenz über seine Mannschaft, die einen Altersschnitt von 27,55 Jahren aufweist und gespickt ist mit Spielern des FC Bayern München. "Da muss sich die Mannschaft noch ein Stück entwickeln." Diese Aussage ist merkwürdig - schon aufgrund der Tatsache, dass Deutschland gegen eine Mannschaft ausgeschieden ist, bei der ein 19-Jähriger in der Startelf stand und die bei der EM Spieler im Altersschnitt von 25,7 Jahren eingesetzt hat. Löw bevorzugte in allen vier Partien Spieler, die im Schnitt 28,2 Jahre alt waren.

Es ist nach Niederlagen immer ein Leichtes, dem unterlegenen Trainer ein "vercoacht" hinterher zu rufen. Aber das sture Festhalten an der Dreierkette, der zaghafte Auftritt gegen die Engländer, die mal wieder viel zu späten Wechsel und der fehlende Mut, den Gegner innerhalb eines Spieles vielleicht mit einer oder mehreren taktischen Umstellungen vor neue Aufgaben zu stellen: Das sind valide Argumente, die gegen Löw sprechen.

Rüffel von Ballack und Bobic

"Ich verstehe nicht, warum der Bundestrainer so lange wartet mit einer Umstellung", sagte Michael Ballack bei "Magenta TV". Nun ist Ballack nach seinem erzwungenen Abschied von der Nationalmannschaft nicht unbedingt ein großer Löw-Befürworter, in der Sache aber hatte der ehemalige Kapitän Recht. Und er bekam Unterstützung von seinem Expertenkollegen Fredi Bobic, der unter anderem die Einwechselung von Jamal Musiala, zwei Minuten vor dem Ende bei einem 0:2-Rückstand, als "Alibi" brandmarkte. "Das bringt gar nichts! Du hast fünf Wechsel. Das muss sich der Bundestrainer vorwerfen lassen. Auch in der Vergangenheit waren seine Wechsel schon fragwürdig."

Kolumne Olaf Thon: "Löw war drei Jahre zu lang am Werk"

Man hätte Löw einen anderen Abgang gewünscht und das nicht nur auf das reine Ergebnis bezogen. Aber so wie gegen England nur ein halbgarer kleiner Plan vorhanden war, verliefen auch die letzten drei Jahre. Es gab kein übergeordnetes Thema mehr, nur noch Stückwerk und eine große Portion Hoffnung, dass es schon irgendwie gutgehen würde.

Deutschland ist an seiner Angst gescheitert, Fehler zu machen - während auf der anderen Seite Gareth Southgate seine persönlichen Dämonen und die von 55 Millionen Engländern am Dienstagabend besiegt hat. Er ging als Gewinner aus dem Duell der Trainergenerationen. Joachim Löw verließ die Arena als geschlagener Mann.

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